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Rodo, 2023

Kapitel VI: Aufbruch

Schon bevor Celia am nächsten Morgen vollends aufwachte, spürte sie, dass etwas anders war als gewöhnlich. Ein Gefühl, an dass sie sich beinahe schon gewöhnt hatte. In den ersten Tagen auf dem Hof hatte es sie immer irritiert, dass sie auf einer vergleichsweise (zumindest, wenn man an Schlafkissen gewöhnt war) harten und geraden Matratze aufwachte.

Aber daran lag es diesmal nicht. Vielmehr war die Geräuschkulisse für sie ungewohnt. Da sie immer im Morgengrauen, war außer ihr nur noch Oreas wach, und der hielt sich in den Ställen auf und kümmerte sich um die Tiere. An diesem Morgen jedoch wurde ihr Aufwachen von den hastigen Schritten Melanons (Oreas bewegte sich leiser, wenn auch nicht so leise wie ein richtiger Elf), dem Wiehern von Pferden und lautem Gerumpel begleitet.

Dann fiel es ihr wieder siedend heiß ein. Sie riss ihre Augen auf. Gleich würden sie aufbrechen, und Celia hatte sich noch nicht entschieden. Mit einem unguten Gefühl setzte sie sich schließlich auf und machte sich fertig, doch auch die Bewegung lenkte sie nicht von dem unbehaglichen Gefühl ab. Sie versuchte schließlich, sich wieder hinzulegen, war aber zu nervös, um liegen zu bleiben. Es klopfte an der Tür, und sie schreckte hoch und wurde noch nervöser, das kleine Kribbeln in ihrem Bauch verwandelte sich in einen ausgewachsenen Bienenschwarm. Hastiger als es sonst ihre Art war, ging Celia zur Tür und öffnete sie. Ein fertig in seine graue Kutte und seinen Umhang eingehüllter und ausgeruhter Melanon lächelte sie an.

„Bist du soweit? Wir sollten noch etwas essen bevor wir aufbrechen.“

Celia nickte nur abwesend und sah an ihm vorbei auf den Tisch, der spärlich für zwei Personen gedeckt war.

„Wo ist denn Oreas?“, fragte sie. Sie wollte sich gerne noch von ihm verabschieden und sich bei ihm für seine Gastfreundschaft bedanken, auch wenn „freundlich“ nicht unbedingt das richtige Wort war und er alles andere als gut auf sie zu sprechen war. Sie fühlte sich ihm näher als den anderen Menschen, immerhin war er ein Halbelf, und war damit eine Verbindung zu ihrer Vergangenheit. Und so war er weniger bedrohlich.

„Bei den Pferden, er macht sie für die Reise fertig.“

Ohne ein weiteres Wort zu sagen setzten sich die beiden an den Tisch und Celia begann zu essen, während ihre Gedanken langsam abdrifteten. Das brachte ihr einige abschätzende Blicke von Melanon ein, die sie jedoch nicht bemerkte. Sie starrte bloß in die Leere und aß dabei mechanisch, ohne eine Lösung für ihr Problem zu finden, und ohne den Geschmack auf ihrer Zunge wirklich wahrzunehmen.

