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Rodo, 2023

Reisenotizen (Italien)


Tag 4: „Achtung Lebensgefahr!“ Oder: „Verkehr in Rom“ (28.02.2006, Dienstag)

Der Dienstag begann schon deshalb vielversprechender als der Montag, weil draußen die Sonne schien. Für den Tag hatten wir ein eher ruhiges Tempo geplant, in dem wir uns Trastevere ansehen wollten, ein Viertel westlich des Tibers, das sich durch alte Gebäude auszeichnet. Auf der Straße war weit und breit kein Umbrella-man zu sehen (sie waren ja schließlich in ihren Dachzimmern) und es schienen sogar weniger Leute unterwegs zu sein als am Vortag. Außerdem war der Weg so idiotensicher, dass wir uns gar nicht verlaufen konnten.

Also stapften wir beschwingt die Via Nazionale hinunter und machten schließlich Rast zwischen dem Foro Traiano und dem Monument für Vittorio Emmanuele II, vor dessen Grab wir ja schon gestanden hatten. Beim Anblick des riesigen Monuments konnte ich einfach nicht anders als mich zu fragen, was zum Teufel der Mann so großartiges geleistet hatte, dass er dieses Monstrum verdient hat. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass es ausreicht, erster italienischer König zu sein, er hat bestimmt das Frauenwahlrecht eingeführt, zwei Kriege gewonnen, mehr Geld eingenommen als ausgegeben und alten Damen über die Straße geholfen. Das letzte ist keineswegs abschätzig gemeint, in Rom ist das eine Tätigkeit, die mit einem Tapferkeitsorden belohnt werden sollte.

Da wir gerade beim Thema sind: Die ungefähr zehnspurige Straße, die um das Monument führte, mussten wir auch noch überqueren. Ein lebensgefährliches Unterfangen, denn Römer fahren nicht nur gerne schnell, sie zeichnen sich auch durch konsequentes Ignorieren jeglicher Verkehrsregeln aus, egal ob deren Quelle nun der gesunde Menschenverstand oder bürokratischer Ordnungseifer war. Zum Beispiel halten Römer nicht nur in zweiter Reihe, sie parken auch so. Ich hätte zu gerne einmal die Reaktion eines so Zugeparkten gesehen, oder die Sisyphosarbeit der Politessen (falls es sie überhaupt gibt), aber dieses Vergnügen war mir leider nicht vergönnt. Stattdessen kratzten wir unseren letzten Mut zusammen, um den Zebrastreifen zu überqueren (Ampeln sind der Stadtverwaltung wohl zu teuer oder sie stehen meist da, wo man sie nicht braucht). Natürlich bremsen die Fahrer in Rom nicht an Zebrastreifen, die Fußgänger können ja selber aus dem Weg gehen.

Ich hätte mich schon irgendwie daran gewöhnt, mich so zu fühlen wie ein Igel, der eine Landstraße überqueren will. Doch diese Straße war schlimmer als alle anderen. Schließlich rannten wir dann aber doch vor die rasenden Autos (die zum Glück noch rechtzeitig eine Vollbremsung hinlegten) und sprinteten zur anderen Seite. Völlig außer Atem und glücklich, und dank des Adrenalinschubes beinahe todesmutig, wandten wir uns dem nächsten Hindernis (derselben Straße, nur mit Verkehrsinsel) zu. Wie die oben erwähnte alte Dame dieses Kunststück vollbringen soll, ist mir bis heute ein Rätsel. Womöglich mit Gottvertrauen. Ich jedenfalls hatte durch die vier Tage Aufenthalt in Rom meine Jahresdosis an Extremsport bekommen.

Bis zur Überquerung des Tibers auf der Tiberinsel kamen wir dann wieder ganz gut voran. Der nächste Stolperstein präsentierte sich dann wieder in Form einer vielbefahrenen, zum Glück nur zweispurigen Straße am anderen Tiberufer. Hier gab es wieder einen Zebrastreifen, dieses Mal sogar mit Ampel. Die Ampel zeigte gerade rot an, und so warteten wir. Und warteten. Und warteten. Und die Ampel blieb beharrlich rot. Inzwischen kamen auch andere Passanten und starrten irritiert auf das rote Männchen, bis Eva schließlich die Initiative ergriff und in die nächste Verkehrslücke sprang. Das wiederum endete in einer Vollbremsung aller Fahrzeuge, die wie durch ein Wunder nicht zu einem Unfall führte (ich schätze als Römer entwickelt man da gute Reflexe), die wiederum als Nebeneffekt allen Wartenden endlich das Überqueren der Straße ermöglichte.

Dank meiner umsichtigen und detaillierten Planung erreichten wir die Piazza Santa Maria in Trastevere innerhalb kürzester Zeit, und da es noch recht früh war und das Viertel immer noch im Halbschlaf lag, beschlossen wir, uns erst einmal an den Brunnen zu setzen. Hauptsächlich, weil das Café trotz der Uhrzeit schon voll besetzt war.

