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Rodo, 2023

(Im)Perfect

Disclaimer: Das Übliche eben. Leider gehört nichts mir und alles JKR

Kategorie: MWPP-Ära

Beta: emar, der ich dieses Mal wirklich sehr viel zu verdanken habe.


Kapitel 3

Es war eine warme Sommernacht, etwa Mitte der Ferien, als Abraxas Malfoy seinen Sohn das erste Mal zu einem Treffen der Todesser mitnahm. Lucius war nervös und neugierig, und er schämte sich dafür, dass er sich benahm wie ein kleiner Junge bei seinem ersten Quidditchspiel. Sein Vater strafte sein Verhalten jedoch nur mit einem Blick, der in etwa „Nicht in der Öffentlichkeit“ sagte. Lucius nickte kaum merklich. Er wusste schließlich, wie er sich in der Öffentlichkeit zu benehmen hatte. Dann setzte er seine schwarze Kapuze auf und folgte seinem Vater, der ihn zum Treffpunkt apparierte.

Der Treffpunkt, den der Dunkle Lord gewählt hatte, war ein im Mondlicht silbern glänzender Strand irgendwo in Schottland. Die Todesser, die bereits da waren, standen in kleinen Grüppchen zusammen und plauderten, und Lucius erkannte einige ihrer Stimmen, trotz der Kapuzen, die alle trugen. Nott war da, zusammen mit seinem Vater. Beide unterhielten sich mit zwei anderen Zauberern, die Lucius nicht erkannte. Die Stimmung war wie auf einem Sommerfest, dachte er, doch die freudige Erwartung, die seinen Körper durchzog, strafte diese Annahme Lügen. Genauso wie die dunklen Umhänge und Kapuzen, die kaum einen der Anwesenden täuschte.

Als der Dunkle Lord schließlich erschien, schlug die Stimmung abrupt um. Alle fielen auf die Knie, sogar Lucius’ Vater, der sonst jegliche Art der Ehrerbietung gegenüber anderen verabscheute. Lucius verstand nicht recht, was an diesem Mann so erstaunlich sein sollte, obwohl er großartige Ideen hatte, das konnte wohl nur ein Schlammblut bestreiten. Und dann begann er zu reden.

Im Nachhinein konnte Lucius sich nicht mehr genau erinnern, was der Dunkle Lord erzählt hatte, aber das, woran er sich noch erinnerte, erweckte in Lucius eine Leidenschaft, die ihn an das erinnerte, was fühlte, wenn er an Sirius dachte. Lucius verstand, warum sein Vater sich dem Dunklen Lord unterordnete. Und er zögerte nicht, als er ihn und seinen Vater zu sich rief, um mit ihnen zu reden. Lucius hätte sich am liebsten gleich den Todessern angeschlossen und das Dunkle Mal auf seinem Arm gespürt, doch der Dunkle Lord winkte ab, als wäre Lucius noch ein Kind.

„Noch ein Jahr, Lucius, dann kannst du wieder zu mir kommen und um die Aufnahme in unsere kleine Gemeinschaft bitten. Noch ist es nicht an der Zeit, sich gegen die Ungerechtigkeit in dieser Gesellschaft aufzulehnen. Genieß dein letztes Schuljahr, der Ernst des Lebens beginnt früh genug. Ach, was würde ich nur dafür geben, die Zeit zurückdrehen zu können“, sagte der Lord, und Lucius konnte nicht anders, als zustimmend zu nicken.

Als sie den Versammlungsort verließen und nahe von Malfoy Manor die Kapuzen vom Kopf nahmen, nickte Abraxas Malfoy seinem Sohn anerkennend zu, und Lucius’ Brust platzte fast vor Stolz und Glück. Endlich hatte er es geschafft, von seinem Vater gelobt zu werden, zwar nicht in Worten, aber dieses kleine Nicken hatte ihm genügt.



Das wohlige Gefühl in seinem Bauch, das Lucius noch am nächsten Morgen spürte, verflog jedoch, sobald sein Vater ihn über den Rand des Tagespropheten hinweg ansprach.

