Kapitel XIII: Mauern und Schwerter
Elikos erinnerte Celia irgendwie an Erador. Nicht, dass sie viele Vergleichsmöglichkeiten hatte, aber der Unterschied zu Ronia war frappierend. Das einzige, was es in Ronia und Elikos, aber nicht in Erador gab, waren die hohen Festungsmauern, die die Elfe an den königlichen Palast erinnerten.
Die kleine Festungsstadt war an einer der wichtigsten Handelsstraßen zwischen Caronia und dem Zwergenreich errichtet worden. Eine Tatsache, die Celia niemals in den Sinn gekommen wäre, da die Straße inzwischen einen wirklich schlechten Zustand hatte. Die inzwischen schon zehn Jahre währenden Unruhen, vor allem im Süden, hatten dafür gesorgt, dass die Händler die unsichere Route mieden und stattdessen über Akweah reisten.
Gegründet wurde Elikos von Melanons Großvater und zum Zweck der Grenzsicherung an einer besonders engen Stelle des Tals gebaut. Die Mauer wurde an der engsten Stelle errichtet und die Stadt erstreckte sich in einem Halbkreis ins Landesinnere, so dass eventuellen Angreifern aus den Nachbarreichen eine möglichst geringe Angriffsfläche geboten wurde.
Mit Ausnahme der durch die hohen Felsen geschützten Teile war die gesamte Stadt von einer zwei Meter dicken Festungsmauer umgeben, die nur zwei Tore besaß, durch die die Haupthandelsstraße führte. Die Tore waren aus dickem Eichenholz gezimmert worden und von Zwei Wachtürmen eingefasst, die ständig besetzt waren. Auch an anderen Teilen hatte man Türme in das Bollwerk eingebaut. In der Ferne konnte Celia auch auf ihnen die winzigen Gestalten auf und ab gehen sehen.
Hatte man das Tor passiert, erreichte man ein weiteres, das ebenfalls den Durchlass zu einer zweiten, ebenso dicken Mauer bildete. Der zwischen den Mauern liegende Gang lag düster und verlassen da, sodass Celia bei seinem Anblick ein kalter Schauer über den Rücken lief. Ihr war nicht ganz klar, ob sie sich darüber freuen sollte, endlich aus der Gefahrenzone heraus zu sein, oder ob sie sich davor fürchten sollte, zwischen diesen mächtigen Mauern gefangen zu sein.
Hinter dem zweiten Tor erwarteten sie dann schließlich die ihr schon bekannten, eng aneinander stehenden Häuser, zwischen denen enge und dreckige Straßen lagen. Nur die Handelsstraße, die schnurgerade verlief, war etwas breiter und gab den Blick auf das gegenüberliegende Tor frei.
Auffallend war jedoch, dass die Häuser weniger farbenfroh als die in Erador waren. An vielen Stellen blätterte die Farbe von den Holzbalken, sofern die Bewohner sich jemals die Mühe gemacht hatten, sie zu bemalen. Auch waren die Häuser nie komplett aus Holz gebaut, sie bestanden vielmehr aus einer Mischung von Holz und Stein. Trotzdem besaß jedes Haus eine Eigenheit, die es von den anderen unterschied, obwohl die Unterschiede meist sehr subtil waren. Manchmal war ein Relief in die Mauersteine eingemeißelt, ein anderes Mal war die Tür bunt verziert und in den Fenstern hingen farbenfrohe Vorhänge.
Hinter den Fassaden lebten viele Menschen, meist auf engem Raum. Celia konnte sie hören und war wieder einmal erstaunt, wie laut Städte doch waren. In der Zeit des ständigen Lauschens in den Wäldern hatten sich ihre Ohren wieder an die relative Stille gewöhnt. Es würde wieder etwas dauern, bis sie sich an die Kakophonie in der Stadt gewöhnt haben würde. Die Stärke der Gerüche überwältigte sie ebenfalls von neuem, dabei gab es in Elikos keine so exotischen Gewürze wie in Erador. Trotzdem hatte die Elfe den Eindruck, dass hier die Gerüche intensiver waren. Vielleicht lag es an den hohen Mauern, die jeglichen Luftzug verhinderten.
