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Rodo, 2023

Reisenotizen (Italien)


Tag 11: Schnitzeljagd (07.03.2006, Dienstag)

Für den Dienstag hatten Eva und ich den ersten Tag in Venedig eingeplant, das ja nur etwa vierzig Minuten mit dem Zug entfernt lag. Geweckt wurden wir zu einer leider vollkommen unchristlichen Zeit vom Niesen aus dem Nachbarzimmer. Maria und Eva machten sich auf zum Frühstück, das ich mir lieber (er)sparen wollte, und um kurz nach neun verließen wir dann gezwungenermaßen die Jugendherberge, die erst wieder am Nachmittag öffnen würde, und trabten zum Bahnhof. Die Paduaner sahen an diesem Tag auch nicht netter aus als am vorherigen.

Der nächste Zug nach Venedig fuhr innerhalb weniger Minuten vollgestopft mit Pendlern ab, unter anderem mit einer jungen Frau, die in den falschesten Tönen Lieder von Alanis Morissette sang. Ich konnte aber trotzdem nicht anders, als mich auf den Tag zu freuen. Der Himmel war strahlend blau und es war fast schon warm. Im Vorbeifahren konnte man schneebedeckte Bergkuppen sehen, bis wir dann in die Lagune fuhren, die einen komplett anderen Eindruck erweckte, als das Mittelmeer auf der anderen Seite: türkisblau und ruhig im Gegensatz zu stürmendem Dunkelblau.

Der Bahnhof Santa Lucia war, wie sollte es auch anders sein, ein absolutes Prachtbeispiel italienischer Bahnhofsarchitektur, ein in den Sechzigern vermutlich futuristisch anmutender Betonklotz mit dem Charme ostdeutscher Plattenbauten. Direkt vorm Eingang erstreckte sich dann (zum Glück) schon der Canale Grande. Da der Stadtplan von Venedig, den ich in meinem Reiseführer hatte, nicht besonders gut war, beschlossen wir, an der Touristeninformation nach einem anderen zu fragen, bekamen aber zu verstehen, dass wir dafür zwei Euro bezahlen sollten. Und das fragliche Stück war nur ein mickriger Papierplan, der innerhalb weniger Stunden in atomare Bestandteile zerfallen würde. Nein danke, es musste auch so gehen.

Und siehe da, gleich auf der anderen Seite des Canale Grande gab es den ersten Wegweiser. Wir wollten nur zur Rialto-Brücke und zur Piazza San Marco, und tatsächlich schienen beide auch noch in derselben Richtung zu liegen.

Zu unserem Leidwesen mussten Eva und ich dann aber feststellen, dass Venedig erstaunlich viel Ähnlichkeit mit einem Labyrinth besaß, und vermutlich ebenso viele Sackgassen. Die Wegweiser erwiesen sich auch als leicht irreführend, da sie öfter in zwei Richtungen für ein Ziel zeigten, gar nicht vorhanden waren oder hinter irgendwelchen anderen Schildern versteckt angebracht waren. Und manchmal war auch nicht ganz klar, auf welche von zwei Straßen sie nun zeigten. Außerdem bekamen wir den leisen Verdacht, dass sie einen dazu bringen sollten, an sämtlichen Souvenirläden der Stadt vorbeizulaufen und womöglich noch etwas zu kaufen.

Nur leider besteht Venedig praktisch nur aus Souvenirläden der schlimmsten Sorte. Es wäre ja nicht besonders schlimm hin und wieder mal einem Geschäft für Murano-Glas oder Karnevalsmasken zu begegnen, allerdings machen diese beiden zusammen etwa 66% der gesamten Ladenfläche aus. Der Rest besteht wohl nur aus Restaurants, Imbissen und Gelaterias. Es ist also nicht unbedingt eine Seltenheit, zwei Läden für Murano-Glas nebeneinander zu finden, die auch noch fast dasselbe hinter ihren Fenster stehen haben. Einige dieser Exponate waren dann auch noch wirklich sonderbar, zum Beispiel diverse Phallussymbole aus fleischfarbenem Glas, sodass ich ernsthaft begann, am Intellekt eines durchschnittlichen Venedigbesuchers zu zweifeln. Und wenn schon nicht am Intellekt, dann doch wenigstens am Geschmack.

