Tag 5: Italienische Öffnungszeiten (01.03.2006, Mittwoch)
Am Mittwochmorgen hatten uns aus irgendeinem Grund die Kräfte verlassen (es könnte am unfreundlich aussehenden Himmel gelegen haben), und so beschlossen wir, zum Anfang der Tour, der Piazza del Popolo, mit der Metro zu fahren.
Nachdem wir uns mit Proviant eingedeckt hatten, machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof und folgten dem nicht enden wollenden Pendlerstrom hinab, nur um bei den Fahrkartenautomaten stecken zu bleiben. Es gab fünf. Und drei von ihnen waren außer Betrieb. Wir stellten uns logischerweise an der kürzeren Schlange an, nur um festzustellen, dass die Schlange fast ausschließlich aus Mitgliedern einer japanischen Reisegruppe bestand, die allesamt nicht in der Lage waren, die Anweisungen in vier Sprachen zu verstehen. Trotzdem diskutierten sie lang und breit über die mögliche Benutzung. Immer wenn einer von ihnen es dann tatsächlich geschafft hatte, ein Ticket zu erstehen (das ist hier wortwörtlich gemeint!), lernten die Folgenden aber nicht daraus, sondern wiederholten alle Fehler noch einmal, nur um sich dann noch mehr über das Endergebnis zu freuen. Als die letzte Japanerin schließlich an der Reihe war, war ich so entnervt, dass ich ihr einfach die richtige Taste verriet und die Wartezeit somit um einiges verkürzte.
Endlich mit unseren eigenen Tickets bewaffnet gingen wir die Rolltreppen hinunter und warteten drei Minuten auf die nächste Bahn. Eine Zeit, die ich persönlich lieber anderswo verbracht hätte, denn neben uns tropfte es bedenklich aus der Decke. Die U-Bahn-Angestellten hatten sich damit begnügt, einen Eimer unter das Leck zu stellen. Mir war es etwas unheimlich, dass keiner von ihnen darüber Gedanken machte. Wahrscheinlich würden sie auch nur mit den Schultern zucken und einen Besen holen, würde ein Teil der Decke einstürzen.
Ich war also dementsprechend froh, als wir bei der Piazza del Popolo wieder das ziemlich trübe Tageslicht erblickten. Ich hatte unbedingt zur Piazza gewollt, weil es dort einen Obelisken gab, und irgendwie wollte ich noch einen sehen. Ich war ja schließlich in Rom, der Stadt, in der es mehr Obelisken als Dönerläden gab, so kam es mir jedenfalls vor. Dummerweise schienen wir uns einen denkbar ungünstigen Zeitpunkt für unsere Reise ausgesucht zu haben, denn fast alle Obelisken wurden gerade instand gesetzt. Nur die absolut unansehnlichen waren nicht von einer Plane umwickelt, die den armen Touristen durch einen realitätsfernen Aufdruck verdeutlichen sollte, was sie vielleicht sehen könnten, wenn sie noch einmal eine lange und völlig überteuerte Reise auf sich nehmen sollten. Natürlich war der Obelisk auf der Piazza del Popolo keine Ausnahme. Und zu allem Überfluss fing es an zu tröpfeln.
In der Hoffnung, dass es nicht wieder schlimm werden würde, marschierten wir weiter, zur Spanischen Treppe, die irgendwie berühmt ist, aber von der ich einfach nicht herausbekommen konnte, warum. Es ist jedenfalls eine sehr, sehr, lange Treppe, die zu einer Kirche (oh Wunder) führt, und neben der das Shelley-Keats-Haus liegt. Ich fühlte mich dort übrigens sehr zuhause, denn am Fuß der Treppe musste man sich an Baustellen und Presslufthämmern vorbeischleichen. Fast wie in Leipzig.
Als nächstes wollte ich zum Mausoleum von Kaiser Augustus, das mein Reiseführer zwar als „nicht sehr ansehnlich“ bezeichnete, das mich aber gerade deshalb interessierte. Der Weg dorthin führte dann aber durch die Art von Gegend, in der sich die Menschen über Menschen wie mich lustig machen. Es war die Art von Straße, in der man ein Ferrarigeschäft, Dolce & Gabbana, Armani und dergleichen finden kann, und in der nirgendwo ein Preisschild zu sehen ist.