Die kleine Gruppe ritt auf der Hauptstraße unter den neugierigen Blicken der Bewohner auf das andere Ende der Stadt zu. Die Blicke verunsicherten Celia. In den Augen einiger stand Hoffnung, in denen anderer Misstrauen geschrieben, aber kein einziger nahm die Ankunft der Fremden einfach emotionslos hin. Sie kam sich fast vor, wie einer der Schausteller, die sie in Erador beobachtet hatte. Wie eine Jahrmarktsattraktion. Vielleicht lag sie mit dieser Vermutung gar nicht so falsch, wenn sie die drei verdreckten Uniformen, Melanons ehemals kostbare Gewänder und ihre und Oreas’ auffällige Ohren bedachte.
Die Menschen hatten sich an den Straßenrand gestellt und begafften sie, bis sie fast das nächste Tor erreicht hatten. Rechts von ihnen lag nun ein großer Platz, der Marktplatz, auch wenn kaum ein Händler seine Waren anpries. Die wenigen, die hauptsächlich Nahrungsmittel anboten, wirkten auf der riesigen gepflasterten Fläche irgendwie verloren.
Als Celias ihren Blick zum anderen Ende des Platzes schweifen ließ, fiel er auf eine weitere hohe Mauer, an deren Tor Wachen standen. Ihr Ziel lag hinter dieser Mauer. Melanon hatte ihr erklärt, dass sich dort der Sitz des Stadthalters und das Rathaus befanden. Melanons neues Zuhause.
Hinter dem dritten Tor erwartete sie bereits ein vornehm gekleideter älterer Herr. Sein Gesicht war voller Sorgenfalten, dabei war sein Haar noch nicht ganz grau.
„Mein Name ist Milam, ich bin der bisherige Verwalter, seid willkommen, Eure Hoheit.“ Er verbeugte sich, und Melanon antwortete mit einem leichten Nicken und einem müden Lächeln.
„Wir hatten früher mit Euch gerechnet“, fuhr er mit der klaren und tiefen Stimme eines Mannes fort, der daran gewöhnt war, vor anderen zu sprechen. „Die zwei Boten, die es bis hierher geschafft haben meinten, Ihr hättet schon vor Tagen eintreffen sollen. Wir hatten schon befürchtet, Euch wäre etwas passiert.“
„Es gab Komplikationen.“
Celia fragte sich, was es mit den Boten auf sich hatte, und Oreas murmelte ihr von der Seite her die Erklärung zu. Er musste ihr nachdenkliches Gesicht bemerkt haben.
„Es werden immer fünf Boten losgeschickt, um sicherzugehen, dass die Nachricht auch ankommt.“
Melanon stieg von Arquas Rücken, und die anderen taten es seinem Beispiel gleich. Sofort wurden die Tiere von den Stallburschen abgeführt, sodass Celia gerade noch Zeit hatte, ihren Rucksack zu nehmen. Milams Augen musterten nun die Augen seines neuen Vorgesetzten.
„Solltet Ihr nicht von sechs Wachen begleitet werden?“
„Wie gesagt, es gab Komplikationen.“ Und Melanon fasste möglichst knapp die Ereignisse dieses schicksalhaften nebligen Morgens zusammen. Währenddessen wurde Milams Gesichtsausdruck zunehmend besorgt und er folgte Melanons Ausführungen aufmerksam.
„Ich fürchte die Straße wird immer unsicherer. Bald wird es gar kein Durchkommen mehr geben.“
„Ja, das fürchte ich auch.“
Celia war unglaublich müde und wollte eigentlich nur noch schlafen. Egal wo, Hauptsache sie hatte ihre lang ersehnte Ruhe. Ihr fielen schon im Stehen fast die Augen zu und. Zu ihrem Glück schien Melanon es ähnlich zu sehen, denn er fuhr nicht fort, wie Milam es offensichtlich erwartet hatte. Der Mann zögerte kurz und starrte dann ganz unverwandt Oreas an.
