Tag 10: Trenitalia, Klappe die Zweite (06.03.2006, Montag)
Montagmorgen waren wir immer noch viel zu müde, hauptsächlich deshalb, weil wir in der Nacht nicht hatten schlafen können. Und dieses Mal lag es nicht an der laufenden Lüftung, an die hatten wir uns schon irgendwie gewöhnt, sondern an unseren liebreizenden Zimmergenossinnen. Die waren nämlich zurückgekommen, als wir schon längst im Bett lagen und uns auf eine ruhige Nacht freuten. Und natürlich mussten beide erst einmal duschen, so laut wie möglich mit Türen knallen und das Licht anschalten. Nach mindestens einer halben Stunde Rumgewühle und -geklappere lagen sie endlich im Bett und entschieden sich, noch ein Buch zu lesen. Nur schien mir dabei ihre Lampe direkt ins Gesicht. Ich kann also nicht genug betonen, wie sehr ich mich auf die Abreise freute. Noch eine Nacht mit ihnen und ich hätte jemanden umgebracht. Von dem Gedanken, mich wieder mit der Trenitalia auseinandersetzen zu müssen war ich dagegen weniger beigeistert. Und meine Erwartungen an die italienische Bahn wurden nicht enttäuscht.
Da wir nicht wussten, wann der nächste Zug abfahren würde, stellten wir uns am Informationsschalter an. Als war dann an die Reihe kamen, erfuhren wir von der überraschenderweise freundlichen und der englischen Sprache mächtigen Angestellten, dass der letzte Zug direkt nach Padua gerade abgefahren war. Sie suchte uns dann aber eine Verbindung heraus, mit der wir auch bald würden fahren können, wir mussten nur in Bologna umsteigen und uns für den Zug dahin Sitzplätze reservieren – beim miesgelauntesten Angestellten des ganzen Bahnhofs. Als wir vorm Schalter standen musterte er uns erst einmal ausdruckslos, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass er uns geradewegs in die Hölle wünschte. Und beabsichtigte, uns auf dem Weg dahin behilflich zu sein. Als Eva ihm dann auf Englisch zu verstehen gab, dass wir Plätze für den ICplus reservieren wollten, grunzte er nur kurz. Wir deuteten das als Nicht-Verstehen. Also zeigt Eva ihm einfach den Zettel, den man uns kurz vorher gegeben hatte, und sagte irgendwas in Richtung „due …“ Der Mann gab ein etwas helleres Grunzen von sich und tippte etwas in seinen Computer, druckte es aus und gab es Eva. Sie war schon am Gehen, als ich mir das noch mal ansah und feststellte, dass er nur einen Platz reserviert hatte. Als wir kehrtmachten, schien er noch missmutiger zu werden und druckte nach kurzem Meckern unsererseits doch noch eine Reservierung für mich aus. So weit, so gut.
Da wir noch ein paar Minuten hatten (unser Zug hatte zehn Minuten Verspätung), setzten wir uns in den Wartesaal. Dazu muss ich sagen, dass man in Wartesälen der Trenitalia immer auffällig viele Nonnen trifft, die fröhlich miteinander plaudern. Die Nonnen kamen und gingen und wir saßen und saßen, bis unser Zug schließlich mit vierzig Minuten Verspätung einfuhr.
So schnell wie es ging hasteten wir zum entsprechenden Gleis und kletterten in den Zug. Dort kramten wir unsere Platzkarten heraus – nur um festzustellen, dass unsere Plätze noch nicht einmal im selben Wagen waren. Gut, man(n) hätte sich auch nicht so leicht denken können, dass wir zusammengehörten. Wir klebten ja nur zusammen, als wir danach fragten. Vollkommen entnervt machten wir uns auf die Suche nach einem Abteil, in dem noch Platz für zwei war, bis wir schließlich bei einem ankamen. Wir fragten nach: „Still free?“
Verwirrtes Geblinzel.
„Is somebody sitting there?“
Wir bekamen schließlich aus unseren widerwilligen Gesprächspartnern heraus, dass wohl noch niemand seinen Anspruch auf die zwei Plätze angemeldet hatte, dass das aber durchaus noch passieren könnte. Und es war mehr als klar, dass wir in diesem Abteil nicht erwünscht waren. Dummerweise gab es keine anderen freien Plätze, also setzten wir uns. Und es verschaffte mir Genugtuung, dass niemand mehr kam, um einen der beiden Plätze zu beanspruchen. Unsere Mitreisenden hatten wohl auch resigniert. Und weil die Trenitalia mich jetzt einmal zu oft genervt hatte, inspirierte sie mich zu einem kleinen Gedicht:
Ist Pünktlichkeit dir ganz egal?
Suchst du sehr schlechtes Personal?
Hast du nichts gegen Abenteuer?
Ist Ordnung dir nicht ganz geheuer?
Dann sag ich dir, und das ganz klar:
Fahr mit der Trenitalia!
An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass ich in entnervtem Zustand besonders kreativ bin, was das Schreiben von Satiren oder etwas Humorvollem anbelangt.
Der Rest der Fahrt nach Padua verlief relativ ruhig. In Bologna suchten wir erst das angegebene Gleis ohne zu bemerken, dass wir schon draufstanden und der Zug war zuerst etwas überfüllt, aber nach der Hälfte der Strecke, die ich gegenüber eines anderen Rucksacktouristen mit Aufnähern australischer Tierparks und einem englischen Taschenbuch verbrachte, bekamen wir recht gute Plätze ohne nervige Mitfahrende.
