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Rodo, 2023

Reisenotizen (Italien)


Tag 14: Am Arsch der Welt (10.03.2006, Freitag)

Unser letzter Tag in Padua, und wir wussten nach der Langeweile am Vortag nicht mehr wirklich, was wir tun sollten. Also beschlossen wir, unser Gepäck im Bahnhof zu lassen und mit dem Zug irgendwo hinzufahren. Die Gepäckablage hatte sich jedoch so geschickt versteckt, dass wir erst einmal ungefähr zwanzig Minuten nach ihr suchen mussten. Und der Bahnhof in Padua ist nun wirklich nicht groß. Nachdem wir also unser Gepäck losgeworden waren, erkundigte sich Eva nach dem nächsten Zug nach Chioggia, einer kleinen Stadt am Mittelmeer, da sie unbedingt noch einmal das Meer sehen wollte. Wir mussten in Rovigo umsteigen, mit einer Stunde Aufenthalt. Ich war von vornherein ein bisschen skeptisch. Warum wusste ich auch nicht so genau.

Aber wir stiegen trotzdem in den Zug und waren ziemlich schnell in Rovigo. Da hörte es dann mit „schnell“ aber auch schon auf. Und mit „bequem“ ebenfalls. Der Bahnhof bestand nämlich nur aus einem Fotoautomaten und einer Wartehalle, deren Tür nicht richtig schloss. Es war also nur minimal wärmer als draußen. Und noch dazu war einer der Wartenden offenbar normalerweise Stammgast der psychiatrischen Abteilung oder/und Penner. Er ließ sich auch von einem Mann, der ihn schon kannte, nicht dazu bewegen, sich an einem wärmeren Ort mit netten Psychopharmaka zuzudröhnen. Ich verbrachte die Stunde damit, die Leere oder die anderen Reisenden anzustarren, während Eva in ihrem Buch las. Bis dann schließlich der Zug nach Chioggia kam. Ich war schon von der einen Stunde frieren total entnervt. Und dann sah ich den Zug. Oder besser das, was als „Zug“ bezeichnet wurde, weil es auf zwei Schienen fuhr. Ich könnte schwören, dass meine Augenbrauen unweigerlich in die Höhe schossen, während ich das Ding misstrauisch beäugte.

Ich hatte nämlich nur einmal zuvor etwas Ähnliches gesehen. Und zwar im Teufelsmoor, da wo ich aufgewachsen war, wo es früher eine Eisenbahnlinie gab, die heutzutage allerhöchstens noch für den Tourismus genutzt wird und an den meisten Stellen am Verrosten ist. Da gibt es jedenfalls diese eine Stelle, an der dann einfach mal der Wagen eines Bummelzuges steht und ebenfalls vor sich hinrostet.

Das Exemplar, das ich dann aber in Rovigo vor mir sah, wurde offenbar mit äußerster Mühe vom Verrosten bewahrt, zumindest an den sichtbaren Stellen. Der „Zug“ bestand aus einem Waggon mit Lokomotive, in dessen Mitte man einsteigen konnte. Außer uns waren schon eine Menge Italiener in dem Zügchen, und die meisten wirkten so, als würden sie lieber nicht ihr Ziel erreichen. Wo auch immer das war. Die erste halbe Stunde verbrachten Eva und ich im Eingangsbereich, in dem es so ohrenbetäubend laut war, dass man das Gefühl hatte, der Zug würde wesentlich schneller fahren als erlaubt. Und vermutlich tat er das auch.

Als wir dann endlich einen Sitzplatz bekamen, landeten wir zwischen einer Gruppe Italienerinnen, die offensichtlich miteinander befreundet waren. Sie lasen billige Liebesromane, deren Schauplatz New York war. Man merkt sehr, dass mir langweilig war, schließlich las ich schon in einer Sprache mit, die ich gar nicht beherrschte. Oder sollte es mit Angst machen, dass ich die Hälfte verstand?