„Ist das sein Sohn?“ Das Misstrauen und die Verachtung in seiner Stimme waren kaum zu überhören. Unbewusste presste Celia die Lippen zusammen.
„Ja.“ Ohne weitere Fragen zuzulassen wandte Melanon sich ab und ging auf das Haupthaus zu. Die Soldaten waren sichtlich verwirrt und Milam schien über Oreas Anwesenheit mehr als unzufrieden zu sein, sagte aber nichts, sondern biss nur die Zähne zusammen. Trotzdem hatte Celia ein ungutes Gefühl bei der Sache. Als würde es noch ein Nachspiel geben. Milam konnte sie nur schwer einordnen. Was er wirklich von Melanon hielt konnte man unter seiner höflichen Fassade kaum erkennen.
Die Zimmer, in denen man sie und ihren Bruder unterbrachte, lagen im dritten Stock des vierstöckigen Haupthauses. Lantes wurde sofort ins Lazarett gebracht und Miras und Thero bekamen ein Zimmer bei den Wachen der Stadt, deren Kaserne in unmittelbarer Nähe des Marktplatzes lag. Melanons Zimmer lag einen Stock unter ihrem und war wahrscheinlich das prunkvollste in der ganzen Stadt. Genau genommen handelte es sich nicht um ein Zimmer sondern um eine Suite mit Vorzimmer und eigenem Bad.
Celia mochte das Haus irgendwie. Es war nicht übermäßig hell, aber da die Wände mit Holz oder Teppichen verkleidet waren, wirkte alles recht warm. Auch ihr Zimmer war mit rotbraunen Teppichen an den Wänden und auf dem Boden ausgestattet. Das Bett stand an der linken Wand, an der rechten befand sich ein kleiner Schreibtisch, bei dessen Anblick das Herz der Elfe automatisch einen Sprung machte. Doch das hatte Zeit. Sie ließ ihren Rucksack einfach auf den Boden fallen, zog die nassen Stiefel und Kleidung aus und ließ sich aufs Bett fallen. Es dauerte keine zwei Minuten, bis sie eingeschlafen war.
*
Celia gewöhnte sich schnell an die Routine in der Stadt. Meistens begleiteten sie und Oreas Melanon bei der Inspektion der Befestigungsanlagen und der Soldaten oder brüteten mit ihm über Verteidigungsplänen und den spärlichen, meist schlechten Nachrichten aus der Hauptstadt. Die Kundschafter, die ausgesandt wurden um die Fortschritte der Rebellen zu beobachten, berichteten immer öfter von deren Vorrücken, falls sie denn wieder zurückkamen.
Die Stimmung in der Stadt war eine gespannte, alle Bewohner schienen auf den Sturm zu warten, der sich untern im Flusstal zusammenbraute und unweigerlich in die Berge hinaufziehen würde. Trotzdem waren die Bürger fröhlich und lebten ihr Leben so gut es eben ging weiter. Eine Einstellung, die Celia nur bewundern konnte. Sie selbst konnte das mulmige Gefühl in ihrem Bauch nur selten verdrängen. Aber die Menschen waren es wahrscheinlich schon gewöhnt, schließlich lebten sie inzwischen schon seit zwei Jahren in ständiger Gefahr. Die Stadt hatte schon zwei Angriffe überstanden und jeder kannte die Evakuierungspläne, die für den Notfall ausgearbeitet worden waren.
Wann immer Milam darauf bestand, alleine mit Melanon zu sprechen (meistens wurde diese Bitte von einem vielsagenden Blick in Richtung Oreas begleitet), ging die Elfe mit ihrem Bruder zum Trainingshof der Soldaten, wo er mit ihnen trainierte. Es überraschte sie nicht wirklich, dass er besser war als die Männer.
