Tag 6: Stimmungstöter (02.03.2006, Donnerstag)
Unser letzter Tag in Rom fing sonnig und viel zu früh an, aber wir hatten es uns in den Kopf gesetzt, in die Vatikanischen Museen zu gehen, und wir dachten, es wäre am besten, möglichst früh loszugehen. Also standen wir doch auf und schleppten uns zum Bahnhof, um wieder die Metro zu nehmen. Dieses Mal gab es keine Probleme beim Ticketautomaten, am Vortag wurden sie anscheinend repariert, aber auf dem Bahnsteig wimmelte es nur so vor Leuten. Als die Bahn kam, stürmten alle auf die Türen zu, aber da sie schon restlos überfüllt war, schaffte es nur etwa ein Drittel der Wartenden hinein.
Vier Minuten später kam die nächste Bahn und wir hatten uns extra nah an der gelben Linie platziert, doch leider war die Tür, die vor uns zum halten kam, defekt, und so mussten wir wieder auf dem Bahnsteig bleiben. Wir fürchteten schon das Schlimmste, doch die dritte war praktisch menschenleer, also schafften wir es tatsächlich, um kurz nach halb neun in der Schlange für den Museumseingang zu landen, den Weg dahin kannten wir dieses Mal ja schließlich schon.
Nach einer halben Stunde eingeklemmt zwischen zwei japanischen Reisegruppen konnten wir dann auch endlich durch eine dieser unglaublich sinnvollen Sicherheitskontrollen und ins Museum, wo wir zu unserer Freude feststellten, dass es für Studenten ermäßigte Tickets gab. Nur dummerweise nicht an dem Schalter, für den wir uns angestellt hatten, daher mussten wir uns noch einmal anstellen, und selbstverständlich an der längsten Schlange, zu der regelmäßig von anderen Schaltern junge Leute aus allen Teilen der Welt geschickt wurden, die allesamt mit leicht beschämtem Gesichtsausdruck angetrottet kamen. Wir waren also nicht die einzigen, die das übergroße „students“-Schild übersehen hatten. Was aber an sich auch kein Wunder war, denn alle Besucher des Museums stürmten hinein, sodass man fast das Gefühl hatte, es mit dem letzten Sommerschlussverkauf zu tun zu haben. Man musste ja auch möglichst viel aus den drei Stunden machen, die man höchstens Zeit hatte.
Sobald wir es dann tatsächlich geschafft hatten, uns einen Audio-Guide zu organisieren, standen wir vor einem mehr als undurchsichtigen Wegweiser und diskutierten, wo wir denn nun hin wollten. Schließlich landeten wir nach zwei Minuten in der frühchristlichen Kunst, die praktisch ausgestorben vor uns lag. Außer uns waren es noch drei andere Besucher, die zwischen den römischen Sarkophagen hin und her spazierten, während mindestens drei Museumswachen jeden unserer Schritte verfolgten, als ob wir Schwerverbrecher auf Hafturlaub wären. Ich hatte die ganze Zeit das Gefühl, als bereiteten sie sich darauf vor, mich anzuspringen, sobald ich mir einen der zentnerschweren Steinblöcke schnappte und versuchen würde, mit ihm aus dem Fenster zu springen.
Nach der frühchristlichen Kunst beschlossen wir, zum etruskischen Teil des Museums zu gehen, einfach, weil wir noch nie etwas Etruskisches gesehen hatten. Und prompt landeten wir bei den ägyptischen Exponaten. Also gingen wir wieder zurück zur anderen Seite der Halle und standen im Gang mit den römischen Statuen, die allesamt mit einem für uns sehr amüsanten Feigenblatt verziert worden waren. Nachdem wir auch diesen Gang bis zum Ende durchgegangen waren und feststellten, dass es sich um eine Sackgasse handelte, war ich vollends verwirrt. Mein Reiseführer hatte die Vatikanischen Museen als „gut organisiert und übersichtlich“ bezeichnet. Und ich hatte keine Ahnung, wie ich eine Abteilung finden sollte.
Als wir schließlich alle Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, liefen wir in die einzige Richtung, die noch übrig war und landeten auf dubiosen Wegen in der etruskischen Abteilung, die zum größten Teil aus von den Etruskern aus Griechenland importierten Keramiken, einigen Grabbeigaben und Särgen bestanden.
Dann wollten wir zur nächsten Abteilung, und fanden sie schon wieder nicht. Es stellte sich schließlich heraus, dass man keine andere Möglichkeit hatte, als immer geradeaus zu gehen. An sich eine ganz gute Idee, nur dummerweise ist das nicht ganz so gut, wenn man sämtliche Museumsbesucher durch endlose circa fünf Personen breite Korridore schleusen will. Bei der Scala di Bramante war es ja noch relativ leer, doch auf dem Weg zu den von Raffael verzierten Räumen mussten wirklich alle Besucher denselben Weg nehmen.
Es dauerte schätzungsweise zwei Stunden sich bis zur Sixtinischen Kapelle vorzuarbeiten, zumindest fühlte es sich wie zwei Stunden an. Auf dem Weg gab es eine Menge Bilder, Wandteppiche, Statuen und so weiter, doch wenn man eigentlich nur eine Sache sehen will, ist das eher störend als interessant. Die ganze Zeit verbrachte man irgendwo zwischen französischen Schulklassen, ins Handy brüllenden Italienern, quietschenden Japanern und den nervtötendsten Menschen, die man sich überhaupt vorstellen kann. Als wir endlich in der berühmten Kapelle standen, wollte ich nur noch raus. Aber da ich die Strapazen ja nicht umsonst auf mich genommen haben wollte, musste ich mir die Bilder wenigstens ein bisschen angucken. Doch auch dieses Mal ruinierte die Touristenmenge jegliches Vergnügen. Und zusammen mit dem Verhalten der Wachmänner wirkte es geradezu grotesk.