„Lucius, ich denke es wird Zeit, dass du dich etwas mehr mit deiner Verlobten beschäftigst“, mit diesen Worten riss Abraxas Malfoy seinen Sohn aus seinen Tagträumen, die sich wieder einmal um Sirius drehten. Lucius traute noch einen Sekundenbruchteil den Gedanken hinterher, die zur Abwechslung nicht von schmerzvoller Sehnsucht erfüllt waren. Wüsste er, um was, oder genauer gesagt, um wen sich Lucius’ Gedanken drehten, er würde ihn wahrscheinlich mit dem Cruciatus-Fluch belegen, ob das nun ein Leben in Askaban bedeutete oder nicht. Doch zum Glück für Lucius ahnte sein überaus fürsorglicher Vater nicht im Entferntesten, was in ihm vorging. Dieser Gedanke ließ Lucius einerseits Stolz auf seine eigenen Fähigkeiten spüren, und andererseits keimte wieder der Wunsch nach mehr Beachtung durch seinen Vater in ihm auf.

„Narzissa wird im November siebzehn, und sowohl ich als auch Cygnus denken, dass es das Beste wäre, wenn ihr in den Weihnachtsferien heiratet“, fuhr er fort.

„Aber Vater!“, empörte sich Lucius. „Wir gehen doch noch zur Schule, hat das nicht noch ein bisschen Zeit?“

„Unsinn Junge. Heutzutage mögen unsere Traditionen ja immer mehr von diesem schlammblütigen Muggelmüll aufgeweicht werden, aber ich werde mich diesen Muggels nicht beugen. Und du wirst das auch nicht. Zu meiner Zeit war es gang und gäbe, dass man heiratete, sobald man siebzehn war. Bei deiner Mutter und mir war das auch nicht anders.“ Und damit war die Sache geklärt. Zumindest für Abraxas. Doch Lucius wusste, wann er nicht mehr zu protestieren hatte. Außerdem war es seit langem das erste Mal, dass sein Vater von seiner Mutter gesprochen hatte. Sie war einige Jahre zuvor gestorben. Lucius vermisste sie, doch er hatte seit ihrem Tod mit keinem Menschen mehr über sie geredet. Malfoys trauerten nicht, zumindest Abraxas tat es nicht, und Lucius wagte nicht, sich anders zu verhalten. Seine Eltern hatten jung geheiratet, eine arrangierte Ehe, wie seine eigene es sein würde.

Zum ersten Mal zog sich bei dem Gedanken an eine Hochzeit mit Narzissa sein Magen zusammen und mit absoluter Bestimmtheit wusste er, dass das nicht das war, was er wollte. Und das überraschte und irritierte ihn. Narzissa … es war nicht so, dass er sie nicht mochte, aber ihre Heirat war bisher immer kaum mehr als ein unwirklicher Schatten gewesen, den die Zukunft auf sein Leben warf. Jetzt, wo tatsächlich ein Datum feststand, bekam er wohl einfach kalte Füße. Das würde es wohl sein. Doch immer wieder schlichen seine Gedanken zu Sirius. Verärgert schob er sie beiseite. An Sirius wollte er jetzt wirklich nicht denken. Als er wieder in seinem Zimmer war, fiel sein Blick fiel auf den Brief, den er gerade schrieb. An Sirius, selbstverständlich. Und wieder kämpfte er mit dieser unerklärlichen Wut, die ihn bei dem Gedanken an seine Zukunft immer öfter erfasste, und die sich von Mal zu Mal schwerer zurückdrängen ließ. Wie im Reflex fegte seine Hand das Pergament vom Schreibtisch. Erst, als sich der Teppich mit grüner Tinte voll saugte, verflog sie abrupt. Zurückblieb nur Reue, auch nachdem ein hastiges „Scourgify“ die Tintenflecken beseitigt hatte.