Es war ein sonniger Tag mitten im Sommer als Milam sie wieder einmal aus dem Planungszimmer verbannt hatte. Langsam begann es sie zu ärgern, dass der Mann nicht nu Oreas, sondern auch ihr so viel Misstrauen entgegenbrachte. Vor allem konnte sie sich nicht erklären, was er gegen sie hatte. Offen sprach er jedenfalls keine seiner Verdächtigungen aus, dazu hatte er zu viel Respekt vor Melanon. Trotzdem bereitete ihr sein Verhalten Sorgen. Jedes Mal, wenn er ihr einen seiner merkwürdigen Blicke zuwarf, kam die dunkle Vorahnung, die sie bei ihrer ersten Begegnung gehabt hatte, wieder in ihr auf.
Wie immer begleitete sie Oreas zu dem Trainingsplatz und setzte sich an den Rand. Eine Weile betrachtete sie das Hin und Her der Schwerter, die in der Sonne aufblitzen. Oreas gewann wie gewöhnlich mühelos und das Schwert seines Gegners landete mit klirrend zu seinen Füßen. Nachdenklich blickte die Elfe auf das Schwert. Sie hatte schon öfters überlegt, ob sie Oreas fragen sollte, aber im entscheidenden Moment hatte sie immer gezögert. Dabei hatte es sicher nur Vorteile, auch wenn die Menschen ihre Ansicht sicher nicht teilen würden. Kurzentschlossen stand sie auf und ging zu ihrem Bruder. Dieses Mal würde sie keinen Rückzieher machen.
„Oreas?“, der Kopf des Angesprochenen fuhr herum.
„Ja?“
„Bringst du mir bei mit dem Schwert zu kämpfen?“
Oreas war nicht so erstaunt, wie sie erwartet hatte, im Gegensatz zu den Soldaten, die sich noch in der Nähe befanden. Der, den Oreas eben besiegt hatte, sog hörbar die Luft ein und starrte sie aus großen Augen an. Ihr Bruder jedoch blickte eher nachdenklich durch sie hindurch und schien zu überlegen. Schließlich nickte er.
„Nimm dir eins von den Schwertern.“
Sofort stand sie auf, ging zum Ständer mit den Schwertern und überlegte sich, welches sie wohl am besten nehmen sollte. Die Schwerter hatten verschiedene Längen und Breiten, einige waren abgenutzt und schartig, andere noch relativ neu. Schließlich entschied sie sich für das Schwert mit der schmalsten Klinge, hauptsächlich weil es am leichtesten aussah. Trotzdem erwies es sich als schwerer als sie erwartet hatte, als es in ihrer Hand lag.
Erwartungsvoll ging sie zu Oreas, der in der Mitte des Platzes auf sie wartete. Er begutachtete das Schwert, nickte zufrieden und reichte ihr ein paar Handschuhe aus Leder mit Metallbesatz.
„Zieh sie an, das schont deine Hände und schützt sie etwas, falls ich dich treffen sollte.“
Celia nickte nur leicht nervös und folgte seiner Anweisung. Die Handschuhe saßen fast perfekt und sie konnte nicht umhin sich zu wundern, wo er sie herhatte. Die Hände der Soldaten waren alle größer und kräftiger als ihre.
„Sie haben mir gehört als ich jünger war, du kannst die behalten“, antwortete Oreas auf die ungestellte Frage. „Jetzt nimm das Schwert und nimm die Grundhaltung ein.“
Celia konnte nur vermuten was gemeint war. Also umfasste sie das Schwert mit beiden Händen und hielt es vor sich in die Luft. Oreas überprüfte ihre Haltung und ihren Griff und aus irgendeinem Grund wurde sie noch nervöser, auch wenn sie nicht wusste warum.
„Du kannst ihr doch nicht das Kämpfen beibringen!“, empörte sich einer der Soldaten plötzlich. „Es ist schon schlimm genug, dass die uns immer beim Üben zusieht.“
Oreas sah den Mann mit seinen inzwischen zu Schlitzen verengten Augen an. „Und warum sollte ich das nicht können?“ Sein Ton war wieder so eisig wie damals, als sie ihn kennen gelernt hatte.