Celia hasste so schwierige Entscheidungen. Sie war noch nie in der Lage gewesen, sich nach reiflichem Überlegen für etwas zu entscheiden. Genau genommen waren alle wichtigen Entscheidungen, die sie in ihrem Leben getroffen hatte, absolut unüberlegt und unvernünftig gewesen. Sie war einfach in den Wald gerannt, als der Sturm angefangen hatte zu toben und sie hatte ihr Zuhause auch aus einer Laune heraus verlassen. Wäre sie nicht so wütend gewesen, hätte sie nie etwas so Dummes getan, wie den Wald zu verlassen. Vielleicht war es an der Zeit für sie, Verantwortung zu übernehmen und sich wie eine Erwachsene zu benehmen. Mit neunzehn Jahren sollte sie doch wohl in der Lage sein, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Andererseits, vielleicht war es gar nicht so schlecht, dass sie ihre Entscheidungen immer ohne nachzudenken traf. So hörte sie schließlich immer auf ihr Herz. Und so schlecht war es auch nicht, dass sie den Elfenwald verlassen hatte. Hätte sie es nicht getan, hätte sie Melanon und Oreas nie getroffen und würde sich immer noch mit all ihren Fragen herumquälen. Jetzt war sie schließlich schlauer als vorher, auch wenn sie immer noch nichts über den Verbleib ihres Vaters wusste und sich nicht zu fragen traute. Ja, es war wohl auch das beste, wenn sie auch diese Entscheidung ohne nachzudenken treffen würde. Sie nickte leicht, um sich in ihrem Entschluss zu bekräftigen und widmete ihre volle Aufmerksamkeit endlich dem Teller vor sich. Wenn Melanon sie fragen würde, würde sie einfach das sagen, was ihr spontan in den Sinn kam.

Als Melanon das Nicken sah und bemerkte, dass Celia wieder in die wirkliche Welt zurückkehrte, musste er leicht lächeln. Es schien, als habe sie ihre Entscheidung getroffen. Es juckte ihn, sie jetzt schon zu fragen, aber er wollte ihr lieber noch etwas Zeit lassen, die Sache zu überdenken.

Er selber würde die Gesellschaft der Elfe gerne noch etwas länger genießen, auch wenn sein Vater alles andere als begeistert sein würde, würde er sie mitbringen. Und er würde sicher Dinge sagen, die Celia sehr verletzten und die sie nicht verstehen würde. Sein Vater war einfach zu engstirnig und stur. Aber in dieser Sache war Melanon eindeutig einmal selbstsüchtig. Er genoss Celias Gesellschaft, sehr sogar. Erst dachte er, es läge daran, dass er nach zehn Jahren ohne einen anderen Freund als Arqua jede Art von Gesellschaft genießen würde, aber Celia war etwas besonderes. Sie heiterte ihn auf und zeigte ihm die Welt aus einem anderen Blickwinkel. Sie sah sie mit den Augen eines Kindes, für das selbst die einfachsten und selbstverständlichsten Dinge die größten Wunder waren. Und gleichzeitig ging sie sehr logisch und methodisch vor, wenn es darum ging, etwas zu verstehen. So wie er selber. Ihr Enthusiasmus und ihre Energie steckten ihn einfach an. Beide hatte er für sich selbst schon für verloren geglaubt. Man hatte sie ihm bei den Magiern ausgetrieben. Am Ende war es ihm nur noch darum gegangen, die ganze Sache so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Sie hatten einen melancholischen Menschen aus ihm gemacht, der älter wirkte, als er in Wirklichkeit war.

Obwohl, dazu hatte seine Familie auch ihren Teil beigetragen. Ob er wohl genauso wäre wie Celia, wenn er eine neue Welt für sich entdecken könnte? Irgendwie bezweifelte er das nicht. Er könnte sich dort von seinem Leben lösen und endlich frei sein. Er und die Elfe waren sich wirklich ähnlich, auch wenn er wohl etwas vorsichtiger wäre und nicht ganz so offensichtlich viel Energie an den Tag legen würde. Melanon seufzte. Es brachte einfach nichts darüber zu grübeln, was wäre, wenn die Dinge anders lägen.

*

Die beiden hatten ihr Frühstück ebenso schweigend beendet, wie sie es begonnen hatten. Danach hatten sie ihr Gepäck geholt (und Celia hatte sich den Raum, in dem sie die letzten Nächte verbracht hatte, noch einmal ganz genau angesehen) und nun gingen sie auf den Pferdestall zu.