In Padua wollten wir dann als erstes eine Unterkunft suchen. Ich hatte schon in meinem Reiseführer nachgesehen und die Jugendherberge schien die beste Alternative zu sein. Zur Sicherheit wollten wir aber noch mal an der Touristeninformation nachfragen. Zu unserem Leidwesen wurde der Bahnhof gerade renoviert. Im Zuge eines Programms, um italienische Bahnhöfe ansprechender zu gestalten, glaube ich. Dabei hat die an sozialistische Betonbauten angelehnte Architektur auch einen gewissen Charme, so wie Fabrikruinen und verrostete Autos.
Ich schlug also vor, in die Innenstadt zu gehen. Eva stimmte zu, marschierte aber in eine vollkommen andere Richtung. Schulterzuckend folgte ich einfach, sie würde ja schon wissen, was sie da tat. Wie sich herausstellte tat sie das aber nicht und wir mussten uns wieder zurück zum Bahnhof schleppen, wo wie nach einigem hin und her dann auch die Ersatztouristeninformation fanden, die es auch nicht besser wusste. Also machten wir uns auf den Weg zur Jugendherberge.
Die lag nur leider am anderen Ende der Innenstadt, was schon ohne Gepäck ein Marsch von zwanzig Minuten ist. Mit Gepäck dauerte es natürlich entsprechend länger, besonders, da ich immer wieder pausieren musste. Also marschierten wir unter den erstaunten Blicken der Bewohner gen Süden, vorbei an diversen bizarren Geschäften (zum Beispiel einem Disney-Store) und über zwei Flussarme, bis wir schließlich an der Jugendherberge ankamen. Die war nur dummerweise noch geschlossen, wir klingelten aber trotzdem und konnten wenigstens unser Gepäck unterstellen. Sie würden erst gegen 1600 Uhr öffnen. Immerhin waren wir jetzt einige Kilo leichter und entsprechend beschwingt gingen wir zurück an die Stelle, an der wir einen Dönerladen passiert hatten.
Ich bekam dort auch tatsächlich meinen geliebten Falafel, auch wenn sich das Bestellen als etwas schwierig erwies, da der Verkäufer weder Deutsch noch Englisch konnte und wir kein Italienisch. Ich stellte allerdings relativ schnell fest, dass mein Italienisch besser war, als ich dachte. Als ich ihn nämlich mit „senza carne“ unterbrach, damit er mir kein Fleisch dazu tat, hat er es tatsächlich verstanden. Nur an meinem „con pikante“ hat er etwas gezweifelt, vermutlich, weil ich einfach nicht so aussah, als könnte ich es vertragen. Eva musste ihm zum Schluss noch ein paar Wörter in Deutsch und Englisch übersetzen und ich konnte mich endlich an mein Frühstück/Mittagessen machen.
Die Zeit, die wir totzuschlagen hatten, setzten wir uns in die Mitte eines großen Platzes, des Prato. Ich erinnere mich nicht mehr an wirklich viel, außer dass ich die ganze Zeit Franz Ferdinand hörte und Eva spielt Sudoku. Sobald es an der Zeit war gingen wir zurück und bekamen von dem immer schlecht gelaunten Rezeptionisten ein Zimmer zugeteilt. Wir mussten nur noch das Geld bezahlen, und dabei mussten wir noch nicht einmal einen Jugendherbergsausweis vorzeigen oder beantragen, wie eigentlich dick, fett und in fünf Sprachen über seinem Kopf an der Wand stand. Auch gut, denn schließlich hatten wir keinen.
Wir schnappten uns schnell unsere Rucksäcke, die Bettwäsche hatten wir schon bekommen, und machten uns auf die Suche nach unserem Zimmer, das, wie wir feststellten, nicht einmal zu verschließen war. Dabei hatten wir einen Schlüssel bekommen, wir wussten nur nicht so recht wofür.
Da wir beide schon ziemlich fertig waren, wir hatten ja in der Nacht nicht wirklich unsere Ruhe gehabt, und da wir auch keine Lust hatten, uns großartig zu bewegen, legten wir uns ein wenig hin. Wir waren gerade am Dösen, als unsere neue Mitbewohnerin reingeplatzt kam. Nach einigem hin und her auf Englisch und Italienisch stellten wir schließlich fest, dass wir alle aus Deutschland kamen, was die Kommunikation erheblich erleichterte. Noch positiver überrascht waren wir, als wir feststellten, dass Maria sich tatsächlich auf Italienisch verständigen konnte und in Padua eine Wohnung suchte um zu studieren. Außerdem wusste sie, wen sie nach einem Supermarkt fragen musste: den stoischen Rezeptionisten.
Und der Supermarkt lag auch nur ein paar Minuten von der Herberge entfernt, vorbei an einer Kirche und über eine Kreuzung. Ich denke mich da mal wieder mit etwas Süßem ein, kaufte aber auch einen Laib Brot und etwas Käse. Wieder zurück auf unserem Zimmer setzten wir und zu dritt auf Evas Bett und teilten unser Essen. Käse und Joghurt wurden danach in den „Kühlschrank“ getan (eine vors Fenster gehängte Plastiktüte). Danach unterhielten wir uns bis spät in die Nacht, unter anderem über nervtötende Mitbewohner, bis unsere Nachbarin sich über den Lärm beschwerte.