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Rodo, 2023

Kapitel XII: Am Fluss

Sie verließen Ronia noch am selben Tag in Richtung Süden. Oreas und Celia hatten sich entschieden, Melanon zu begleiten. Der König sah sie daraufhin schief an, aber er sagte nichts weiter. Celia erinnerte sich daran, dass er Oreas gedroht hatte, er solle nicht nach Süden gehen. aber offensichtlich hatte er seine Meinung geändert. Er schien zwar nicht übermäßig glücklich zu sein, doch er akzeptierte es, ein Fakt, der die Elfe verunsicherte und in ihr ein nagendes Gefühl “on Gefahr verursachte, dass sie so gut es eben ging verdrängte. Sie war beschäftigt genug damit, nichts in ihrem Zimmer zu vergessen und alles sicher zu verstauen.

Falls Melanon sich von seiner Familie verabschiedet hatte, hatte Celia es nicht mitbekommen. Celia bezweifelte es. Nur von Phila und seiner Mutter konnte sie sich vorstellen, dass es sie überhaupt interessierte, ob er wegging oder nicht. Aber Melanon redete ja nicht über das, was an diesem Tag passiert war, bevor sie den Palast wieder vrließen. Genau genommen redete er gar nicht, und Celia kannte ihn inzwischen gut genug, um zu wissen, wann sie ihn nicht ansprechen sollte. Er wirkte bedrückt und besorgt und bemerkte kaum, was um ihn herum vorging, so tief war er in Gedanken versunken, und die Elfe erwischte sich dabei, wie sie ihn minutenlang anstarrte und sich fragte, was denn los war.

Am Himmel zogen sich Wolken zusammen und bildeten bedrohlich erscheinende graue Türme, als sie wieder durch das große Tor ritten, das beim Öffnen knarrte, dass es Celia Schauer über den Rücken laufen lief. Es erinnerte sie fast ein wenig an Donner, und die Luft roch schon nach Regen. Sie fühlte sich einfach nicht wohl, fast so, als stünde ihre Reise unter einem schlechten Stern. Wenigstens waren sie dieses Mal nicht zu dritt. Der König war trotz seiner offensichtlichen Abneigung um seinen Sohn besorgt. Genug, um ihm eine Leibgarde zur Verfügung zu stellen. Insgesamt sechs Mann, in den typischen Uniformen des Palastes, sollten ihn beschützen.

Oreas hatte bei dem Anblick der Männer die Nase gerümpft und resigniert den Kopf geschüttelt. „Zu auffällig“, hatte er gemurmelt. Und Celia musste ihm zustimmen. Die roten und gelben Streifen auf den sonst schwarzen Uniformen mit den unpraktisch langen Ärmeln ließen schnell erkennen, von wo die Männer kamen. Und wen sie begleiteten. Das mulmige Gefühl in ihrem Magen kehrte zurück. Die Reise, die vor ihnen lag, schien gefährlich zu werden. Trotzdem stand ihr Entschluss fest. Sie wollte Melanon und ihren Bruder begleiten. Verwundert stellte sie fest, dass es ihr kaum noch um die Menschen ging, sondern &vielmehr um ihre Freunde, doch der Gedanke wurde schnell wieder aus ihrem Bewusstsein verdrängt. Es gab wichtigeres, fürs Philosophieren hatte sie keine Zeit.

Der einzige Lichtblick an diesem Unheil verkündenden Nachmittag war Heria. Celia freute sich, die braune Stute wieder zu sehen und dem Tier erging es offensichtlich ähnlich. Die Streicheleinheiten, die sie von Celia bekam, genoss sie in vollen Zügen.

Am Abend war der Himmel noch dunkler geworden, sodass ihre Ahnungen ihr immer mehr aufs Gemüt schlugen. Inzwischen hatte sie aus Oreas wenigstens den ersten Teil ihrer Route herausbekommen. Es gab wohl nur den einen Weg nach Süden. Sie würden dem Fluss Drelos folgen, der im Norden, im Gebirge der Windelfen, entsprang, nach Süden fast ganz Caronia durchfloss und schließlich im westlichen Nikloral ins Meer mündete. Sie hatten den Fluss östlich von Ronia bereits überquert und ritten nun am Ostufer entlang.