Sofort kamen in Celia wieder die Erinnerungen an den vorherigen Tag hoch. Daran, wie sie mit Oreas gesprochen, beziehungsweise es versucht, hatte. Sie bekam ein flaues Gefühl im Magen und wurde unsicher, als sie daran dachte. Sie wünschte sich einfach, er würde sie wenigstens ein bisschen mögen, auch wenn sie diesen Wunsch selbst nicht so ganz verstand.

Melanon öffnete die Stalltür und Celia folgte ihm ohne ein Wort, aber zögerlich. Ihr schlug der inzwischen vertraute Geruch von Heu, Pferden und dem taunassen Holz des Stalles entgegen. Es dauerte einen Moment, bis sie Oreas entdeckte, der gerade eines der Pferde aus der seiner Box und zu zwei anderen führte, die bereits in dem Gang zwischen den Boxen standen. Melanon bewegte sich zielstrebig auf eines der Pferde, das linke, zu. Er streichelte ihm liebevoll den Hals und flüsterte ihm etwas ins Ohr, worauf das Pferd mit einem Schnauben reagierte. Als sein Blick schließlich auf Oreas und das dritte Pferd fiel, runzelte er die Stirn.

Celia war verwirrt. Sie blieb weiter wie angewurzelt an der Stalltür stehen, unsicher, was nun von ihr erwartet wurde. Oreas schien das aufgefallen zu sein. Er sah sie kurz abschätzig an, legte dabei den Kopf leicht schief und deutete auf das mittlere Pferd.

„Das da ist deins“, seine Stimme tonlos und kühl wie immer.

Celia war noch verwirrter, Melanon hatte ihr nie erzählt, was nun von ihr erwartet wurde. Aber augenscheinlich würden sie reiten. Sie warf einen kurzen Blick auf das braune Pferd mit dem weißen Flecken auf der Stirn. Dann ging sie einen vorsichtigen Schritt vorwärts und blickte fragend auf Melanon. Von Oreas erwartete sie nicht wirklich Hilfe. Und selbst wenn er sich dazu herabließ, würde sie bei seiner kalten Art nur noch nervöser werden und alles falsch machen. Melanon war in Gedanken aber immer noch bei dem dritten Pferd und reagierte erst gar nicht. Erst als Celia sich räusperte wandte er sich ihr zu und lächelte, als er ihr Problem verstand. Pferde waren für ihn etwas absolut Alltägliches. Ebenso wie der Umgang mit ihnen.

„Komm her, ich helfe dir.“

Immer noch leicht zögernd ging Celia zu dem braunen Pferd, wo Melanon ihr ihr Gepäck (hauptsächlich Proviant und wasserfester Stoff, die wichtigen Sachen waren in ihrem Rucksack) abnahm und es auf dem Rücken des Pferdes befestigte. Nun war es an Celia, nachdenklich die Stirn zu runzeln. Alles in Allem fand Celia den Gedanken auf einem Pferd zu reiten immer noch äußerst befremdlich. Dabei hatte Melanon ihr versichert, dass es absolut harmlos sei. Zweifelnd legte sie den Kopf schief. Darauf sollte sie also reiten? Allein bei dem Gedanken wurde ihr mulmig zumute.

„Ihr Name ist Heria und sie ist das ruhigste Tier, das ich habe, also reg dich bloß nicht auf. Sie wird dich schon nicht beißen.“

Oreas schien sich bei diesem Kommentar fast amüsiert zu haben. Celia fand das allerdings alles andere als witzig. Ihm mochte es ja nichts ausmachen, auf einem richtigen, echten Tier zu sitzen, aber ihr schon. Inzwischen war er aber wieder damit beschäftigt, das dritte Pferd zu bepacken, ein braun-weiß geschecktes. Er war so in seine Arbeit vertieft, dass Celia es für besser hielt, nichts zu erwidern. Sie wusste ohnehin nicht was, und selbst wenn, wahrscheinlich hätte er sich nur weiter über sie lustig gemacht.