„Mädchen sollte einfach nicht kämpfen“, mischte sich ein anderer ein. „Sowas gehört sich einfach nicht.“
Oreas beschloss, dass es wohl das Beste war, die Männer einfach zu ignorieren und begann, seiner Schwester die Grundtechniken zu erklären. Doch da die Soldaten immer weiter murrten, konnte sie sich zu Anfang kaum konzentrieren. Trotzdem ließ Oreas sie die Übungen solange wiederholen, bis ihre Arme und Beide wehtaten und sie kaum noch in der Lage war, dass Schwert zu halten. Er hatte an jeder Kleinigkeit etwas zu kritisieren, und Celia wurde klar, dass er sich erst zufrieden geben würde, wenn alles perfekt war.
Am Ende des Tages war sie nicht nur hundemüde und ihr tat alles weh, sie fühlte sich auch auf eine merkwürdige Art glücklich und zufrieden. Etwas, das ihr nicht mehr passiert war, seit sie ein kleines Mädchen gewesen war und den ganzen Tag damit verbracht hatte, im Wald zu spielen und vor Selion wegzulaufen.
Die beiden fanden Melanon schließlich immer noch über die Pläne der Stadt gebeugt. Er schien müde, wenn auch nicht mehr so müde wie auf der Reise. Seit sie Elikos erreicht hatten, konnte man ihm seine Sorge ständig ansehen. Kaum etwas erinnerte noch an den fröhlichen jungen Mann, mit dem sie do viel Zeit auf Oreas Hof verbracht hatte. Es fühlte sich an, als wäre das alles vor Jahren und nicht erst vor Wochen passiert.
Der Prinz warf ihr und Oreas einen fragenden Blick zu den Oreas nur mit einem bei ihm seltenen Grinsen beantwortete. Da fiel Celia auf, dass sie ebenfalls unbewusst grinste. Sie war wirklich viel zu müde, stellte sie fest.
„Celia hat mich gebeten, ihr den Umgang mit dem Schwert beizubringen“, antwortete Oreas auf die Frage, die Melanon ins Gesicht geschrieben stand.
Einen Moment lang starrte der seine Freunde nur an und blickte kurz zu Celia, bevor sich auf seinem Gesicht ebenfalls ein Grinsen ausbreitete. Es verschlug Celia fast den Atem wie jung er plötzlich aussah. Nein, jung war das falsche Wort, er sah eher so alt aus, wie er wirklich war. Für einen kurzen Moment war er einfach nur Melanon, ohne die Last, die auf seinen Schultern lag. Doch dieser Moment verging so schnell wie er kam, als Milam sich räusperte und seinen Lehnsherren daran erinnerte, dass er weiter an den Plänen zu arbeiten hatte.
*
Seit diesem Tag verbrachte Celia fast täglich mehrere Stunden zusammen mit Oreas beim Training. Er stellte sich als strenger und geduldiger Lehrer heraus. Er ließ sie alles bis zum Umfallen wiederholen und meckerte bei jedem noch so kleinen Fehler herum. Aber er gab ihr nie das Gefühl, dass sie eigentlich besser sein müsste und da sie nach den ersten paar Tagen der Ehrgeiz gepackt hatte, ertrug sie alles und arbeitete umso härter.
Die größten Probleme bereitete ihr immer noch das Gewicht der Klinge. Die hatte nun mal einfach nicht so viel Kraft in den Armen wie die Menschenmänner. Oreas hatte ihr sogar erzählt, dass sie Elfen für gewöhnlich leichtere Schwerter verwendeten, weil sie generell nicht so muskulös wie die Menschen waren.
Sie waren wieder beim Trainieren, als eines Tages etwas ungewöhnliches passierte. Oreas ließ seine Schwester gerade seine Hiebe parieren, als einer der Soldaten in die Arena gelaufen kam.
