Tag 9: Trouble in Paradise (05.03.2006, Sonntag)
Bei jedem Urlaub gibt es mindestens einen Tag, an dem absolut alles schief geht. Und heute war einer davon. An diesem lauschigen Sonntagmorgen in Florenz wurden wir durch lautes Rumpeln geweckt. Die beiden Irinnen waren dabei, ihre Sachen zusammenzusuchen, um sich in die nächste Stadt aufzumachen. Als sie schließlich herausgepoltert waren und sich der wunderbare Heizlüfter endlich ausgeschaltet hatte, stolperte auch Eva aus ihrem Bett und schlurfte verschlafen zum Frühstück, während ich mich entschied, das Frühstück (wieder) ausfallen zu lassen und stattdessen eine halbe Stunde länger zu dösen.
Als Eva dann wieder da war und ich mich tatsächlich auch aus dem Bett gerollt hatte, machten wir uns gähnend auf den Weg zur Galleria dell’Accademia. Dummerweise war Florenz an diesem Tag nicht nur so verschlafen wie eine deutsche Kleinstadt (es war ja Sonntag), sondern auch in etwa so verregnet. Eine äußerst ungünstige Situation, wenn man sich erst wieder seinen Weg suchen musste. So wie wir. Und einige andere ahnungslose Touristen, die aber wenigstens Schirme oder Regenmäntel dabei hatten.
Irgendwie schafften wir es dann doch, den unscheinbaren Eingang an einem Riesengebäude zu finden, und dieses Mal durften wir beim Durchleuchten sogar unsere tropfenden Jacken anbehalten. Die Schlange bot ein interessantes Bild. Alle tropften und schnieften und sahen so aus, als wollten sie überall sein (vorzugsweise in einem warmen und trockenen Bett), nur nicht in der Galleria. Ich wette, ich sah auch nicht anders aus.
Die (auch hier verbilligte) Eintrittskarte in der Hand machten wir uns also auf, die Wunder eines weiteren Kunstmuseums zu erkunden. Diese bestanden im konkreten Fall aus noch mehr Mariendarstellungen aus dem Mittelalter mit Goldhintergrund (der übermüdete Zustand und die Überdosis vom Vortag dämpften meine Begeisterung) und einigen Statuen, wie der vom Raub der Sabinerinnen, der auf Englisch aus irgendeinem Grund The Rape of the Sabine Women heißt. Alles eigentlich relativ unspektakulär, zumindest bis wir zum Michelangelo-Saal kamen, in dem neben dem berühmten (und beeindruckenden) David noch eine Reihe weiterer höchstens halbvollendeter Kolosse für das Grab von Julius II standen.
Nachdem wir den David von allen Seiten und in beweglicher 3D-Grafik gesehen hatten, machten wir uns auf, den Rest des Museums zu erkunden und – trafen auf einen Saal voller Modelle für andere Statuen: keine wirklich beeindruckend, keine wirklich schön und keine wirklich groß. Und wie es sich herausstellte, war das der „Rest“ des Museums, denn die anderen Teile wurden gerade renoviert. Außer dem Teil fü die Musikinstrumente, in den wir uns zwischenzeitlich schon verirrt hatten, und der zwar einige Kuriositäten beinhaltete aber ansonsten eher langweilig war. Mit dem Museumsshop fange ich an dieser Stelle besser gar nicht erst an, das Stichwort „David“ genügt eigentlich, um ihn zu beschreiben.
Nach dem Museum wollten wir dann auch eigentlich in den Duomo, der, wie wir zu unserem Leidwesen feststellen mussten, erst um kurz vor eins öffnen würde, es war ja Sonntag. Am Tor hatte sich lediglich eine Reihe von Touristen vor dem Regen verkrochen, eine Taktik, die wir auch gleich anwendeten, in der Hoffnung, dass es vielleicht ein wenig trockener werden würde. Wurde es aber nicht. Also kehrten wir schweren Herzens und klatschnass zum Ostello zurück, hauptsächlich um zu trocknen, und ich holte meinen Schlaf nach.
So gegen Mittag klarte es dann auch tatsächlich auf, und wir machten uns erneut auf den Weg zum Duomo, den wir inzwischen ja schon gut genug kannten. Und siehe da, er war tatsächlich geöffnet und man musste noch nicht einmal Eintritt bezahlen. Überhaupt fand ich den Duomo nicht nur von außen beeindruckend, sondern auch von innen. Er war mir sogar um einiges lieber als der Petersdom, der mir um ehrlich zu sein zu überladen war. Im Duomo war alles schlichter und dadurch wirkte der Raum viel größer und die Linien kamen besser zur Geltung. Allerdings gab es deshalb auch nicht so viel zu erkunden, und nach einem Abstecher zum Grab von Brunelleschi (und dem geschickt davor platzierten Museumsshop), waren wir auch schon fertig mit der Besichtigung. Und ich hatte Hunger. Das war der Anfang der Misere. Es war nämlich schon kurz vor drei, und um diese Uhrzeit an einem Sonntag etwas (für Vegetarier) Essbares zu finden ist praktisch unmöglich. In einem Restaurant hatte man uns freundlich darauf hingewiesen, dass man um drei schließe und wir deshalb gefälligst verschwinden sollten. Und die anderen hatten geschlossen. Oder waren zu teuer. Oder hatten nichts für mich im Angebot.
