Tag 3: Wie verlaufe ich mich richtig (27.02.2006, Montag)
Am Morgen des siebenundzwanzigsten Februar wachte ich gegen acht Uhr auf und wunderte mich, warum es so furchtbar gewitterte. Es stellte sich heraus, dass bloß die Straßenbahn und einige Autos vorbeigedonnert waren.
Als wir uns um kurz nach neun dann schließlich aufrafften und einen Blick durch die Fensterläden wagten (ich fand erst am nächsten Tag heraus, wie man den kaputten Hebel betätigte, um sie zu öffnen), stellten wir fest, dass es regnete. Trotzdem ließen wir uns nicht entmutigen und beschlossen, unseren Plan, die „Walking Tour“ aus meinem Reiseführer zu machen, in die Tat umzusetzen.
Aber nicht, bevor wir endlich etwas gegessen hatten. Da der Anfang der Tour beim Trevi-Brunnen sein sollte, beschlossen wir, auf dem Weg dorthin bei einem Bäcker anzuhalten, bei dem wir uns eine Straße und drei „Umbrella-men“ weiter einen Spinat-Fladen und zwei Brötchen kauften.
Bei den „Umbrella men“ handelt es sich um eine besondere Gattung der Straßenverkäufer, die man in Rom nur bei Regen und circa alle hundert Meter antrifft. Egal, wo man hingeht. Das wäre an sich nicht das Problem (bei gutem Wetter gibt es Unmengen an Verkäufern von Billig-Schmuck und gefälschten Designer-Artikeln), wären die Umbrella-men nicht die aufdringlichsten von ihnen. Sie sprechen jeden Menschen ohne Regenschirm an, so als hätte jeder Passant gerade erst das Haus verlassen, als wäre es unvorstellbar, dass es Menschen gibt, die auch ohne Regenschirm leben können. Und sie sprechen jeden an, auch wenn sie schon gesehen haben, wie derjenige einen anderen Umbrella-man abgewimmelt hat.
Ich stelle mir das Leben der Umbrella-men in etwa so vor, dass sie die meiste Zeit irgendwo auf einem dunklen Dachboden mit einem einzelnen Fenster, das immer verdunkelt ist, vor sich hin vegetieren und ihre Regenschirme, die sie zur Sicherheit einmal die Stunde zählen, horten. Sie schlafen übrigens auf ihnen, damit sie ihnen nicht von rivalisierenden Umbrella-men gestohlen werden. Jede auch noch so kleine Veränderung in der Luftfeuchtigkeit nehmen sie instinktiv wahr, und sobald sie wissen, dass es regnet, stecken sie kurz die Nase aus dem Dachfenster, schnappen sich ihre Regenschirme und versuchen verzweifelt, sie unten auf der Straße an den nicht beschirmten Passanten zu bringen.
Wir verbrachten also die ersten paar Minuten damit, unseren Weg zum Trevi-Brunnen zu finden. Wir landeten auch ohne Probleme beim Palazzo del Quirinale (offizielle Residenz des Präsidenten der Republik) und gingen die Treppen des Hügels hinunter. Anhand einer sehr dubiosen Karte an der Wand merkten wir uns den Weg zur Fontana di Trevi – und landeten auf der Via del Corso. Also gingen wir die Hälfte der Strecke zurück, bogen nach links ab – und landeten wieder auf der Via del Corso. Nachdem ich vollkommen entnervt meine Karte konsultierte, auf der die meisten Straßen des Viertels nicht einmal benannt waren, fiel mir auf, dass wir einfach nur die Straße, aus der wir gerade gekommen waren wieder hinauf gehen mussten, und dieses Mal landeten wir tatsächlich bei unserem Ausgangspunkt, dem Trevi-Brunnen, über den es nicht viel zu sagen gibt, außer dass er nicht so enttäuschend war, wie ich es von einer Sehenswürdigkeit erwartet hätte, die ich nur von Hochglanzfotos kenne.
Der Beschreibung im Reiseführer folgend gingen wir am Trevi-Brunnen vorbei und landeten an einer Straße, die mir irgendwie nicht ganz richtig vorkam. Also gingen wir wieder zurück und eine andere Straße hoch, landeten wieder auf einer großen Straße, deren Namen man nicht erkennen konnte, denn es gibt in Rom etwa halb so viele Straßenschilder wie in Deutschland und sie hängen nie da, wo unbedarfte Touristen sie brauchen könnten. Also bogen wir einfach rechts ab (wie im Reiseführer abgebildet) um ein bisschen die Straße entlang zu gehen. Das „bisschen“ wurde circa sieben Straßen weiter ein bisschen zu viel, als wir plötzlich vor einer Fontäne standen, zu der wir ganz sicher nicht wollten: Dem Triton-Brunnen. Es stellte sich heraus, dass wir an der falschen Seite am Trevi-Brunnen vorbeigegangen und die Via del Tritone hinaufgegangen waren. Nicht die Via del Corso, die wir dieses Mal eigentlich hätten nehmen sollen.