Den ganzen Weg fühlte ich mich unangenehm an meinen Besuch bei Harrod’s erinnert, wo ich mich mit meinen Freunden in die Schmuckabteilung verirrt hatte, und wo uns zwei Frauen um die Sechzig entgegenkamen, komplett mit lächerlichen Coco-Chanel-Kostümen, die uns einmal ansahen und offen in Lachen ausbrachen. Ich weiß nicht, wieso reiche Leute meinen sie hätten Manieren. Es liegt bestimmt daran, dass sie wissen, was man mit mehr als drei Teilen Besteck anfangen soll. Aber da wo ich herkomme gilt es immer noch als höflich, andere Menschen nicht offen auszulachen. Das macht man hinter deren Rücken. Aber ich schweife ab.
Wir erreichten den Platz vor dem Mausoleum ohne Probleme und ohne ausgelacht zu werden. Der Platz von etwa zehn Metern Breite und zwanzig Metern Länge wurde jedoch zu einer akrobatischen Herausforderung, denn er war vollkommen zugeparkt. Und ich rede hier nicht von dem normalen Parken in zweiter Reihe. Der Platz war voll mit unordentlich aneinander gestellten Autos, und in den Lücken standen Mofas, sodass man sich jedes Mal verbiegen musste, um die Rückspiegel nicht abzubrechen oder den Lack zu zerkratzen. Am empfehlenswertesten war es, den Rucksack statt auf dem Rücken auf dem Kopf zu tragen, ihn mit einem Arm festzuhalten und mit dem anderen zu balancieren.
Wohin all die Leute so eilig wollten, ist mir aber nicht wirklich klar. Die Wohnhäuser in der Nähe sahen so aus, als würde seit zehn Jahren keiner mehr in ihnen leben und die Kirche war auch menschenleer. Und in der halben Stunde, in der wir neben dem halbverfallenen Augustusmausoleum saßen, kamen gerade mal fünf andere Menschen vorbei: ein älteres deutsches Ehepaar, eine Amerikanerin mit Teenagersohn und jemand, der das Monument unbedingt fotografieren wollte und solange an seiner Kamera herumspielte, bis wir endlich weggingen. Wir hörten im Weggehen noch seinen erleichterten Seufzer. In der ganzen Gegend gab es sonst kein einziges Anzeichen für menschliches Leben. Hätten einige der Autos nicht noch recht gut ausgesehen, hätte ich vermutet, dass wir über einen inoffiziellen Autofriedhof gestolpert waren.
Wir blieben vor allem deshalb so lange am Mausoleum, weil wir das erste Mal seit Tagen wieder wirkliche Ruhe hatten. Selbst in unserem Hotelzimmer war es immer laut und die Straßenbahn weckte uns regelmäßig auf. Aber alles, was man dort hören konnte, waren entfernter Straßenlärm und Vogelzwitschern aus den Bäumen, die auf dem Mausoleum wuchsen. Eine richtige Idylle. Ich weiß gar nicht, warum mein Reiseführer es so schlecht gemacht hat. Die anderen römischen Ruinen waren auch nicht viel besser.
Danach machten wir uns auf den Weg zum Castel Sant’Angelo, bei dem wir schon am Montag waren, das da aber leider geschlossen war. Dazu mussten wir eigentlich nur auf die andere Tiberseite, über eine Brücke und vorbei am Justizpalast. Der Weg wäre einfach gewesen, wenn denn einer der Verkehrsplaner daran gedacht hätte, Fußgänger einzuplanen. Es gab nämlich weit und breit keinen Fußgängerüberweg über die stark befahrene Straße am Tiber. Nach einigen Minuten vergeblichen Suchens sprangen wir schließlich vor ein Auto und rannten auf die andere Seite. Am westlichen Tiberufer hatten wir dann ein ähnliches Problem. Am Justizpalast gab es keinen einzigen vernünftigen Fußgängerweg, also gingen wir einfach auf dem Bordstein, der die fahrenden Autos von den geparkten trennte, vorbei an einem Plakat für, wir glauben es war ein Musical, „The Menopause“, dessen Titel mich schon so abschreckte, dass ich mich ernsthaft fragte, wie damit jemand Geld verdienen wollte.