„Eine Delegation von den Zwergen!“, rief er außer Atem. „Sie passieren gerade das Tor.“
Sofort ließen alle ihre Arbeit stehen und liegen und liefen zum Marktplatz. Auch Oreas und Celia warfen sich kurz einen Blick zu und kamen stumm überein, es den Soldaten gleichzutun. Celia legte ihr Übungsschwert zurück (das inzwischen keiner der anderen Soldaten mehr benutzte) und folgte ihrem Bruder.
Sie kamen gerade rechtzeitig, um die Delegation über den Platz ziehen zu sehen. Zwerge, so entschied Celia, waren merkwürdige Kreaturen. Sie waren viel kleiner als Elfen oder Menschen, dafür aber bestimmt doppelt so breit und kräftig. Außerdem waren sie alle unglaublich haarig und blickten mürrisch drein.
Ihre Kleidung bestand hauptsächlich aus Fellen, Leder und Kettenhemden. Es waren also eindeutig Krieger. Ob sich alle Zwerge so gaben? Alle trugen Hellebarden und Schwerter und Celia war sich sicher, dass sie ihnen nie alleine begegnen wollte. Auf eine nicht klar zu fassende Weise machten sie ihr Angst.
Die Zwerge ritten auch nicht, wie Celia angenommen hatte. Jetzt, wo sie sie sah, wurde ihr auch klar, dass sie dafür vermutlich zu klein waren. Nein, die Zwerge marschierten und wurde von einigen Ponys begleitet, die ihnen als Lasttiere dienten.
Die Zwerge durchschritten, genau wie ihre eigene kleine Gruppe vor Wochen, eines der Tore zum Verwaltungssitz, und Celia vermutete, dass sie dort von Melanon oder Milam in Empfang genommen wurden.
Eine Vermutung, die sich als zutreffend erwies, sobald sie und Oreas wieder ins Innere der Mauern zurückgekehrt waren. Celia wollte schon zu Melanon gehen und sich die Zwerge genauer ansehen (ihre Neugier hatte wieder einmal die Oberhand gewonnen), aber Oreas packte sie am Arm und zog sie hinter sich her in das Innere des Gebäudes. Dort folgte sie ihm in den Speisesaal, in dem fieberhaft gearbeitet wurde. Die Diener versuchten, sich in aller Eile auf die Gäste vorzubereiten und arbeiteten daran, den kaum genutzten Saal sauberzumachen, während andere bereits die Tafel deckten.
Es dauerte nicht lange, bis Melanon, Milam und die Zwerge ankamen. Die Zwerge sahen sich um, während sie mit den beiden Menschen redeten, doch sie verzogen keine Miene. Nur in den Augen weniger konnte Celia Anerkennung sehen, ganz im Gegensatz zu denen Milams. Sobald er Oreas entdeckt hatte verdüsterte sich seine Miene, was seinen Gesprächspartnern nicht entging. Melanon schien das Verhalten seines Beraters allerdings nicht im Mindesten zu beeindrucken. Er winkte seine Freunde zu sich hinüber.
Celia hielt sich die ganze Zeit leicht hinter Oreas. Die Zwerge waren ihr nicht ganz geheuer, und sie wusste nicht, wie sie reagieren sollte. Sie schienen aus der Nähe noch grimmiger, auch wenn man die Gesichter hinter den langen Bärten kaum erkennen konnte.
„Meine Freunde Oreas und Celia“, stellte Melanon sie vor.
Die Blicke der Zwerge glitten über sie und ihren Bruder hinweg, als seien sie es nicht wert, dass man ihnen mehr Aufmerksamkeit als nötig schenkte. Hatte sie ein Begrüßung oder wenigstens eine kurze Antwort erwartet, so wurde sie enttäuscht. Entweder mochten die Zwerge sie nicht oder sie waren ihnen egal. Auf jeden Fall wandten sie ihre Aufmerksamkeit wieder Melanon und Milam zu um mit ihnen belanglose Höflichkeiten auszutauschen.