Widerwillig und leicht genervt stapften wir die Straße (und den Hügel) wieder hinunter, gingen hundert Meter nach rechts, kämpften uns über einen Zebrastreifen und gingen zweihundert Meter nach rechts, nur um nach langer Irrfahrt endlich auf der Piazza Colonna zu landen. Die altrömische Säule mit dem sich hinaufwindenden Relief halte ich für durchaus sehenswert, während sämtliche Regierungsgebäude so aussahen, als sollten sie beeindrucken, obwohl sie es nicht taten.
Da es die ganze Zeit über geregnet hatte, stellten wir uns bei einem der Gebäude unter und ließen unsere Kleidung trocknen (die Schuhe blieben nass), bevor wir uns daran machten, die nächsten Schritte genauestens zu planen, schließlich hatten wir die Nase voll davon, orientierungslos durch den Regen zu trotten. Als nächstes landeten wir vor einem weiteren Regierungsgebäude an einem anderen Platz, das noch nicht einmal versuchen konnte zu beeindrucken, da die Fassade wegen Renovierung verpackt war. Nur der Aufdruck auf den Planen ließ vermuten, was sich darunter verbarg.
Der Platz bot aber ein anderes, wesentlich interessanteres Kuriosum: ein deutsches Buchgeschäft. Wir wollten unseren Augen nicht trauen und gingen hinein, und tatsächlich, in dem Geschäft gab es fast nur deutsche und einige englische und italienische Bücher. Es war wirklich bizarr, sich durch die Kulisse wie zuhause zu fühlen, während die Angestellten mit den Kunden in Italienisch plauderten. Ohne etwas zu kaufen machten wir uns auf den Weg zu unserem nächsten Ziel, dem Pantheon, das wir dieses Mal ohne Probleme erreichten, weil wir einen anderen Weg als den beschriebenen nahmen. Da es dort trocken war, ließen wir uns von den Menschenmassen nicht beeindrucken und ergatterten Plätze auf einer der Bänke, von der aus wir die Kuppel und das Grab des ersten italienischen Königs nach der Vielstaaterei (Vittorio Emmanuele II) bewundern konnten.
Die nächste Stunde verbrachten wir dank zunehmenden Regens damit, von Station zu Station zu hetzen, um einigermaßen trocken zu bleiben, was uns mehr oder weniger gut gelang. Ans der Piazza Navona setzten wir uns dann in ein völlig überteuertes Café und beschlossen, dass es an der Zeit war, dem Plan aus meinem Reiseführer nicht mehr zu folgen und stattdessen Abkürzungen zu den nächsten beiden Stationen zu nehmen. Das ersparte uns nicht nur Stress, sondern auch weiteres orientierungsloses Herumirren.
Da unsere nächste Station, das Castel Sant’Angelo, zu unserer ungeheuren Freude montags geschlossen war, schickten wir uns an, dem schier unendlichen Strom japanischer Touristen zum Petersdom, der letzten Station, zu folgen. Es schien vom Castel aus ja so, als wäre es bloß ein Katzensprung bis dahin. Aber der Anblick täuscht. Besonders wenn es regnet und man sich eigentlich nur ausruhen will.
Der Petersplatz selber erwies sich als Enttäuschung. Der eigentlich relativ große Platz war zum Teil abgesperrt. Den Grund dafür sollten wir herausfinden, nachdem wir uns in die Schlange für den Petersdom einreihten, hinter eine Gruppe von, wie sollte es anders sein, Japanern, die mir dauernd ihre Regenschirme ins Gesicht stießen, und vor eine Gruppe besserwisserischer Deutscher, die über Details der Geschichte des Petersdoms diskutierten.
Die Schlange entstand, wie sich herausstellte, nicht durch Ticketverkauf, wie ich eigentlich erwartet hatte, sondern dadurch, dass jeder der Touristen seine Tasche und Jacke (muss im Winter sehr lästig sein) durchleuchten lassen und selber durch einen Metalldetektor gehen musste. Als wären die Terroristen von heute nicht einfallsreicher. Ich denke, dass die Regierungen dieser Welt ihnen einfach nicht genug Intelligenz zugestehen um ein Flugzeug zu kidnappen und es in den Petersdom fliegen zu lassen. Schließlich sind das ja alles analphabetische Hirten.