Die Männer waren genauso angespannt wie Melanon und sie ließen sich Zeit bei der Wahl ihres Lageplatzes. Nach langem Überlegen entschlossen sie sich dann für eine kleine Lichtung, die an einer Seite von einer Felswand begrenzt wurde. Die Männer machten sich sofort daran, das Lager aufzubauen (für den Fall, dass es regnete) und Celia fiel auf, wie stark sie sich von ihnen distanzierten. Es verunsicherte sie außerdem, dass sie nur das Nötigste miteinander redeten und jeder wie automatisch zu wissen schien, was er zu tun hatte. Nur sie fühlte sich hilflos und wusste nicht, was von ihr erwartet wurde.

Also blieb sie einfach bei Oreas und Melanon. Letzter war immer noch mit sich beschäftigt, oder besser gesagt, mit dem Problem, von dem sie nicht wusste, was es war. Bei Oreas konnte sie wenigstens sagen, wo er mit seinen Gedanken war, wenn schon nicht bei seinem Abendessen, das inzwischen auf seinem Teller lag. Seine Ohren waren gespitzt und man sah ihm an, dass er mit allen seinen Sinnen auf die nähere Umgebung fixiert war. Allein das machte Celia schon Angst, denn wenn ihr Bruder so reagierte, musste wirklich etwas nicht stimmen. Und noch schlimmer, sie hatte nicht einmal den leisesten Schimmer, von wem oder was Gefahr drohte.

Geräuschvoll legte sie ihr Metallgeschirr auf den Boden, aber ihre Begleiter schreckten trotzdem nicht aus ihren Gedanken hoch. Dafür sahen die Soldaten aus, als wären sie soeben um zehn Jahre gealtert. Einen Moment starrte sie einfach in ihre entsetzten Gesichter, wandte sich dann aber doch ihren beiden Freunden zu.

„Melanon … wohin reiten wir eigentlich?“, fragte sie vorsichtig.

Oreas blickte auf, aber Melanon reagierte immer noch nicht.

„Melanon!“, wiederholte sie etwas lauter. Angesprochener bemerkte sie immer noch nicht.

„Melanon“, sagte Oreas genervt und stupste ihn in die Seite. Er blickte verwirrt auf.

„Was?“

„Wohin reiten wir?“, fragte Celia erneut, ein Hauch von Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit.

Melanon antwortete nicht sofort. Stattdessen schien er wieder in seinen trüben Gedanken zu versinken. Sie war schon kurz davor, ihn erneut in die Seite zu stoßen, als er den Kopf hob und an ihr vorbei in die Büsche blickte, ohne etwas zu sehen.

„Nach Süden, Elikos, um genau zu sein. Das ist eine kleine befestigte statt am Rand der Berge östlich des Flusses, fast an der Grenze zur Steppe“, fügte er als Erklärung für Celia hinzu.

„Aha.“ Es war die Sorte Antwort, die klar machte, dass sie absolut nicht verstanden hatte. „Und was machen wir da?“

Melanon seufzte. „Vater hat mir den Auftrag gegeben, mich um die Stadt zu kümmern. Ich bin der neue Stadthalter.“

Celia schwieg einen Moment. „Und warum hat er dich ausgewählt?“

„Um mir etwas zu tun zu geben, vermute ich. Und vielleicht um mich scheitern zu sehen. Wer weiß schon, was im Kopf meines Vaters vorgeht. Und irgendwer musste er wohl schicken. Ein überaus bequemer Weg, um mich loszuwerden, wenn du mich fragst.“ Er lächelte bitter.

„Warum solltest du scheitern?“

Melanon seufzte wieder und Celia wusste, dass er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

„Weißt du, das Ganze ist gar nicht so leicht zu erklären. aber scheitern werde ich, weil ich sowieso auf verlorenem Posten stehe. Es ist nur eine Frage der Zeit, und das weiß Vater ganz genau. Elikos wird schon seit Jahren wieder und wieder angegriffen. Und die Situation wird immer ernster.“ Mit einem Mal sah Melanon viel müder und älter aus, als er in Wirklichkeit war. Schatten flackerten über sein Gesicht, wann immer der Wind die Flammen des Lagerfeuers anfachte. Celia war gar nicht aufgefallen, dass es schon so dunkel war.