Beim Essen schließlich wandte sich das Gespräch ernsteren Themen zu. Vor allem den Handelsbeziehungen zwischen den Zwergen und Elikos. Ein heikles Thema, da die Stadt abhängig von den Waren aus dem Zwergenreich war, besonders dem Getreide, aber gleichzeitig kaum etwas im Gegenzug anzubieten hatte. Auch wenn die Elikaner für ihre Schmiede und Baumeister bekannt war, nützte es nicht viel, denn die der Zwerge hatten sie in ihrem Können noch lange nicht erreicht. Am Ende kam man überein, dass sie Zwerge die Schmiedearbeiten aus Elikos weiterverkaufen würden. Melanon sicherte ihnen sogar ein zeitweiliges Monopol auf den Handel zu.
Celia konnte nicht einschätzen, ob Milam mit dem Ausgang der Gespräche zufrieden war. Er schien besonders mit dem Zugeständnis eines Handelsmonopols zu kämpfen zu haben. So unauffällig wie möglich fragte sie ihren Bruder, was daran denn so besonderes wäre, und während die anderen weiter die Einzelheiten besprachen erklärte er ihr, dass sich die Stadt damit mehr oder weniger von Caronia lossagte und sich an das Zwergenreich angliederte. Sie wurde also mehr oder weniger zu einem staatsfreien Raum, was den König wiederum mit Sicherheit verärgern würde.
Trotzdem machte es in seinen Augen Sinn, fuhr er fort, da es kaum noch Kontakt zur Hauptstadt gab und Elikos selber nur über eine sehr geringe landwirtschaftlich zu nutzende Fläche verfügte. Und der Großteil der Fläche befand sich außerdem vor den Toren der Stadt in Richtung Flusstal. Sie wurde teilweise aufgegeben, als die Festung zum ersten Mal belagert wurde und lag inzwischen völlig brach.
Nach diesem Tag taten Celia nicht nur die Muskeln, sondern auch der Kopf weh. Die politischen Feinheiten waren ihr immer noch zu kompliziert und so wirklich hatte sie auch nicht verstanden, warum der König so erbost über die Abmachung seines Sohnes sein würde. In Momenten wie diesen freute sie sich wirklich, keine Menschenprinzessin zu sein. Sie wäre mit den Aufgaben restlos überfordert. Selbst eine Elfenkönigin hatte es verglichen mit Melanon leicht.
*
Die Zwerge blieben noch einige Tage. Der Höhepunkt ihres Aufenthaltes war für Celia der Tag, an dem sie die Schwerter, die sie verkaufen wollten, mit auf den Trainingsplatz brachten. Selbst die Soldaten wurden für einige Stunden zu kleinen Kindern, auch wenn diese wohl kaum mit langen spitzen Schwertern spielten. Oreas ließ sie schließlich auch hinüber gehen, obwohl er sie eigentlich noch hatte üben lassen wollen. Doch Celia war einfach zu neugierig und konzentrierte sich am Ende trotzdem mehr auf die Zwergenschwerter als auf ihr eigenes oder seines.
Als sie schließlich hinüber zu den auf einem Tuch ausgebreiteten Schwertern ging, bekam sie wieder die typischen missbilligenden Blicke der Soldaten zugeworfen und die vorher lebhaften Gespräche um die herum verstummten. Celia ignorierte sie. So langsam bekam sie ein Gefühl dafür, wie es Oreas immer ergehen musste. Wenigstens konnte sie sich immer wieder sagen, dass sie nicht alleine war.
Oreas war ihr gefolgt und beobachtete sie dabei, wie sie sich die verschiedenen Schwerter ansah. Unwillkürlich schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen. Es war wirklich erstaunlich wie neugierig und kindlich seine Schwester sein konnte. Die Schwerter schienen sie zu beeindrucken und er konnte das gut verstehen. Seine Reaktion auf das erste Zwergenschwert, das er zu Gesicht bekam, war eine ähnliche gewesen. Sein Meister hatte ihn damals mitgenommen um ihm sein Schwert zu kaufen. Es hatte ewig gedauert, bis er sich entschieden hatte, doch er war immer noch zufrieden mit seiner Wahl.