Nachdem wir den Eintritt zum Castel bezahlt hatten, erwartete uns ein mühsames Hochklettern durch einen tunnelartigen Gang ohne Fenster oder sichtbares Ende (Eva wurde etwas klaustrophobisch zumute) durch den römischen Teil der Burg, bis wir auf einer Holzbrücke landeten, die wir dank einer italienischen Schulklasse nicht überqueren konnten. Nachdem wir uns endlich durch die kreischenden Bälger gekämpft hatten, erreichten wir einen Hof, auf dem eine weitere Schulklasse stand. Wir gingen durch die Innenräume auf der linken Seite, und wieder standen wir auf einem Hof inmitten lärmender Kinder. Irgendwann kamen wir schließlich zu einem Hof, von dem aus wir die Treppe zur Brüstung hinaufstiegen, wo uns nicht nur ein wunderbarer sonniger Ausblick erwartete, sondern auch ein erstaunlicher Mangel an menschlichem Kleinvieh.
Obwohl sich die Besichtigung teilweise als Flucht vor Schulklassen gestaltete, hatten wir unseren Spaß, besonders, als wir ganz oben einen großartigen Ausblick hatten und uns in der Sonne ausruhten. Als wir uns irgendwann doch dazu entschieden hatten zu gehen, irrten wir um den Turm herum, bis wir den doch sehr gut versteckten Ausgang endlich fanden.
Inzwischen war es Mittag, und da Eva noch in die Sixtinische Kapelle wollte, gingen wir erneut die lange Straße zum Petersplatz hoch und bogen dann rechts ab, immer den Schildern und Menschenmassen folgend entlang der Mauer, die den Vatikan umgibt, bis wir schließlich fast da waren. Die Vatikanischen Museen waren nur noch ein paar Meter entfernt, da hörten wir einen Mann neben uns anderen Touristen sagen, dass die Museen schon geschlossen hatten und dass sie morgen früh wieder kommen müssten. Ich sah auf die Uhr. Kurz vor halb eins. Dann entdeckte ich das Schild das in wunderbarer Farbkodierung die Öffnungszeiten der Vatikanischen Museen beschrieb.
Fül dieses Schild haben die Angestellten des Vatikans garantiert vier Jahre pausenlos gearbeitet. Jeder Tag des Jahres war dabei mit einer anderen Farbe hinterlegt, was sämtliche Zahlen und Wörter für mich verschwimmen ließ, weil meine Brille leider erst Ende März fertig sein würde. Dabei bin ich kaum kurzsichtig. Nach einer Minute konzentrierten Starrens nahmen die Punkte wieder die Form von Zahlen an. Es stellte sich heraus, dass sowohl der Erste als auch der Zweite weiße Tage waren, und das Museum mittags schon um 1345 Uhr schloss und um 845 Uhr öffnete. Dann gab es offenbar Tage, an denen später geschlossen wurde, früher geöffnet wurde und so weiter, bis hin zu einem rot-weiß gestreiften Tag mit gelben Punkten, an dem von 915 bis 1145, von 1150 bis 1310 und von 2023 bis 2330 Uhr geöffnet war.
Nachdem wir also wussten, dass wir nicht mehr in das Museum kommen würden, und nachdem wir einen sehr aufdringlichen Italiener abgeschüttelt hatten, der mit uns ausgehen wollte, entschied Eva, dass es mal wieder an der Zeit war, einen Supermarkt zu suchen. Ich verdrehte die Augen und ließ sie diverse Straßenkioskbetreiber ausfragen, sodass wir schließlich in einem winzigen Supermarkt in einer Seitenstraße landeten. Wir hatten gerade die Tiefkühlabteilung erreicht und Käse erbeutet, als uns einer der Angestellten darauf hinwies, dass der Laden in einer Minuten schließen würde und wir bezahlen mussten.
So kam es, dass Eva und ich um zwei Uhr völlig verwirrt in unserem Hotelzimmer landeten und Brot mit Frischkäse mümmelten. Ich wollte einfach nicht begreifen, dass die Geschäfte hier nie geöffnet waren, wenn man sie einmal brauchte. Wie verdienen Italiener ihr Geld? Sie öffnen den Laden um zehn, schließen um eins, öffnen wieder um vier und schließen um sieben. Mittwochnachmittags ist ganz geschlossen und am Sonntag ist nur nachmittags kurz auf. Das macht 36 Stunden in der Woche. Und ich dachte so etwas wäre schon vor Jahren abgeschafft worden.
Da wir nicht mehr erwarteten, dass noch irgendein Laden von Interesse geöffnet hatte, blieben wir einfach im Bett und lasen oder machten Siesta.