Tag 8: Extreme-Sightseeing (04.02.2006, Samstag)
Da wir uns dachten, dass der Sonntag in den Museen unter Umständen noch anstrengender werden könnte, hatten wir uns vorgenommen, die Uffizien als erstes am Samstagmorgen in Angriff zu nehmen. Einerseits, um im Museum möglichst viel Zeit zu haben, denn wir hatten beide relativ hohe Erwartungen und stellten uns auf ein paar Stunden ein, und andererseits, um nicht mit den ganz großen Massen durchs Museum schleichen zu müssen. Das hatten wir ja schon im Vatikan hinter uns. Wir hatten uns also so früh wie möglich auf den Weg gemacht; und natürlich war es trotzdem fast schon hektisch am Eingang. Die Betonung liegt hier auf fast, denn die Unruhe rührte daher, dass keiner der Besucher wirklich wusste, was er zu tun hatte – und selbstverständlich kaum einer Italienisch beherrschte.
Irgendwie schafften wir es dann doch durch die Sicherheitskontrolle, die hier tatsächlich Sinn ergab, denn vor einigen Jahren wurden ein paar der Bilder durch eine Autobombe zerstört, und kauften unsere für EU-Bürger ermäßigten Tickets (für unter 18- und über 65-jährige war der Eintritt ganz frei). Um sicherzugehen, dass wir auch in die richtige Richtung gingen, hängten wir uns an eine Gruppe Rentner mit Führer (der den Weg schließlich kennen sollte), die in den obersten Stock ging, mit einem kleinen Abstecher in einen separaten Raum mit Skizzen eines Renaissancearchitekten (Bramante oder Brunelleschi? Die Namen fingen da schon an, etwas zu verschwimmen).
Das erste, das einen oben erwartete, war eine Galerie (von der das Wort im Sinne von Kunstgalerie übrigens stammt) voll mit einer Portraitsammlung wichtiger Renaissance-persönlichkeiten und (pseudo-)antiken Götterstatuen und einigen Büsten römischer Kaiser. Die Gemälde in den Räumen, die man vom Hauptgang aus erreichen konnte, waren allesamt offenbar auf unterschiedlichste Weise (Künstler, Land, Zeit, Thema) geordnet. In den ersten Räumen erwarteten uns zahlreiche Mariendarstellungen, deren Hintergrund meistens aus Blattgold bestand. Ich frage mich, warum man das heute nicht mehr macht. Gold als Hintergrund hat nämlich eine wirklich unerwartet beeindruckende Wirkung.
Und dann kamen auch schon die berühmtesten Bilder: Die Geburt der Venus von Botticelli, vor der sich Unmengen von Touristengruppen aufstellten, um sich von ihren Gruppenleitern etwas unglaublich Wichtiges erzählen zu lassen. Die Japaner bekamen zum Beispiel etwas über die griechische Mythologie erzählt und die Amerikaner über den Maler. Mit dem Bild hatte das allerdings eher wenig zu tun, und keiner von ihnen machte wirklich Anstalten, es einfach auf sich wirken zu lassen. Im nächsten Saal (dem mit den drei Leonardos) lief es ähnlich. Wobei ich sagen muss, dass ich nicht wirklich weiß, was an den zwei fertigen Gemälden so toll sein soll. Sie sahen für mich einfach zu perfekt aus. Das halbfertige in der Mitte dagegen war wirklich schön. Wesentlich interessanter als die Bilder war aber immer noch das Gros der Besucher, die sich so sehr wie Touristen benahmen, dass es schon beinahe wehtat. Und die meisten von ihnen machten ein Gesicht, als wären Museen das Langweiligste, was sie sich überhaupt vorstellen können. Da frage ich mich dann, warum sie sich überhaupt die Mühe machen und das Geld für den Eintritt bezahlen. Nur, um nachher behaupten zu können, sie hätten dieses oder jenes Bild im Original gesehen, nachdem sie in ungefähr drei Sekunden daran vorbeigerauscht sind? Ich brauche wenigstens fünf Sekunden pro Bild.