„am besten ich erkläre dir das genauer“, fuhr er fort. „Aber ich warne dich am besten schon mal vorher. Die ganze Situation ist so komplex, dass ich unmöglich alles bis ins Detail erläutern kann. Genau genommen kann ich noch nicht einmal sagen, wie alles angefangen hat.“

„Mein Großvater – und nach ihm mein Vater – hatten das Ziel, Caronia zum mächtigsten Land auf Derlova zu machen. Mein Großvater hatte nicht so viel Geld und Energie darauf verwendet, wie mein Vater. Es ging ihm hauptsächlich darum, die Festungsanlagen zu verstärken. Du musst wissen, damals waren die Zeiten nicht so sicher wie heute. Wir hatten häufiger Kriege mit den anderen Nachbarländern.

„Unter meinem Vater gab es dann wieder Frieden, wenn auch einen wackligen, hauptsächlich, weil der Erzherzog von Nikloral gestürzt wurde. Die Ereignisse in Nikloral, damals, vor zwanzig haben alle ziemlich aufgerüttelt, und mein Vater wollte die Stabilität des Landes nicht gefährden, also hat er seine Präsenz verstärkt. Diesmal nicht nur nach außen, sondern auch nach innen. Also hat er einen enormen Aufwand betrieben, um Ronia zur prächtigsten Stadt auszubauen. Die meisten der Gebäude und Gärten wurde erst in den letzten zwanzig Jahren gebaut. Als ich weggegangen bin, war die Stadt noch eine riesige Baustelle.

„Gleichzeitig wurden die Bauern aber immer ärmer und schließlich nahmen sie sich ein Beispiel an Nikloral und rebellierten. Seitdem kämpfen die Rebellen gegen die Truppen meines Vaters, mit mäßigem Erfolg. Der Süden, hauptsächlich die Steppe, ist fest in Rebellenhand, aber seit Jahren konnten sie nicht wirklich Boden gut machen. Elikos liegt an der Grenze und war mal ein wichtiger Stützpunkt, deswegen wird die Stadt von den Rebellen in zunehmendem Maße attackiert. Mein Vater meint scheinbar, sie verlieren zu können und setzt im Moment darauf, neue Festungen entlang einer Verteidigungslinie gegen die Rebellen zu bauen, um den Norden und die drei großen Städte zu schützen. Im Moment läuft es wohl auf eine Teilung des Landes hinaus.“

Melanon hatte seinen Vortrag beendet, und Oreas sein Abendessen. Celia konnte nicht von sich behaupten, dass sie verstanden hatte, was Melanon ihr klar zu machen versucht hatte. Auch wenn sie sich sicher war, dass es nicht an den Worten lag, sondern eher an den Konzepten, die sie noch mehr verwirrt hatten. Kriege, Steuern, Festungen … all das sagte ihr nur oberflächlich etwas. Trotzdem fragte sie nicht nach. Melanon machte den Eindruck, als hätte er schon seit Tagen nicht mehr geschlafen und würde jeden Moment vor Müdigkeit zusammenbrechen, jetzt, wo er wieder geistesabwesend in die sterbenden Flammen starrte.

Celia dachte sich, dass es besser war, ihm seine Ruhe zu lassen. Er würde sie brauchen. Ein kurzer Blick zu ihrem Bruder sagte ihr, dass es ihm wohl ähnlich ging. auch er war definitiv nicht in der Stimmung, ihre Fragen ausführlich zu beantworten. Celia seufzte. Dieses Mal würde es an ihr liegen, sich den Sinn dieser Worte zu erschließen, und sie hoffte inständig, dass es ihr mit der Zeit gelingen würde.

*

Am nächsten Morgen konnte Celia nicht wirklich von sich behaupten, dass sie gut geschlafen hatte, und es hatte den Anschein, als wäre es ihren Mitreisenden auch so ergangen. Oreas gab sich natürlich große Mühe dabei, sich nichts anmerken zu lassen und gähnte nur, wenn niemand hinsah, beziehungsweise wenn er glaubte, dass niemand hinsah. Aber es brauchte nicht Celia Auffassungsgabe, um ihm seine Verfassung anzusehen – die Ränder unter seinen Augen sprachen für sich.

Melanon sah nicht besser aus, auch wenn er das Ganze tapfer ertrug. Die Männer machten sich auch nicht die Mühe, ihn genauer unter die Lupe zu nehmen, machten sie doch einen ähnlichen Eindruck.