*

„Du heiratest also“, stellte Sirius verletzt fest. Lucius stöhnte innerlich auf. Er hatte gehofft ihr erstes Wiedersehen nach den Ferien (die er hauptsächlich mit Narzissa hatte verbringen müssen) mit etwas Erfreulicherem zu verbringen. Und jetzt stand Sirius vor ihm und blickte ihn an wie ein getretener Hund. Zur Antwort zuckte er mit den Schultern.

„Es ist nicht so, als ob das eine Neuigkeit wäre. Wir sind schließlich schon seit Jahren verlobt.“ Sirius wich seinem Blick aus und sah betreten zu Boden. „Was hast du denn erwartet?“

Jetzt war es an Sirius, mit den Schultern zu zucken. „Ich weiß auch nicht. Dass wir etwas mehr Zeit hätten vielleicht.“

„Zeit? Die haben wir doch immer noch. Die Sache mit Narzissa hat nicht den geringsten Einfluss auf das, was zwischen uns ist.“

„Ach ja?“

Lucius wurde wütend, auf wen wusste er selbst nicht. Auf seinen Vater, sich selbst, Narzissa? Doch keiner von ihnen war da. Nur Sirius stand ihm gegenüber. „Natürlich. Ich tue einfach nur das, was jeder verantwortungsbewusste Reinblüter tut. Ich muss schließlich Kinder haben, sonst übernehmen die Schlammblüter am Ende noch das Ministerium. Das wäre das Ende der Magie! Du solltest dir auch langsam Gedanken über eine Verlobte machen.“

Sirius schnaubte. „Ich werde mit Sicherheit nicht heiraten“, spuckte er arrogant heraus.

Lucius starrte ihn nur ungläubig an. „Das kannst du nicht ernst meinen. Was würde deine Familie von dir denken?“

„Ist mir doch egal. Ich hau sowieso so schnell wie möglich von Zuhause ab. Das ganze Reinblütergeschwätz kann doch kein Mensch ertragen!“

„Reinblütergeschwätz?!“

„Reinblütergeschwätz! Dieser ganze Unsinn von Kindern und Slytherin und wie furchtbar überlegen wir doch alle sind, während jeder sehen kann, wie komplett irre alle sind.“

„Das ist kein Unsinn! Oder willst du etwa behaupten, dass auch nur einer dieser Schlammblüter es verdient hätte, Hogwarts zu besuchen? Dieser Abschaum verdreckt unser Blut und zerstört unsere Kultur!“

Sirius sah ihn enttäuscht und wütend zugleich an, während Lucius auffiel, wie schwer sie beide atmeten. Ein Teil von ihm war verärgert darüber, dass er sich so hatte gehen lassen und dass er Sirius angeschrieen hatte, doch ein anderer Teil redete beständig auf ihn ein, dass er nun einmal zurechtgewiesen werden musste. Er war ja fast noch ein Kind. Und so wie bisher konnte es ja wohl kaum weitergehen. Irgendwann musste er schließlich mit diesem pubertären Unsinn aufhören, den die Gryffindors ihm eingetrichtert hatten.

Gespannt wartete Lucius darauf, dass Sirius ihm widersprach, ihn anschrie oder verhexte, aber nichts dergleichen geschah. Sirius stand einfach da, die Fäuste verkrampft, die Augen zu Schlitzen verengt und glühend vor Wut, wie Lucius sie nie zuvor gesehen hatte. Sie starrten sich einfach an und die Stille drückte auf seine Lungen, während Magie durch den Raum knisterte.

Abrupt fuhr Sirius herum und rannte zur Tür heraus. Lucius war zu perplex, blieb einfach stehen, bis auch in ihm die Wut, die zwischenzeitlich abgekühlt war, vom kleinen nagenden Gefühl zu einer alles überragenden Rage wurde. Die Zweitklässler aus Ravenclaw, die ihm (nun Schulsprecher) im Flur über den Weg liefen, würden ihn wohl für den Rest des Schuljahres nicht mal mehr mit einem Auge schief ansehen.