Nach den Highlights der italienischen Renaissance ging es zu denen der deutschen, die mich, um ehrlich zu sein, mehr angesprochen haben. Warum weiß ich selber nicht so ganz, aber Dürer und Cranach sind meiner Meinung nach einfach simpler und gleichzeitig dunkler, zumindest was die ausgestellten Stücke anbelangt. Dort fiel mir dann auch zum ersten Mal das Ehepaar auf, das ich irgendwie vom ersten Moment an als Deutsche erkannte.
Als ich dann im nächsten Raum vor dem Bild irgendeines Venezianers stand, fing der Mann an (sie waren wirklich Deutsche) mir zu erklären, dass dieses Bild von besagtem, offenbar berühmten Maler war und die Pinselführung für einen Italiener wirklich ungewöhnlich, denn das Gemälde sah auf den ersten Blick aus wie eine Zeichnung. Seine Frau fing dann an, ihn mit Dürer zu vergleichen und sie erzählten mir und Eva abwechselnd etwas über den Einfluss der italienischen auf die deutsche Renaissance und die Unterschiede zwischen beiden. Auch über das nächste Bild (vom selben Künstler, noch ungewöhnlicher) erzählten sie uns etwas, und schwangen sich dabei zu intellektuellen Höhen auf, denen wir fast nicht folgen konnten. Welcher normale Jugendliche weiß schon, was man unter Hypnerotomachia Poliphili versteht? Ich wusste es nur deshalb, weil ich einige Tage zuvor The Rule of Four zu Ende gelesen hatte.
Obwohl die beiden wirklich nett waren, verloren wir sie bald wieder aus den Augen, vermutlich deswegen, weil sie noch langsamer durch die Ausstellung schlichen als Eva und ich, eigentlich ein echtes Wunder, so gründlich (langsam) wie Eva immer ist. Von da an habe ich, um ehrlich zu sein, auch nicht mehr so wirklich viel von der Galerie mitbekommen. Irgendwann sah alles für mich aus wie eine Madonna mit Kind und die Namen verschwammen auch zusehends. Ich erinnere mich noch dunkel an Caravaggio, Rubens, Rembrandt und Tizian, außerdem noch an ein berühmtes Portrait von Lorenzo de’ Medici. Aber das alles könnte ebenso gut Einbildung gewesen sein.
Am Ende unseres Rundganges trafen wir auch wieder auf den Mann, der uns schon den venezianischen Maler erklärt hatte, und dieses Mal erzählte er uns, was es mit den ganzen Bildern berühmter Personen auf sich hatte, die in den Fluren der Uffizien hingen. Offenbar hatte irgendeiner mal von allen diesen Leuten Portraits anfertigen/kopieren lassen, um zu wissen, wie sie denn alle aussahen. So eine Art erster Ansatz von einem Allgemeinbildungsideal. Eva fragte schließlich geistesgegenwärtig, warum er denn soviel über das Thema wisse, aber er antwortete nur „berufliches Interesse“ Anscheinend waren wir an einen Kunsthistoriker geraten.
Nachdem wir uns von ihm verabschiedet hatten, machten wir uns auf den Weg zum Ausgang/Museumsshop. Ich weiß nicht, ob das außer mir schon einmal jemandem aufgefallen ist, aber in Museumsshops gibt es grundsätzlich jede Menge Dinge zu kaufen, die man erstens nicht braucht, zweitens hässlich findet und die drittens überteuert sind. Daher meine Frage: Wer kauft sich diese Dinge? Ich würde ja gerne öfters Souvenirs in Museen kaufen, wenn sie nicht so furchtbar einfallslos wären. Die Uffizien sind da leider keine Ausnahme, und so verbrachten wir zwanzig Minuten damit, etwas Brauchbares zu suchen, und scheiterten kläglich. Es gab zwar Lesezeichen, die gut aussahen, aber mal ehrlich, wer benutzt die Dinger denn wenn er sie mal braucht? Ich jedenfalls nicht, für so etwas gibt es doch schließlich Papiertaschentücher, Briefwurfsendungen und Flyer. Selbst die ausgewählten Drucke waren einfach nur langweilig, denn keines der wirklich guten Bilder gab es auch nur auf einer Postkarte, geschweige denn auf einem Plakat.