Celia selbst hatte wegen der Anspannung der anderen nicht schlafen können. Je weiter sie kamen, desto mehr konnte man sie spüren. Sie ging von jedem aus, und um die Mittagszeit konnte sie sie fast körperlich spüren. Die Vorsicht und Spannung erdrückte Celia und ließ sie ein paar Mal Schlucken oder tief Luft holen. Sie hoffte wirklich, sie würden ihr Ziel bald erreichten, denn sie wusste beim besten Willen nicht, wie lange sie das durchhalten würde.

Am Abend fragte sie Oreas, Melanon war immer noch ein wenig distanziert, sodass Celia begann, sich Sorgen zu machen. Allerdings wusste sie auch nicht, wie sie ihm helfen könnte. Oreas meinte schließlich (nachdem er ihren flüchtigen Blick zu Melanon gesehen hatte und leicht die Stirn runzelte), dass sie mindestens zwei Wochen unterwegs sein würden. Celia reagierte äußerlich nicht, sondern fragte sich nur im Stillen, wie sie das nur durchstehen sollte.

*

Sie waren schon über eine Woche unterwegs, und noch immer war nichts passiert. Das sorgte dafür, dass die Männer sich ein wenig entspannten. Celia war diese Woche unendlich lang erschienen, und ein Teil freute sich darüber, dass die Stimmung ein wenig lockerer wurde. Ihr Bruder jedoch betrachtete die Soldaten nur mit Missbilligung; er wusste, dass sie noch lange nicht außer Gefahr waren. Das Gegenteil war der Fall, je näher sie ihrem Ziel kamen, desto gefährlicher wurde es, und Nachlässigkeit könnte ihren Tod bedeuten.

Es war ein ungewöhnlich kalter Sommermorgen, an dem sie erneut ihr Lager abbrachen um weiter zu reiten. Im Flusstal stieg Neben auf, der verhinderte, dass die Sonne sich einen Weg zum Boden bahnte. Trotzdem waren die Soldaten recht entspannt. Wenn sie den Feind nicht sehen konnten, konnte er sie schließlich auch nicht sehen. Es war also recht sicher.

Oreas’ Wachsamkeit ließ trotzdem nicht nach. Wie ihm das gelang, war Celia jedoch ein Rätsel, denn sie war inzwischen mehr als erschöpft und Melanon ging es ähnlich. Seit Tagen wünschte sie sich nichts mehr als ein warmes Bett und eine Nacht Schlaf. Sie führte Oreas’ Ausdauer schließlich auf sein Training zurück. Während sogar den Soldaten langsam aber sich die Kräfte ausgingen, biss er einfach die Zähne zusammen und schien alleine dank seiner puren Willenskraft aufrecht zu stehen, als wäre nichts.

Auch Celia war in diesem Fall mit ihrem Bruder einer Meinung. Der Nebel dämpfte die Geräusche der Umgebung so sehr, dass nur das entfernte Plätschern des Flusses und das Geklapper der Hufe der immer schlechter werdenden Straße zu hören waren. Kein noch so schwacher Windstoß drang bis ins Tal vor, was den Neben nur weiter in der vom Fluss gegrabenen Senke hielt.

Celia hatte schon ein paar neblige Morgen auf ihrer Reise erlebt, doch trotzdem war dieser für sie besonders beunruhigend. Sie schüttelte leicht den Kopf. Nun sah sie auch schon Gespenster, so erschöpft war sie. Sie fühlte sich, als wäre ihr schon den ganzen Morgen Blicke gefolgt, obwohl das praktisch unmöglich war. Oreas schien auf sie abzufärben. So hielt sie ihren Blick weiter auf die Bäume und Felsen am Wegrand gerichtet, die kaum mehr als schattenhafte Schemen waren, die wie Geister die Stille des Nebels durchbrachen, nur um lautlos wieder darin zu versinken.

Die plötzlich einsetzende Stille riss sie aus ihrer Trance. Das Hufgeklapper vor ihr war verstummt, und auch Heria blieb abrupt stehen. auf der Suche nach der Ursache sah sie sich nach allen Seiten um, doch weder bewegte sich irgendetwas, noch wurde die bedrohliche Stillte durchbrochen. Vor ihrer kleinen Gruppe konnte sie schließlich einen Schatten dort ausmachen, wo eigentlich die Straße weitergehen sollte. Die Männer, drei ritten vor ihr und Oreas, tauschten besorgte und verwirrte Blicke untereinander aus, bis einer von ihnen, der, der an der Spitze ritt, absaß.