Es dauerte ganze zwei Tage, bis er sich wieder beruhigt hatte und Verzweiflung die Wut niedergekämpft hatte. Er wollte Sirius nicht verlieren, er konnte es einfach nicht. Sirius war seine Leidenschaft, sein Glück, seine Seele. Ohne ihn wäre er kaum mehr als ein Schatten seiner selbst. Schließlich schrieb er ihm einen Brief und bat ihn ihm zu verzeihen. Dabei kam er der Bettelei so nah wie kein Malfoy vor ihm. Er hoffte inständig, dass Sirius auf seine Bitte um ein Treffen eingehen würde.

Den ganzen Abend wartete er, bis schließlich ein Waldkauz zu ihm in den Nordturm hinaufflatterte. Er hatte so lange dort gewartet, dass sogar die Portraits an den Wänden schon miteinander tuschelten und ihm verstohlene Blicke zuwarfen. Der Brief war kurz und auf die Rückseite seines eigenen gekritzelt. Sirius’ unsauberes Gekrakel war wie immer kaum zu entziffern.

Keine Zeit. Habe was mit J. und P. vor.

S.

Verbittert und enttäuscht zerknitterte er den Brief in der Faust. Sirius strafte ihn jetzt also mit Nichtachtung. Was hatte er nur getan, dass er das verdient hatte? Und vor allem: Wie konnte er Sirius dazu bringen, den Streit zu vergessen?


*

Die nächsten Wochen verbrachte Lucius zum größten Teil mit Narzissa, so sehr er sich auch dagegen sträubte. Sie wollte jedes Detail der Hochzeit mit ihm besprechen: die Farbe der Roben, die des Tortengusses, oder die des Tischtuchs. Und dabei schnatterte sie die ganze Zeit darüber, dass sie eigentlich lieber im Frühling geheiratet hätte, aber dass trotzdem alles so perfekt wie möglich werden würde. Lucius nickte einfach alles entnervt ab. Er wollte so oder so nicht heiraten, da war es auch egal wie alles aussah und wer alles zusah. Sein Vater würde sowieso jeden schlimmen Fauxpas verhindern ohne dabei auf Narzissa zu hören. Und außerdem hatte er im Moment wirklich wichtigere Probleme. Sirius und die Vorbereitung auf die UTZ-Prüfungen zum Beispiel. Letztere nutzte er, um sich von der Wut und der Verzweiflung abzulenken, die er abwechselnd für Sirius empfand.

Der hingegen warf ihm immer wieder heimlich Blicke zu, doch ansonsten steckte er entweder die Köpfe mit seinen Freunden zusammen oder er war so müde, dass sein Kopf fast ins Porridge plumpste. Wahrscheinlich heckten sie noch bis spät in die Nacht ihre Streiche aus. Ein Blick zur Linken verriet ihm jedoch, dass ihr Lieblingsopfer, Severus Snape, dabei erstaunlich unbeschadet zu bleiben schien. Vielleicht hatte er ja endlich ein Rückgrat entwickelt, auch wenn Lucius es bezweifelte. Möglicherweise gab es einfach nur ein neues, interessanteres Opfer. Es verletzte ihn auf jeden Fall, dass alberne Streiche mit seinen Freunden Sirius offensichtlich mehr bedeuteten als Lucius.

Auf die Briefe, die er Sirius schickte, erhielt er immer wieder dieselben Antworten. Keine Zeit. Mit den anderen beschäftigt. Dabei war er sich inzwischen nicht einmal mehr fürs Betteln zu schade. Langsam aber sicher frustrierte Sirius ihn, und wenn er nicht bald nachgeben würde, würde Lucius lieber aufgeben als sich noch weiter wie ein liebeskranker Vollidiot zu benehmen.


*

Eines Sonntagnachmittags Ende Oktober schließlich flatterte eine Schleiereule in den Slytheringemeinschaftsraum und landete auf dem Tisch vor Lucius. Der beäugte nur misstrauisch den Zettel am Bein des Vogels. Das Tier starrte standhaft zurück und streckte auffordernd das Bein aus, während es den Kopf schief legte. Die Gelenkigkeit von Eulen wurde offenbar stark unterschätzt. Trotzdem mochte Lucius das arrogante Biest nicht und er war froh, als sie endlich davon schwebte, natürlich erst, nachdem sie ihre Botschaft losgeworden war.