Als wir schließlich nach knapp einer Stunde endlich in Chioggia aus der Blechdose heraus konnten, war ich reichlich verstimmt. Ich wollte einfach nur zurück. Um genau zu sein wollte ich überall sein, nur nicht in Chioggia. Und Eva ging es da ähnlich, denn sie fand das Mittelmeer einfach nicht. Auch wenn sie immer wieder betonte, dass „es hier ja irgendwo sein müsste“. Es war aber nirgendwo. Und die Blechbüchse würde erst in zwei Stunden wiederkommen. Nachdem wir beide etwa zehn Minuten mit Schmollen verbracht hatten, machte Eva sich auf, weiterzusuchen. Dabei fiel ihr die Bushaltestelle gegenüber auf. Und eine nette Dame erklärte uns mithilfe des kryptischen Busfahrplans, dass in einigen Minuten ein Bus nach Padua kommen würde. Wir waren verständlicherweise begeistert, denn alles war besser, als noch einmal in dieses schrottreife Ding einzusteigen. Und der Bus war sogar neu. Und relativ pünktlich. Eigentlich hätten wir auch bezahlen müssen (beim Fahrer), aber dem waren wir herzlich egal. Irritiert setzten wir uns einfach hin. Ich hätte vorher wissen sollen, dass italienische Busfahrer nicht zurückhaltender sein können als Italienische Autofahrer im Allgemeinen.

Der Bus fuhr relativ langsam los, doch ziemlich bald fuhr er auf eine Schnellstraße. Die führte dann übrigens auch über das Mittelmeer, das Eva so verzweifelt gesucht hatte, sodass wir trotzdem wenigsten noch einen Blick erhaschen konnten. Die Straße war allerdings meiner Meinung nach viel zu dünn, und die Leitplanke sah auch nicht so aus, als könnte sie ihren Zweck erfüllen. Dann klingelte etwas. Ein Handy. Keine große Überraschung. Es war das Handy des Busfahrers, der auch prompt abnahm und sich zehn Minuten lang angeregt mit dem Gesprächspartner am anderen Ende unterhielt. Während er mit einer Hand den Bus lenkte. Und der Bus immer gefährlicher hin und her eierte. Die ganze Zeit starrte ich auf die Leitplanke, um mich schon einmal geistig auf den Aufprall vorzubereiten. Ich kann gar nicht sagen, wie erleichtert ich war, als wir endlich wieder festen Boden unter den Füßen hatten. Und noch mehr, als endlich der sonst so verhasste (da hässliche) Bahnhof von Padua vor uns auftauchte. Da war es auch schon vier Uhr.

Wir hatten also immer noch Zeit. Ich schlug vor, dass wir uns doch bei McDonald’s etwas Essbares kaufen könnten, damit wir nicht die ganze Zeit stehen mussten. Eva war begeistert von der Aussicht auf Wärme und Essen. Also kaufte ich mir Pommes, Cola und Eis und Eva ein Menu. Wir setzten uns an einen Zweiertisch am Fenster, von dem aus wir den Bahnhof und die Passanten gut im Blick hatten. Ich ließ mir beim Essen Zeit (schließlich wollte ich sie totschlagen) und beobachtete die anderen Restaurantgäste. Die Zahl nahm nämlich weiter zu, und erstaunlicherweise waren wir nach einiger Zeit praktisch die einzigen Weißen im ganzen Raum. Alle anderen waren mit ziemlicher Sicherheit Schwarzafrikaner. Etwas ähnlich Merkwürdiges war mit zuletzt in einem Londoner McDonald’s passiert, als sich unsere Gruppe an einen Tisch setzte, nur um festzustellen, dass in unserer Hälfte sonst nur Schwarze saßen, und in der anderen nur Weiße. Zufall oder nicht, als Tourist meint man immer, etwas verpasst zu haben.

Als es fünf war, hatte Eva schließlich schon eine halbe Stunde gejammert, dass sie keine Lust mehr hatte, bei McDonald’s zu sitzen. Wir hatten noch eine Stunde zu warten und ich wurde vor eine schwierige Wahl gestellt: im Warmen sitzen und Eva ertragen oder im Kalten stehen. Nach einer weiteren halben Stunde hatte sie mich schließlich weich geklopft und so verbrachten wir die letzte Stunde und fünfzehn Minuten am Bahnhof in der Kälte stehend. Warum Eva das lieber war würde ich wirklich gerne wissen.

Evas Onkel kam schließlich und nachdem er uns und unser Gepäck im Auto verstaut hatte (es stand im Halteverbot) begaben wir uns auf die lebensgefährliche Reise zu seinem Haus. Autofahren in Italien eben.