Die lauschige Atmosphäre verflüchtigte sich dann aber schnell mit der Ankunft einer Klasse von Teenagern, die sich unbedingt alle um uns herumstellen und Lärm machen mussten, während die Lehrerin wiederholt versuchte, sie zum Zuhören zu bewegen. Im komplett mit Touristen besetzen Café war inzwischen aber ein Tisch freigeworden, und so setzen wir uns dorthin, lauschten den Klängen eines Straßenmusikers und Eva trank einen Espresso.

Danach beschlossen wir, ein wenig durch die Straßen zu schlendern, und wir stellten dabei erstaunt fest, dass die Zeit um einiges schneller vergeht, wenn man Spaß hat. Wir kauften ein paar Postkarten mit den verschiedensten Kitschmotiven und setzen uns hier und da hin, um die ruhige Atmosphäre zu genießen. Zur Mittagszeit suchten wir uns ein für römische Verhältnisse sehr billiges Restaurant und aßen zwei Pizzen, während die beiden Italiener am Nebentisch sich durch die gesamte Speisekarte fraßen. Ich glaube, ich habe noch nie zuvor zwei Menschen gesehen, die das Essen derart zu einer Kunst erhoben wie die beiden. Ich erinnere mich noch dunkel an allerlei Meerestiere (unter anderem einen Hummer) und eine Menge Wein.

Nach dem Mittagessen machten wir uns auf den Rückweg und statteten noch kurz der Kirche Santa Maria in Trastevere einen Besuch ab, die von außen zwar etwas heruntergekommen wirkte, innen aber wirklich großartig aussah. Über einen Umweg landeten wir schließlich wieder auf der Tiberinsel und beschlossen, einen etwas anderen Weg zurück zu nehmen. Einerseits hatten wir noch mehr als genug Zeit zum Verlaufen und andererseits hatten wir dann doch etwas Respekt vor der Straße des Grauens.

Der neue Weg führte uns vorbei an einer römischen Ruine, die in Rom allerdings nicht wirkliche eine Seltenheit darstellen, und an der nächsten Seite mussten wir uns an einem Pulk japanischer Touristen vorbeikämpfen, die alle zu einer gerade im Renovieren begriffenen Kirche pilgerten, die schon von anderen wuselnden Japanern umgeben war. Mein Reiseführer sagte mir zwar, dass die Kirche alt und sehr sehenswert war, doch er erwähnte mit keinem Wort den Grund für die Horden an Japanern. Von besagtem Grund konnte ich nur kurz im Vorbeigehen einen Blick erhaschen: Keiner der Japaner ging wirklich in die Kirche hinein, sie alle stellten sich an einem Stück der Fassade hintereinander auf, um sich vor einer in die Wand gehauenen Figur fotografieren zu lassen, dem Bocca del Verita, oder Mund der Wahrheit. Hierzulande trifft man hin und wieder auf Plastikkopien, die auch noch Geld von einem verlangen, um eine Vorhersage zu machen.

Danach kletterten wir einen Hügel hinauf und landeten am Circus Maximus, der heute eigentlich eher so etwas wie eine Parklandschaft ist, gingen hindurch und folgten dem Verlauf des Forum Romanum, bis wir, wie schon zwei Tage vorher, wieder am Kolosseum standen.

Dort sah nichts mehr so aus wie zuvor. Der große, vormals fast verlassene Platz wimmelte nun nur so von Touristen, und Arbeiter bauten gerade eine Bühne auf und jagten immer wieder grauenerregende Musik zur Tonprobe durch die viel zu laut eingestellten Lautsprecher. Uns verging jegliche Lust darauf, uns noch das Kolosseum oder das Forum anzusehen. Stattdessen setzen wir uns auf einen grasbewachsenen Hügel in den der Nähe, von dem aus wir einen wunderbaren Blick auf das Gewusel hatten, und beschrieben unsere Postkarten.

Als wir damit fertig waren und die „Musik“ unerträglich wurde, machten wir uns auf den Rückweg, dieses Mal ohne von der Gefahr des Verlaufens bedroht zu sein. Die menschenleeren Straßen vom Sonntag hatten sich einem radikalen Imagewechsel unterzogen und so gelangten wir mehr oder weniger müde zur Kirche Santa Maria Maggiore, und gingen dieses Mal hinein, nachdem wir uns durch eine Gruppe französischer Touristen gekämpft hatten. Die Kirche sah aus … wie eine Kirche. Nach einer Weile fangen alle an gleich auszusehen, solange sie nicht mit einer wirklichen Besonderheit aufwarten können. Diese Kirche konnte das nicht.

Auf dem Rückweg machten wir noch einen Abstecher zum Bäcker und kauften den größten Laib Brot, den es gab, und der für einige Tage reichen sollte, nur um uns danach ins Hotel zurückzuschleppen. Immerhin waren wir lange nicht so müde wie am Vortag und um einiges besser gelaunt.