Als Melanon ihr etwas in die Hand gab, ließ sie davon ab, Oreas giftige Blicke zuzuwerfen, die der ohnehin nicht sah. Melanon lächelte. Ihn amüsierte ihre Unbeholfenheit offenbar auch, was Celia nur noch mehr schmollen ließ. Verstand denn hier niemand, dass diese Situation ihr ganz und gar nicht gefiel? In ihrer Hand befanden sich die Zügel des Pferdes, Heria, oder wie Oreas es genannt hatte.

Dann sah sie dem Pferd in die Augen. Heria schien wirklich lieb zu sein. Und das obwohl sie definitiv ihre Angst und Unsicherheit wahrnahm. Das beruhigte Celia enorm. Scheinbar hatte Oreas doch recht und sie würde nicht beißen oder sonst etwas anstellen. Die Elfe versank regelrecht in dem ausgeglichenen Charakter des Pferdes und verlor sich in den dunklen und sanften Augen, bis—

Melanon sie antippte und so ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Er nahm die Zügel seines grauen Hengstes (er hatte einmal erwähnt, dass sein Name Arqua war) in die Hand und ihn aus dem Stall heraus. Celia ahmte ihm einfach alles nach. Es war ein komisches Gefühl für sie, ein Tier hinter sich herzuziehen. Erst hatte sie gefürchtet, dass Herias Sanftmut doch verfliegen und das Pferd sich einfach stur stellen wärde, doch erstaunlicherweise folgte sie ihr ohne den geringsten Widerstand. Vage nahm sie wahr, wie Oreas hinter ihr folgte.

Mitten auf dem Hof blieb Melanon schließlich stehen, seufzte tief und sah sich alles noch einmal gründlich an. In den Jahren, in denen er nicht auf diesem Hof gewesen war, hatte, er beinahe vergessen, wie er aussah. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren, denn in seinen Gedanken war er immer seine Zuflucht gewesen. Einer der wenigen, wenn nicht sogar der einzige Ort, an dem er jemals wirklich zuhause gewesen war, an dem er sich nicht verstellen musste und von niemandem schief angesehen wurde.

Celia schien es ähnlich zu gehen, auch sie fing noch einmal alles mit ihren Blicken ein und brannte die Bilder fest in ihr Gedächtnis ein. Dann fiel Melanons Blick auf Oreas, der mit dem dritten Pferd kurz hinter der Elfe stehen geblieben war und ihm nun liebevoll über den Hals streichelte. Er konnte wieder nur nachdenklich die Stirn runzeln und sich fragen, was sein Freund vorhatte. Obwohl das eigentlich mehr als offensichtlich war. Das Pferd war gesattelt und bepackt. Oreas wollte den Hof also ebenfalls verlassen. Das an sich war schon mehr als außergewöhnlich. Oreas hatte den Hof nie gerne verlassen. Jedenfalls nicht nach dem Tod seiner Mutter und dem Streit mit seinem Vater. Er hatte die Blicke der Menschen immer gehasst. Was hatte ihn nur zu dazu bewogen, es jetzt zu tun.

„Was wird das Oreas?“, fragte er leicht zweifelnd. Celia riss er damit aus ihren Gedanken und auch sie wandte sich dem Halbelfen zu. Sie hatte noch gar nicht darüber nachgedacht, aber wozu brauchten sie ein drittes Pferd. Doch Oreas schien es nicht füR nötig zu halten, auf die Frage zu antworten. Er streichelte einfach weiter seelenruhig sein Pferd, als wären sie die einzigen auf der Welt.

„Ich komme mit“, sagte er schließlich gleichgültig, bevor er sich in den Sattel setzte und seine Begleiter abwartend ansah.

Melanon sah seinen Freund noch einen Augenblick nachdenklich und verwirrt an, kam dann aber zu dem Schluss, dass es besser wäre, nicht zu fragen und zuckte mit den Schultern. Es war erst einmal wichtiger, überhaupt eine Reiseroute festzulegen. Und dazu brauchte er Celias Antwort auf sein Angebot.