Auf dem Pergamentfetzen stand nicht viel. Aber es reichte aus, um Lucius Herz ganz andere Töne anstimmen zu lassen:

Nach dem Abendessen. S.

Seine Gedanken hasteten in die verschiedensten Richtungen. Er legte sich Entschuldigungen für Narzissa zurecht, die schon angekündigt hatte, mit ihm über irgendein unsinniges (und uninteressantes) Thema reden zu wollen. Er hoffte ernsthaft, dass sie während ihrer Ehe dazu übergehen würden, die zwei Stunden, die sie sich in der Woche wohl sehen würden müssen, schweigend zu verbringen. Aber die anderen Gedankenstränge hatten sich in Sirius verbissen, und in das, was er mit ihm machen würde.

So war Lucius auch wieder einmal viel zu früh in dem alten Klassenzimmer, in dem immer noch die verwandelte Couch stand. Und sobald er sich gesetzt hatte, keimten Zweifel in ihm auf, ob denn alles so gut ausgehen würde wie er hoffte, oder ob Sirius seine Freunde mitbringen würde um sich über ihn lustig zu machen. Oder hatte er ihm doch verziehen? Wollte er ihn einfach endgültig loswerden?

Das Klicken der Tür ließ seinen Kopf hochschnellen. Sirius hatte sich von innen gegen die Tür gelehnt und lächelte ihn nun unsicher an.

„Hi. Tut mir leid, dass es so lange gedauert hat, aber ich war wirklich beschäftigt.“

Jetzt, wo es soweit war, war Lucius’ Kopf wie leergefegt. Wirklich, nur Sirius hatte diese Wirkung auf ihn. Kein anderer brachte ihn dazu, sich hilflos wie ein kleiner Junge zu fühlen, nicht einmal sein Vater. Er wollte ihn am liebsten in die Arme nehmen und nie wieder loslassen, doch gleichzeitig fürchtete er sich zu sehr davor, wieder weggestoßen zu werden.

Und wie immer in solchen Situationen rettete Sirius ihn. Er fiel ihm einfach um den Hals und vergrub seinen Kopf in Lucius’ Schulter. Das weckte auch ihn wieder aus seiner unfreiwilligen Starre. Noch zögernd begann Lucius, die Umarmung zu erwidern und drückte ihn leicht an sich.

„Was habt ihr denn gemacht?“, fragte er, nachdem sein Gehirn endlich mit seinem Körper aufgeholt hatte.

„Ist ein Geheimnis“, seufzte Sirius.

„Ach ja?“

„Ja.“

„Ist es verboten?“ Sirius hob den Kopf und sah ihm in die Augen. Wieder konnte Lucius dieses schelmische Funkeln aufblitzen sehen, das ihm sagte, dass es natürlich verboten war. Nur dieses Mal bereitete ihm Sirius’ Risikofreude irgendwie Unbehagen. Irgendwann würde er sich damit in Schwierigkeiten bringen, aus denen ihm niemand mehr heraushelfen konnte. Auch er nicht. Doch Sirius würde das wohl niemals einsehen, egal, was Lucius oder jemand anderes auch sagen mochte.

„Du brauchst gar nicht erst zu fragen, ich verrate es dir sowieso nie“, lachte er unbekümmert, und alles war in Ordnung zwischen ihnen, zumindest für den Moment.


*

„Musst du sie wirklich heiraten?“

„Darüber haben wir doch schon geredet.“

„Nein, haben wir nicht“

„Egal. Natürlich muss ich das. Mein Vater enterbt mich, wenn ich es nicht mache.“

„Es gibt wichtigeres als Geld.“

„Ja. Die Familienehre. Und jetzt hör schon auf.“


*

Lucius stöhnte entnervt auf. Er hasste sein Leben im Moment einfach. Es waren noch zwei Wochen bis Weihnachten. Zwei viel zu kurze Wochen, die ihm absurderweise viel zu lang waren, denn insgeheim wünschte er sich, es endlich hinter sich zu haben. Dann hätte diese endlose Folter endlich ein Ende. Narzissa war auch nur noch ein nervliches Wrack, und gerade deshalb versuchte sie ständig, mit ihren Problemen zu ihm zu kommen. Er konnte sie zwar verstehen, und als nervliches Wrack war sie ihm wesentlich lieber als zu der Zeit, als sie nur ihre Hochzeitsplanung im Kopf hatte, doch seine eigenen Probleme wuchsen ihm schon über den Kopf hinaus. Das letzte was er brauchte, waren noch mehr Probleme, die er lösen musste.