Die Zwerge waren unbestritten die besten Schmiede auf der ganzen Insel. Eine Tatsache, die die Soldaten seiner Meinung nach nur halb zu würdigen wussten. Sie bestaunten vor allem die Schwerter, deren Griffe aufwendig gearbeitet waren. Dabei waren die die harten und schwer zu zerbrechenden Klingen der eigentliche Höhepunkt ihrer Schmiedekunst. Sein eigenes Schwert hatte kaum Scharten und es lag vom Gewicht her gut in der Hand.
Celia zog seine Aufmerksamkeit wieder auf sich, als sie nach einem der Schwerter griff, aber von einem der Zwerge daran gehindert wurde. Er hatte ihre Hand weggeschlagen.
„Aua!“, rief sie empört und rieb mit der anderen über den Handrücken. „Was soll das?!“
„Was will ein kleines Mädchen wie du mit einem Schwert?“, brummte der Zwerg.
Celia zog einen Schmollmund. Oreas musste grinsen. So würde sie der Zwerg auch nicht ernster nehmen.
„Ich will es ausprobieren“, sagte sie trotzdem, mit einer Spur Stolz in der Stimme.
„Als ob du damit etwas anfangen könntest, Elfenmädchen.“ Inzwischen schwang leichte Belustigung in der tiefen Stimme mit.
Celias Auftreten wurde mit einem Mal ernster und zum ersten Mal seit langem konnte man ihr fast ansehen, dass sie in Wirklichkeit älter und nicht jünger war als ihr Bruder.
„Selbstverständlich kann ich das“, erwiderte sie ruhig.
„Ein guter Witz, Mädchen.“
„Das ist kein Witz.“
Die beiden so unterschiedlichen Kontrahenten fochten ein Blickduell aus, das keiner aufzugeben bereit war. Kurzerhand nahm sich Oreas das Schwert und begutachtete es. Es war weder verziert noch von der Form her ein besonderer Blickfang, aber deswegen dürfte es auch nicht die Aufmerksamkeit seiner Schwester auf sich gezogen haben.
Er konnte auf den ersten Blick erkennen, dass es ursprünglich wohl für die Windelfen geschmiedet worden war. Die Klinge war zwar lang, aber trotzdem dünn und schmal, wirkte neben den anderen beinahe zerbrechlich. Das ideale Schwert für Celia, den es war bei weitem das leichteste, das er seit langem zu Gesicht bekommen hatte. Ideal deshalb, weil Celia immer noch stark durch das Gewicht des Schwertes eingeschränkt wurde.
„Wie viel?“, fragte er.
Der Zwerg sah ihn einen Moment abschätzend an.
„Zehn Goldtaler.“
Teuer also, wie jedes Zwergenschwert, aber vergleichsweise billig, wenn man bedachte, dass man in Ronia mindestens fünfzehn bezahlen müsste, da die Nachfrage nach Elfenschwertern dort wesentlich größer war.
„Acht, die Klinge könnte besser sein.“
Der Zwerg schien zu überlegen.
„Neun, und keinen Silberling weniger.“
Oreas schlug ein. Ein gutes Geschäft. Selbst trotz der nicht ganz einwandfreien Klinge war das Schwert für Celia immer noch besser geeignet als die anderen. Zum Glück hatte er die letzten zehn Jahre sehr sparsam gelebt. Nicht, dass er jemals viel Luxus gehabt oder gewollt hatte. Das passte nicht zu ihm.
Nachdem er bezahlt hatte, reichte er Celia das Schwert, der man die Freude über ihr neues Spielzeug wirklich ansah. Sie strahlte regelrecht. Der Zwerg und die Soldaten warfen ihnen komische Blicke zu, aber es störte ihn nicht sonderlich und seiner Schwester schien es gar nicht aufzufallen.
Den Rest des Tages verbrachten sie mit Üben und am Abend präsentierte Celia ihr Schwert immer noch strahlend Melanon, der sich von ihrem Enthusiasmus sogar ein wenig anstecken ließ.