„Wie hast du dich entschieden, Celia?“

Die Waldelfe blieb einen Moment still, immer noch überrascht von Oreas’ Verhalten, dachte dann eine Sekunde konzentriert nach und sagte, was ihr in den Sinn kam.

„Ich begleite dich.“

Melanon nickte nur, ging zu ihr hinüber und half ihr beim Aufsteigen. Dafür war Celia ihm überaus dankbar, alleine hätte sie es wohl nie geschafft. Als sie schließlich im Sattel saß, blieb ihr dann auch nichts anderes übrig, als hilflos zu warten, bis ihr jemand sagte, was sie zu tun hatte. Ihre Hände verkrampften sich um den Sattelknauf, der er das einzige zu sein schien, an dem sie sich festhalten konnte. An die Mähne des Pferdes konnte sie sich ja schlecht krallen. Es musste unangenehm für das arme Tier sein, und sie hatte nicht die Absicht, Heria gegen sich aufzubringen.

Als Melanon auch aufgesessen hatte, ritt er an Celias Seite und erklärte ihr, wie sie die Zügel zu halten hatte und versicherte ihr mehrmals, dass er in ihrer Nähe bleiben würde und ihr notfalls helfen würde. Ganz überzeugt war sie trotzdem nicht. Und das obwohl die Übungen reibungslos verliefen. Sie war einfach immer noch nervös. Allein das Gefühl, auf einem Pferd zu sitzen war mehr als befremdlich. Den warmen, atmenden Körper unter sich zu spüren alleine war schon verunsichernd genug. Wenn dieser Körper sich dann auch noch bewegte, wollte sie eigentlich nur wieder zurück auf festen Boden.

Oreas räusperte sich schließlich, um ihre und Melanons Aufmerksamkeit zu erregen und ritt langsam los. Melanon und Celia folgten ihm mit einigen Metern Abstand. Die ganze Zeit blickte er stur geradeaus, was Celia merkwürdig vorkam. Sie selber hatte sich noch ein paar Mal umgesehen, um sich vom Hof zu verabschieden, weil er und die Tiere ihm so ans Herz gewachsen waren. Und Melanon tat dasselbe. Nur Oreas blickte nicht einmal ansatzweise zurück, und dabei müsste es für ihn doch um einiges schwerer sein. Obwohl, kam es Celia in den Sinn, sie hatte sich auch kaum umgesehen, als sie ihr Zuhause verlassen hatte.

Nach der ersten Zeit hatte sie sich auch ein wenig an das Reiten gewöhnt. Sie glaubte zwar nicht, dass sie es jemals wirklich würde mögen können, doch es war zu ertragen, wenn man sich erst einmal an das Schaukeln gewöhnt hatte. In der Gegend durch die sie ritten, gab es hauptsächlich grasbewachsene Hügel. Nur hin und wieder passierten sie ein kleinen Wald, von deren Anblick sich Celia nur schwer losreißen konnte.

Schließlich, die Sonne stand schon erkennbar höher als bei ihrem Aufbruch, kam ein weiterer Hof in Sicht, etwas größer als der von Oreas, aber vom Aufbau her ähnlich. Celia spürte ein nervöses Kribbeln in ihrem Magen, als sie sich näherten. Dort würden Menschen sein, und an diesen Gedanken musste sie sich immer noch gewöhnen. Als sie schließlich auf der Mitte des Hofes anhielten, wurden sie von ein paar Männern beäugt. Besonders Melanon und Celia schienen ihr Interesse zu wecken. Celia wurde unruhig. Auch wenn sie es gewöhnt war, im Mittelpunkt zu stehen (als Elfenprinzessin war es praktisch unmöglich, nicht beachtet zu werden), bei den Menschen war es ihr mehr als unangenehm. Melanon spürte ihre Unruhe. Er legte eine Hand auf ihre Schulter und drehte mit der anderen so, dass sie einen der Menschen direkt ansah, etwas, das sie bis dahin vermieden hatte.