Da waren zum einen die Unmengen an Hausaufgaben, die alle Siebtklässler in den Wahnsinn trieben, obwohl es noch ein halbes Jahr zu den Prüfungen war. Und Lucius musste sich als Malfoy natürlich besonders um gute Noten bemühen und sich vorbildhaft vorbereiten, denn schließlich war er zusätzlich einer der Schulsprecher. Seit Mitte November ertrank er fast in Arbeit, und inzwischen spürte er die Folgen seiner nächtlichen Lernorgien. Sein Geduldsfaden riss immer schneller (er war so gefürchtet wie noch nie), und jeder, der ihn ansprach, musste damit rechnen, dass er explodierte. Lucius’ Laune war so schlecht wie schon seit langem nicht mehr.

Und damit nicht genug: Es war ja noch Weihnachten. Und Weihnachten bedeutete schließlich Geschenke. Und Geschenkte musste man kaufen. Eines musste ein ausgesprochen romantisches für Narzissa sein, um ihr zu zeigen, wie unglaublich viel sie ihm bedeutete. Und ein nach viel großartigeres Geschenk musste er für Sirius auftreiben um ihn ruhigzustellen.

Sirius. Das Problem, das ihn im Moment wohl am meisten beschäftigte. Sirius wollte einfach nicht akzeptieren, dass er in zwei Wochen heiraten würde. Wahrscheinlich hatte er irgendwelche Gewissensbisse, weil er eine Beziehung mit dem Mann seiner Cousine haben würde. Bei Gryffindors konnte man schließlich mit allem rechnen. Vor allem mit unsinnigen Gefühlsduseleien. Was erwartete er denn von ihm? Dass sie beide zusammen alles hinter sich lassen und auf ewig glücklich und zufrieden in der Muggelwelt leben würden? Das konnte, und vor allem wollte, Lucius nicht.

Doch Sirius sah das anders. Als sie sich an diesem Abend wieder sahen, es sollte das letzte Mal vor der Hochzeit sein, zu der zum Leidwesen der Blacks auch Sirius eingeladen werden musste, fing er wieder damit an. Konnte er ihm nicht einfach mal ein bisschen Ruhe gönnen? Es war ihm einfach zu viel, und Lucius verlor die Geduld.

„Ja, verdammt! Es muss wirklich sein! Was hast du dir denn gedacht? Dass ich mein Leben für dich opfern würde? Ich bin der Erbe der Familie Malfoy! Ich kann nicht einfach machen was ich will. Ich habe Pflichten! Ich kann es mir nicht leisten, mein Leben für einen kleinen Jungen wegzuwerfen. Ich kann nicht so, so … abnormal sein!“, brüllte er.

„Abnormal?! Kleiner Junge?! Du Arschloch, mehr bin ich nicht für dich? Nur ein blöder kleiner Junge? Weißt du was? Der blöde kleine Junge, der alles macht was Papi ihm sagt, bist du. Ich pfeife auf meine Pflichten gegenüber dem alten und ach so ehrwürdigen Haus Black! Die können mich alle mal nach dem, was sie mit Andromeda gemacht haben!“

„Was redest du da von dieser Schlampe?! Sich mit einem dreckigen Muggel einzulassen. Sie ist eine Schande für alle Reinblüter.“

„Ach ja, und du etwas nicht? Immerhin kannst du noch nicht mal was mit Frauen anfangen und stehst auf den Cousin deiner Verlobten. Wie willst du diesen furchtbaren Mangel an Reinblüterstolz wieder gut machen? Den Todessern beitreten und so viele Schlammblüter umbringen wie du kannst, nur damit du dich danach besser fühlst?“

Lucius schwieg vor Zorn.