Wir erreichten schließlich nach ungefähr einer halben Stunde des Umherirrens und des „Da! Ein Schild!“-Rufens die Rialto-Brücke, ohne dass wir uns ernsthafte Verletzungen zugezogen hätten. Das ist wirklich nicht so leicht wie es klingt, denn die durchschnittliche venezianische Straße ist ungefähr zwei (normalgewichtige) Menschen breit, es gibt also keinen Ausweichraum, wenn einem jemand entgegen kommt. Und das ist nicht unbedingt selten, denn es gibt ja händchenhaltende Pärchen (allesamt Touristen, Einheimische würden nie aus so eine dämliche Idee kommen), die Karrenschieber, die die Läden versorgen, bissige (na ja, bellende) Hündchen und Hobbymusikanten, die mit ihren Cellos, Tuben und allerlei anderen merkwürdigen Instrumenten von einem Ort zum anderen müssen. In solchen Fällen bleibt einem dann nur noch, sich an die nächste Wand zu pressen und den Bauch einzuziehen.

Der Blick entschädigte uns dann aber vollkommen. Venedig ist eine schöne Stadt. Daran gibt es keinen Zweifel. Und ich musste natürlich erst einmal einen Film vollschießen und einen neuen einlegen. Der Kanal war auch voller unbenutzter Gondeln, die vor sich hin schwankten, während ihre Besitzer dem Wetter entsprechend in dicke Pullis gekleidet miteinander tratschten. Das leicht kühle Wetter animierte offenbar niemanden dazu, sich der Gefahr eines unfreiwilligen Bades auszusetzen. Wir selber ließen die obligatorische Gondelfahrt aus wesentlich pragmatischeren Gründen aus: Sie hätte wesentlich mehr gekostet, als wir uns auch nur annähernd hätten leisten können.

Nach der Rialto-Brücke setzten wir unsere Schildersuche fort und landeten schließlich auch da, wo wir hinwollten, auf dem Markusplatz. Es sah ganz so aus, als bekämen wir langsam Übung. Um mich etwas aufzuwärmen versuchte ich mich an dem in unseren Breiten immer mit Misserfolg gekrönten Sport des Taubentretens, eine Idee, die sich als nicht ganz so gut herausstellte, denn ich traf wirklich, zum vermutlich ersten Mal in meinem Leben. Und das war ja nun ganz und gar unbeabsichtigt.

Dazu muss ich sagen, dass es auf dem ganzen Platz etwa zwanzigmal so viele Tauben wie Menschen gibt; man kommt sich also ein bisschen so vor, als müsste man durch ein Meer von Tauben waten, um von einer Seite zur anderen zu gelangen. Kein besonders beruhigender Gedanke in Zeiten der Vogelgrippe. Einige Tiere sahen auch nicht gerade so aus, als würden sie noch lange durchhalten, beziehungsweise lagen schon tot irgendwo herum.

Hinzu kommt, dass es offenbar eine Art Tradition ist, die Tauben zu füttern. Man kann sogar spezielles Taubenfutter kaufen. Das macht die Tiere natürlich nicht unbedingt gesünder sondern eher fettleibig und außerdem auch um einiges zutraulicher. Und obwohl es seine Reize haben kann, eine Taube auf dem Arm sitzen zu haben, die hysterischen Schreie einer Touristin, die die putzigen Tierchen füttern wollte, bleiben mir noch heute in Erinnerung. Die Tauben hatten nämlich offenbar den Eindruck, dass ihre Lockenfrisur wesentlich bequemer sein würde als ihr Arm, und vertreiben ließen sie sich auch nicht so recht.

Da wir für den Rest des Tages nichts anderes geplant hatten, beschlossen wir, etwas durch die Stadt zu laufen und etwas Essbarem zu suchen. Bei meinen Ansprüchen dauerte das natürlich etwas länger. Nachdem wir wieder am Canale Grande entlang zurücktaperten fanden wir einen Laden, der nach dem System einer Kantine funktionierte und über unfreundliches Personal verfügt, der aber dafür wenigstens Tagliatelle mit Pilzen verkaufte.

Den Rest des frühen Nachmittags verbrachten wir damit, ziellos durch die Kanäle und Straßen zu wandern und dabei die himmlische Ruhe zu genießen, die anderen Städten wegen der Autos einfach fehlt. Und ich habe mir das beste Pistazieneis gekauft, das ich seit Jahren gegessen habe. Italienische Eisdielen haben nämlich ganzjährig geöffnet. Und zumindest dieses Eis schmeckte auch um einiges besser.

Als wir dann zuräck in Padua waren stellten wir auch fest, dass wir eine neue Zimmergenossin hatten. Maria Eloisa aus Brasilien hatte nämlich genug von der verrückten Jugoslawin im Nachbarzimmer gehabt und deswegen einen Zimmerwechsel beantragt. Ihr war wohl von Anfang an klar, dass sie mit uns mehr Glück hatte. Und so machten wir alle aus, am nächsten Tag zusammen nach Venedig zu fahren.