In den Augen des Mannes, den sie anblickte, konnte sie Verunsicherung lesen, vielleicht ein bisschen Angst, gemischt mit Neugier und Misstrauen. Auch kam er nicht weiter auf sie zu. Es kam Celia so vor, als wären sie zwei Wölfe, die sich umkreisen und so gegenseitig abschätzen. Das nahm ihr etwas von der Unsicherheit, dieses Verhalten kannte sie und so viel es ihr leichter, mit dem Fremden umzugehen. Lockerer wurde sie aber erst, als einer der Männer Oreas zunickte und ihn, wenn auch nicht unbedingt freundlich, begrüßte.

Oreas folgte ihm schließlich seufzend ins Haupthaus, während Melanon und Celia ebenfalls absaßen. Auch wenn sich dass für Celia als kompliziert herausstellte, sie schaffte es schließlich doch alleine. Die anderen Männer waren zu ihrer Arbeit zurückgekehrt und Celia sah gerade noch einen der Männer in einem Stall verschwinden. Erst jetzt realisierte sie, dass die Gesichter der Männer sehr faltig und ausgemergelt aussahen. Sie mussten ein hartes Leben führen und sie erinnerte sich wieder daran, dass Melanon ihr einmal erzählt hatte, dass die Menschen dieser Region wegen der Steuern arm waren. Die Elfe konnte nicht anders, als sie zu bemitleiden.

„Warum sind wir eigentlich hier?“, fragte sie nachdenklich.

„Das hier sind Oreas Nachbarn. Ich nehme an, er will sie fragen, ob sie sich in seiner Abwesenheit um seinen Hof kümmern würden, er kann die Tiere ja schlecht alleine lassen. Und wenn ich mich richtig erinnere, dann hat die Familie mehrere Söhne und kann so leichter einen oder zwei entbehren.“

Celia schwieg einen Moment. „Und warum kommt er mit?“, platzte es schließlich aus ihr heraus.

Melanon seufzte. „Das kann ich auch nur erraten. Ich habe zwar ein paar Vermutungen, aber vielleicht irre ich mich auch. Womöglich weiß er es selber noch nicht einmal so genau. Oreas war schon immer schwer zu verstehen. Liegt daran, dass er nicht viel redet“, fügte er noch hinzu.

„Und was vermutest du?“

Melanon lächelte. „Warum interessiert dich das?“

„Na ja, ich verstehe ihn einfach nicht, und dabei würde ich das gerne. Warum geht er weg, wenn er doch alle Menschen hasst und auch nicht bei ihnen sein will? Und seine Tiere liebt er doch so sehr, das ist sogar mir aufgefallen.“

„Das hört sich fast so an, als würdest du auch über ihn einen Bericht schreiben und müsstest ihn dazu genauer analysieren.“

„Ich schreibe schon etwas über ihn, aber nicht so etwas. Ich würde ihn eher als Exemplar der Halbelfen sehen und seine Situation als solcher beschreiben, aber seine Motive sind etwas persönliches und nicht so wichtig. Das interessiert mich einfach und irgendwo habe ich ja auch ein recht darauf, immerhin muss ich ja mit ihm reisen.“

„Du musst nicht.“

Celia funkelte ihn an. Melanon lächelte zurück. Celia war in vielem noch ein bisschen kindlich, hatte sie doch kaum etwas von der harten Realität mitbekommen. In Wirklichkeit war sie einfach nur furchtbar neugierig und versuchte ihre Neugier zu rechtfertigen, das wussten sie beide.