„Das hast du wirklich vor, nicht wahr du Bastard?“

„Ohne den Dunklen Lord wäre die Zaubererwelt am Ende. Er ist der Einzige, der etwas gegen diesen Abschaum unternehmen kann, der hier alles verpestet.“

Sirius starrte ihn einen Moment lang entgeistert an. Lucius hätte ihn am liebsten geschüttelt, aber etwas hielt ihn davon ab. „Weißt du was“, begann Sirius verbittert und mit brüchiger Stimme „Das war’s mit uns.“ Er drehte sich um, doch Lucius packte ihn am Arm.

„Warte, das kannst du nicht ernst meinen.“

„Und wie ich das erst meine. Ich hasse dich Malfoy! Du bist ein Arschloch. Du planst schon, deine Frau zu betrügen, bevor du überhaupt verheiratet bist. Und außerdem ist dir das Leben unschuldiger Menschen völlig egal. Du würdest sie sogar selber töten. Du bist der größte Egoist, der mir je begegnet ist. Und jetzt lass mich gehen.“

„Nein, das lass ich nicht zu. Du gehörst—“

„Stupor!“

„—mir.“


*

Und so endete Lucius’ Beziehung mit Sirius. In einem alten, unbenutzten Klassenzimmer und mit einem Fluch. Es tat nicht so weh, wie er erwartet hatte. Aber das lag wohl mehr daran, dass die nächsten Wochen und Monate wie Nebel an ihm vorbeiglitten. Er erinnerte sich dunkel daran, dass er noch unermüdlicher für die UTZ-Prüfungen gebüffelt hatte, als es schon vor den Ferien der Fall gewesen war. Und auch an seine Hochzeit erinnerte er sich fast gar nicht. Die deutlichste Erinnerung an eines der wichtigsten Ereignisse in seinem Leben war die, dass Narzissa ihm erzählte, dass Sirius es irgendwie geschafft hatte, sich um die Teilnahme zu drücken, indem er den Hogwarts-Rekord im Nachsitzen gebrochen hatte. Was immer er auch getan hatte, es hatte Severus Snape eine Nacht im Krankenflügel eingebracht, und niemand konnte aus ihm herausbekommen, was passiert war. Lucius schenkte all dem keine Beachtung mehr. Er sah Sirius nicht mehr hinterher, wenn sich ihre Wege in den Korridoren kreuzten, und zu den Mahlzeiten blickte er kein einziges Mal beiläufig zum Gryffindor-Tisch hinüber. In den wenigen Momenten, die er nicht in der Bibliothek über einem Buch gebeugt verbrachte, fragte er sich, ob er schon tot war, und nur noch als Geist wie Professor Binns durch die Korridore wandelte, ohne dass es ihm aufgefallen wäre. Ihm war, wenn er nachts im Bett lag und dem ruhigen Atem seiner Mitschüler lauschte, als wäre sein Leben schon vorbei.

An seinem letzten Morgen in Hogwarts machte Lucius sich auf einen weiteren Tag voller betäubter Gefühle gefasst, einen Tag wie all die anderen Tage des letzten halben Jahres. Doch es kam anders. Sein sorgfältig gebautes Gefühlsgerüst brach über ihm zusammen und all die Gefühle, die er in all der Zeit hätte fühlen sollen, fluteten sein Herz binnen weniger Sekunden. Sirius, die Hochzeit, und die Erkenntnis, dass er für den Rest seines Lebens unglücklich sein würde. Das erste und einzige Mal in seinem Leben weinte Lucius Malfoy, aber er weinte still, bis seine Mitschüler aufwachten. Er stand als letzter auf, und als er das Zimmer verließ, war er wieder der Lucius Malfoy. Er war wieder perfekt. Zumindest das war ihm nach alledem geblieben. Und nichts würde das je wieder ändern.