Nach diesem ganzen Trara erwartete ich mir vom Petersdom natürlich viel. Und selbstverständlich wurde ich enttäuscht. Michelangelos berühmte Pieta war so sehr von Touristen umringt, dass ich sie erst beim Herausgehen bemerkte, die schätzungsweise fünfzehn Schulklassen lärmten miteinander um die Wette und der Dom lag in einem schummerigen Halbdunkel, sodass man gerade mal am anderen Ende einen Goldschimmer erkennen konnte. Hinzu kam, dass sämtliche japanische Touristen wie verrückt Fotos machten (nichts wirklich Neues), aber nicht etwa mit ihren Fotoapparaten, sondern mit ihren Vielzweckhandys, die bei jedem gemachten Foto einen nervtötenden Klingelton von sich gaben. Die Aufsicht hingegen schien sich auch von noch so unfeierlicher Stimmung nicht stören zu lassen, doch sobald sich jemand auch nur für fünf Sekunden auf den Boden setzte, und sei es nur um sich die Schnürsenkel zuzubinden, wurde er (nicht) freundlich darauf hingewiesen, dass dies ein heiliger Ort wäre, an dem man sich entsprechend zu verhalten habe. Eine eigentlich nette Idee, es sollten nur mal alle anderen Besucher darauf hingewiesen werden.
Da wir am Ende aber immer noch zu viel Zeit übrig hatten, beschlossen wir, doch die sechs Euro zu investieren und die Schatzkammer zu besuchen, die etwas abseits lag und bei weitem nicht so überfüllt war. Glücklicherweise gab es den Audio Guide gratis dazu, und so konnten wir uns über eine Stunde Schätze des Vatikans ansehen, von denen ich zum Teil nicht einmal wusste, wozu man sie brauchen könnte. Immerhin weiß ich jetzt, was eine Monstranz ist, auch wenn ich das Wort sicher nie wieder benutzen muss.
Nachdem die Runde bei einem halbwegs interessanten frühchristlichen Sarg endete, war es vier Uhr und Eva und ich waren müde. Da wir aber immer noch hungrig waren, besonders Eva, die noch nicht gegessen hatte, beschlossen wir, einen Supermarkt zu suchen. So schwer würde das schon nicht sein. Das dachten wir zumindest.
Sicherheitshalber fragte Eva bei der Information des Vatikans nach, und die Beschreibung klang ganz einfach: rechts vom Petersplatz und dann noch einmal rechts – wo wir in einer leeren Straße standen. Eva fragte noch einmal in dem einsamen kleinen Souvenirgeschäft nach: Die Straße geradeaus (sie erwies sich als Kurve), an der Ampel rechts abbiegen und weiter bis zur Brücke, wo immer noch kein Supermarkt stand, sondern nur Geschäfte für Herrenmode. In einem dieser Geschäfte stellte sich dann heraus, dass wir wohl zu weit gegangen waren. Also trotteten wir zurück, bis zu einem Zeitungskiosk, deren Verkäufer uns auf eine kleine Seitenstraße neben ihm verwies, an deren Ende, oh Wunder, von verheißungsvollem Licht illuminiert, der kleine Supermarkt stand. Ich habe noch nie einen Supermarkt gesehen, der so verlockend aussah.
Nachdem wir unsere Einkäufe getätigt hatten (und uns mit viel Nervennahrung, alias Schokolade, eingedeckt hatten), stellte sich nun aber das Problem, wie wir zurückkommen sollten, denn wir beide hatten weder das Bedürfnis, zu laufen, noch wussten wir, wo die nächste Metro-Station lag.
Da erschien uns ein rettender Engel in Gestalt des Mannes, der im Supermarkt hinter uns in der Schlange stand, und der nicht nur gut Englisch konnte, sondern der auch wusste, wo die nächste Bushaltestelle war. Er begleitete uns sogar die Hälfte des Weges.
Den Bus fanden wir auch ohne Probleme, nur die Beschaffung der Tickets wurde zur letzten Herausforderung. In Italien kauft man die Tickets nämlich weder an Ticketautomaten, noch beim Busfahrer. Ob es eine Regel gibt, woher man sie sonst bekommt, weiß ich nicht, aber in diesem Fall gab es sie beim Kiosk in dem kleinen Bahnhof, an dem der Bus abfuhr. Wir schafften es gerade noch rechtzeitig, einzusteigen und die Karten zu entwerten, bevor der Bus losfuhr und wir zu einer halbstündigen Fahrt zum Bahnhof Termini aufbrachen.
Sobald wir im Hotel in unsere Betten fielen, beschlossen wir, es am nächsten Tag ruhiger angehen zu lassen. Es war gerade mal sechs Uhr.