Melanons Lächeln verblasste, während er seine Antwort formulierte: „Weißt du, ich denke, Oreas ist auf diesem Hof sehr alleine, auch wenn er so tut, als wäre es anders, er vermisst menschliche Gesellschaft genauso wie er sie hasst. Außerdem ist es für ihn an der Zeit, sein eigenes Ich zu definieren und sich von seinem Vater zu lösen, etwas, das ihm schon immer schwer fiel. Und dazu muss er eben mit der Wirklichkeit konfrontiert werden und kann sich nicht auf dem Hof vor der Welt verstecken. Denn auch wenn er seine Pferde über alles liebt, genau das hat er die letzten paar Jahre getan.“

„Wo sind seine Eltern eigentlich?“ Celia brannte darauf, mehr über sie zu erfahren und diese Neugier hörte man ihrer Stimme auch an. Sie würde es wohl niemals schaffen, so unbeteiligt zu klingen wie Oreas. Es interessierte sie so sehr, wer von beiden der Elf war, wie sie sich kennen gelernt hatten und von welcher Art Elf seine Mutter oder sein Vater waren (wohl ein Windelf, die waren laut Melanon am häufigsten in dieser Gegend).

„Seine Mutter ist schon tot. Sie war ein Mensch. Ein wirklich wundervoller. Als ich noch klein war hat sie mir und Oreas öfter Geschichten erzählt, wenn wir nicht einschlafen konnten. Sie war wirklich wunderbar.“ Bei dem Gedanken daran blickten Melanons Augen in die Ferne und er lächelte leicht. Und ein wenig traurig. Er musste Oreas’ Mutter wirklich gern gehabt haben. Ob Celia es wagen sollte, auch nach seinem Vater zu fragen? Sie entschied sich dagegen. Melanon würde ihr keine Antwort geben, das spürte sie. Irgendetwas war vorgefallen, und niemand wollte darüber sprechen. Oreas’ Verhältnis zu seinem Vater schien auch kein gutes gewesen zu sein, wenn es nötig war, sich „von ihm zu lösen“, wie Melanon es ausgedrückt hatte.

Ob sein Vater an seiner Misanthropie schuld war? Und wo war er überhaupt? Melanon hatte nichts von seinem Tod gesagt, also konnte sie davon ausgehen, dass er immer noch am Leben war. Hatte er Oreas verlassen, genauso wie ihr eigener Vater sie (oder genauer gesagt ihre Mutter, von ihr wusste er ja nichts)? Und was hatte seine Mutter dazu gesagt? Hing ihr Tod vielleicht damit zusammen?

Celia hatte gerade den Mund geöffnet, um zu fragen, wie Oreas’ Mutter denn gestorben war, als sich die Tür des Haupthauses wieder öffnete und Oreas mit grimmigem Gesicht heraustrat. Er schüttelte noch die Hand eines jungen Mannes, bevor er zu seinem Pferd ging und wieder aufsaß. Jetzt konnte sie Melanon schlecht fragen.

Auch der saß schon wieder auf Arqua, als sie sich auch überwand, wieder aufzusitzen. Alleine der Gedanke ließ sie das Gesicht verziehen. Die kurze Zeit auf ihren eigenen Füßen hatte ihr erst klar gemacht, wie unbequem Pferde doch waren. Ihre Muskeln waren jetzt schon verspannt. Diesmal schaffte sie es dann auch, wenn auch leicht wackelig, ohne Hilfe auf Herias Rücken. Bevor sie den Hof verließen, blickte sich Celia noch einmal um, um alles, die Geräusche, Gerüche und natürlich auch den Anblick so gut wie möglich in ihr Gedächtnis aufzunehmen.

„Kümmern sie sich um deinen Hof?“, fragte Melanon beiläufig. Oreas nickte.

Nach einer Pause stellte Melanon endlich die Frage, die ihm schon seit dem Gespräch mit Celia auf der Zunge brannte: „Wärst du auch mitgekommen, wenn sie nicht zugestimmt hätten?“

„Ein anderer Nachbar hätte es getan.“