Nach einer Viertelstunde des Umherirrens fing Eva schließlich an zu quengeln, dass sie nicht mehr herumlaufen wollte und ich gab schließlich schweren Herzens und knurrenden Magens nach. Meine Laune war dementsprechend sonnig, sodass Eva sich mit einem Buch in den Garten zurückzog, sobald wir zurück waren, und ich mich ins Bett verkroch und alles in meiner Umgebung finster anstierte. Das aber erst, nachdem Eva dem Ganzen noch eins draufgesetzt hatte, indem sie dem Portier auf seine Nachfrage hin sagte, dass wir am nächsten Tag abreisen würden, ohne mich vorher darüber zu informieren. Dabei hatten wir eigentlich geplant, einen Tag länger zu bleiben.
Meine Laune war also schon auf dem absoluten Tiefpunkt angekommen, bevor ich meine neuen Zimmergenossinnen kennen lernen durfte. Und was soll ich sagen, es war Liebe auf den ersten Blick. Sie kamen zur Tür herein und ich wusste, dass sie Amerikanerinnen waren. Als ich ihnen das später mitteilte, waren beide ziemlich überrascht. Ich frage mich, ob das immer so ist, denn eigentlich finde ich amerikanische Touristen eher auffällig. Und es würde mich auch nicht wundern, wenn mich jemand eindeutig als Deutsche identifizieren würde. Aber die beiden waren überrascht. Vielleicht hatten sie ja versucht, besonders dezent zu sein. Natürlich mussten sie sich auch gleich vorstellen, wir würden ja schließlich ein paar Stunden miteinander verbringen, aber davon habe ich eher wenig mitbekommen. Mein Gehirn hat nach dem Namen Betty-Sue (ich hätte nicht gedacht, dass Leute ihre Kinder wirklich so nennen) und „from Massachusetts“ (Was sollte ich denn mit der Information?) auf Durchzug geschaltet. Ich erinnere mich nur noch dunkel an die Worte „college“ und „Greece“.
Trotzdem ließen die beiden mir keine Ruhe. Und nein, es lag nicht daran, dass sie so unglaublich faszinierend gewesen wären, sondern eher daran, dass sie ständig an meinem Bett vorbei zum Bad liefen, entweder um zu duschen (drei Mal am Tag pro Person), sich zu schminken (auch drei Mal), zu föhnen (jedes Mal zwischen schminken und duschen), das Glätteisen zu benutzen und so weiter und so fort. Ich war unglaublich froh, als sie ihre Sachen einschlossen (und mehrfach kontrollierten, ob der Schrank auch wirklich zu war) und hinausstöckelten. Dabei warfen sie mir immer wieder ängstliche Blicke zu, als würde ich ihnen das Shampoo und die Unterwäsche klauen und sie über das Internet an Perverse verkaufen. Oder vielleicht auch den Föhn, was für sie sicher dem Ende der Welt gleichgekommen wäre.
Am späten Nachmittag hatte ich mich endlich abgekühlt und Eva steckte vorsichtig den Kopf zur Tü herein, weil es ihr auf der Bank wohl doch etwas unbequem geworden war. Und da sie inzwischen auch Hunger hatte und mein Magen sich anhörte wie ein brüllender Löwe, beschlossen wir, noch mal ein Restaurant zu suchen. Nach fast einer Woche ohne vernünftige Mahlzeit war es auch mal wieder an der Zeit.
Wir landeten schließlich in einem chinesischen Restaurant am Bahnhof, das einigermaßen billig war. Dummerweise konnte die Bedienung kein Englisch, aber da wir wohl wie Kunden wirkten (wohl wegen meines Magens) bekamen wir einen Tisch zugeteilt. Die Speisekarte war dann glücklicherweise in vier Sprachen, von denen ich zwei mehr oder weniger gut beherrsche (Englisch und Japanisch) und mit Fingerzeig konnte ich der vermutlich chinesischen Bedienung klar machen, dass ich gerne Tofu in scharfer Soße hätte, zusammen mit einer Schale 白米 (für uns stinknormaler Reis, aber es gab noch etwa zwölf andere Varianten). Eva hatte sich auf Gutdüncken für das frittierte Hähnchen in Zitronensoße entschieden, oder etwas in der Art.
Chinesisches Essen in Italien ist definitiv ein Erlebnis, die Speisekarte sieht nämlich völlig anders aus, als bei uns, und das Essen schmeckt auch anders. Im Fernsehen lief dazu irgendein Championsleague-Spiel, untermalt von japanischen Schlagern. Insgesamt wirkte es doch alles etwas bizarr.