Während das Ordnungspersonal ständig genervte „Shh!“s von sich gab und „No photo!“ rief, fotografierten die Touristen fröhlich vor sich hin und schnatterten über Gott und die Welt, jedenfalls garantiert nicht über die Bilder, die wurden kaum beachtet. Und ich hatte die Nase voll. Gestrichen voll. Ich wollte nur noch raus. Dafür hatte ich mir allerdings den denkbar schlechtesten Zeitpunkt ausgesucht, denn um die Kapelle zu verlassen musste jeder Besucher durch einen nur zwei Personen breiten Durchgang in der Mitte, durch den natürlich alle zur selben Zeit wollten. Nur dummerweise konnte das in just diesem Moment keiner, denn eine Gruppe von Rollstuhlfahrern wurde langsam Person für Person hindurchgeschoben, während von hinten immer mehr Menschen nachkamen.
Und während ich so hilflos eingeklemmt dastand, bekam ich Panik. Und ich meine nicht diese Ach-Das-Ist-Nervig-Panik, sondern die Vollversion. Komplett mit Herzrasen und Tränen und so weiter. Als ich endlich durch das Tor konnte, habe ich sogar hyperventiliert. Das Ordnungspersonal hat das aber nicht interessiert, obwohl zwei Männer direkt neben mir standen. Stattdessen haben sie sich seelenruhig weiter unterhalten, so als ob da nicht gerade jemand verzweifelt versuchen würde, nicht umzukippen. Und zu ihrem Glück erinnerte ich mich dunkel daran im Fernsehen gesehen zu haben, dass man sich Nase und Mund zuhalten müsse, was dann auch geholfen hat. Aber mal ganz ehrlich, ich bin sicher nicht die erste, der das passiert ist. Da sollte man vielleicht als Personal damit rechnen und darauf vorbereitet sein.
Als Eva sich dann auch endlich sattgesehen hatte, folgte sie mir zum Ausgang des Museums (ganz auf der anderen Seite) und wir konnten diese Hölle aus drängelnden Menschen endlich verlassen. Auf der anderen Seite der Straße gab es einen vollkommen überteuerten Imbiss, bei dem wir dann aber doch gegessen haben, weil es tatsächlich Pommes gab, für die ich sechs Euro bezahlte.
Da wir nach drei Tagen Rom schon so viel gelaufen waren, dass wir uns am liebsten für einen Monat nicht mehr bewegt hätten, entschieden wir uns, zum Kolosseum mit der Metro zu fahren. Die Station kannten wir schon von unserer Supermarktsuche vom Vortag und so kamen wir auch ohne Probleme an unser Ziel.
Und dort war es voll. Noch voller als am Dienstag. Um nicht noch mehr Zeit mit Rumstehen in Menschenmengen zu vertrödeln, gingen wir möglichst schnell zum Eingang, wo wir erst einmal für die Sicherheitskontrolle und dann für den Einlass anstanden – bis wir das Schild mit den Eintrittspreisen entdeckten. Zehn Euro Eintritt. Wir konnten das nicht so ganz glauben, und da die Schlange noch dazu unendlich zu sein schien, beschlossen wir kurzerhand, das Kolosseum zu streichen und unser Geld lieber für sinnvollere Dinge aufzuheben. Essen zum Beispiel, ein Buch oder Creme für unsere schon arg mitgenommenen Beine. Etwas in die Richtung.
Immerhin hatten wir so wenigstens noch Zeit für das – kostenfreie – Forum Romanum, das am Sonntagmorgen noch nicht geöffnet hatte. Der ganze Schutt an sich ist nicht das Beeindruckendste oder Amüsanteste, das das Forum zu bieten hat, auch wenn es sich deshalb wunderbar für einen Nachmittagsspaziergang eignet. Das Beste sind die Touristen und Spaziergänger. Wir hatten das Vergnügen, diversen deutschen Touristengruppen über den Weg zu laufen (meistens Senioren und ein Führer), einer Handvoll anderer Rucksacktouristen und einigen Italienern, die tatsächlich nur zum Spazierengehen da waren, und um die Touristen verstohlen und verächtlich anzublicken, natürlich.
Das bei weitem Bizarrste war aber eine Gruppe japanischer Schüler (komplett mit Uniformen und Begleitpersonen), die etwa zwanzig Minuten in der Mitte des Forums stand und aus deren Cluster sich nur selten kichernde Dreier- oder Vierergruppen lösten, um vor irgendeinem Säulenrest mit dem Handy Fotos von sich zu machen. Die deutsche Familie neben uns hatte sie „die chinesischen Pfadfinderinnen“ getauft, da die vereinzelten Jungen sich nicht aus dem Cluster trauten, vermutlich, weil das Kichern und Aneinanderkleben ihnen zu lächerlich gewesen wäre.
Nachdem wir die zwanzig Minuten ausschließlich mit Japanerbeobachtung verbracht hatten, kam uns der Rest der Passanten jedoch so langweilig vor, dass wir es vorzogen, zurück in unser Hotelzimmer zu gehen und unsere Zeit in Rom mit dem Weg zu beenden, mit dem sie am Sonntag angefangen hatte.