Nach dem ziemlich enttäuschenden Museumsshop hatten wir erstens Hunger und zweitens noch einen halben Tag totzuschlagen. Wie am Vortag entschied ich mich für Falafel (con pikante), und infolge des unerwartet scharfen Geschmacks (wer ahnt denn schon, dass die das in Italien tatsächlich auch meinen) für eine überteuerte Cola light. Wir setzten uns schließlich auf eine Bank an einer Piazza mit einer Kirche, die verdächtig nach dem Duomo aussah.
Nachdem wir uns eine Weile ausgeruht hatten (Eva hatte ja schon seit ein paar Stunden nicht mehr gesessen), fiel mir auf, dass ich kaum noch genug Fotos auf meinem Film übrig hatte und Nachschub brauchte. Also steuerten wir den nächsten Souvenirshop an, denn die Buden am Straßenrand wirkten nicht gerade seriös. Dort erbeuteten wir dann tatsächlich noch brauchbare Souvenirs. In meinem Fall war das ein dezenter Firenze-Aufnäher in rot und weiß.
Danach beschlossen wir, in die Kirche zu gehen, denn der Eintritt sollte erstaunlicherweise nur fünf Euro kosten. Die Kirche Santa Croce, die wir eigentlich erst für den Duomo hielten, (ein Irrtum, der uns erst auf dem Rückweg zum Ostello auffallen sollte) war eine der wenigen Kirchen in Italien, die auf mich nicht wie eine Touristenattraktion wirkte. Trotz der Bauarbeiten war es ruhig und die Menschen flüsterten tatsächlich. Fotos machte auch keiner. Sogar die paar Japaner verhielten sich still und unauffällig! Solche Kirchen sollte es öfter geben, dann würde ich mich vielleicht ausnahmsweise an die Sehenswürdigkeit an sich erinnern und nicht an die (nicht vorhandenen) Touristenmassen und deren Fehlverhalten.
Und eigentlich war die Kirche auch ganz schän. Es gab Grabmäler verschiedener berühmter Florentiner (wie Michelangelo) zu bewundern, und ein etwas abseits gelegener Teil wurde von Brunelleschi entworfen. Oh, und außerdem gab es Teile von der Kleidung des Heiligen Franz von Assisi, wenn ich mich recht erinnere, die in irgendeiner Glasvitrine vor sich hin dämmerten. Alles in Allem eines der lohnendsten Gotteshäuser meines Italienaufenthaltes. Schließlich setzten wir uns auf die Stufen auf dem Platz vor der Kirche, sodass Eva ihre Postkarten fertig schreiben konnte, und ich endlich mal wieder genug Zeit hatte Musik zu hören und den Touristengruppen zuzusehen. Das Ehepaar aus den Uffizien lief auch wieder an uns vorbei. Schicksal.
Nach einem weiteren Abstecher zum Supermarkt machten wir uns wieder auf den Weg zurück zum Ostello. Und dieses Mal konnten wir auch tatsächlich ins Internet. Das war am Vortag ja defekt gewesen. Also verbrachte ich eine halbe Stunde (und das ziemlich punktgenau) damit, meine circa dreihundert E-Mails im Postfach auszumisten. Es ist doch wirklich unglaublich, wie viel Mist sich in einer Woche so ansammeln kann. Und die DVD des Tages war dieses Mal Troja, ein Film, den ich mir immer mal hatte ansehen wollen. Nur Geld wollte ich dafür nicht so wirklich bezahlen. Ich wusste schließlich schon vorher, dass ich den Film im besten Falle unfreiwillig komisch finden würde, und meine Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Als Komödie taugt er, aber als erstzunehmende Version des ursprünglichen Stoffes nicht wirklich.