Man sah an seiner Haltung, wie sehr ihn dieses unerwartete Hindernis alarmiert hatte. Die auf den Pferden zurückgebliebenen hielten unbewusst den Atem an und horchten in die Nebelschwaden hinein, während der Soldat sich langsam dem Objekt näherte.

Als er schon fast vom Nebel verschluckt worden war, ohne dass etwas passiert war, folgten die anderen zögernd. aber keiner von ihnen wagte es, ebenfalls abzusitzen. Celia erwartete, dass sie jeden Moment jemand aus den Bäumen am Straßenrand ansprang – für einen Moment flackerten die Gesichter der Männer aus dieser verhängnisvollen Nacht im Wald an ihrem geistigen Auge vorbei. Ihr Herz setzte beinahe aus, als sie meinte, eine Bewegung in den Schatten gesehen zu haben, aber nichts geschah. Erst da fiel ihr auf, wie sehr ihr Herz raste.

Je näher sie dem Objekt kamen, umso besser konnte Celia erkennen, dass es sich scheinbar um einen alten, nicht besonders großen Wagen handelte. Ein Gespann, das wohl von einem oder zwei Ochsen gezogen werden sollte. Doch die Ochsen fehlten, und ebenso der Mensch, dem der Wagen gehörte.

Unsicher warf sie einen Blick zu Oreas, der links von ihr ritt, doch der ließ seinen Blick weiter über den Karren wandern. Anspannung war in sein Gesicht geschrieben. Auch aus Melanons Zügen war jede Müdigkeit gewichen und durch grimmige Bestimmtheit ersetzt worden.

Ein ähnlicher Ausdruck lag auf den Gesichtern der Soldaten, auch wenn hier und da etwas Unsicherheit und Angst in ihren Augen glomm. Celia nahm an, dass sie wohl ähnlich aussehen musste.

Das Hindernis blockierte fast die gesamte Straße, sodass es unmöglich war, einfach an ihm vorbei zu reiten. aber sie mussten auf der Straße bleiben, denn soweit Celia wusste, war das der einzige Weg nach Elikos. Noch ehe sie den Gedanken zu Ende geführt hatte, nahm der Soldat, der sozusagen der Auskundschafter war, sein Pferd bei den Zügeln und führe es rechts am Wagen vorbei. An der linken Seite erhoben sich Felsen und das Gelände war für ein Pferd nicht geeignet, doch an der rechten ragten Bäume in die Höhe. Der Wald reichte bis ans Flussufer weiter unten im Tal.

Sowohl das Pferd als auch der Mann stolperten noch durch das Gestrüpp, als die nächsten beiden Soldaten ihrem Kameraden folgten, ohne abzusitzen. Celia beäugte das Ganze misstrauisch. Irgendetwas gefiel ihr an der Situation nicht. Sie fühlte sich immer noch beobachtet. Fast wie ein Hase, der vom Fuchs belauert wird.

Zuerst begriff sie nicht was geschah, als zwei Mal die Luft sirrte. Ihr Blick war immer noch auf die Soldaten vor ihr gerichtet.

Dann wurde der zweite von ihnen von irgendetwas am Hals getroffen und sein Pferd bäumte sich unter schmerzerfülltem Wiehern auf. Ihr blieb nichts anderes übrig, als hilflos mit anzusehen, wie der Soldat mit weit aufgerissenen Augen und leicht geöffnetem Mund wie in Zeitlupe seitwärts vom Pferd fiel.

Und plötzlich ging alles ganz schnell. Ihr wurden die Zügel aus den Händen gerissen und Herias Kopf wurde herumgerissen, sodass sie fast das Gleichgewicht verlor, als die Stute lospreschte. In letzter Sekunde bekam sie den Hals des Tieres zu fassen und klammerte sich mit aller Macht an ihn, während sie den Kopf in die Mähne presste und die Augen zukniff.

Hinter sich konnte sie Schreie und Wiehern hören, gemischt mit Schwertergeklirr und Hufgetrappel. Und immer wieder zischte etwas an ihr vorbei. Irgendwo nahm sie ein unterdrücktes Aufstöhnen wahr, doch sie wagte es nicht, sich vom Hals des Pferdes zu lösen, während es immer schneller galoppierte.

Etwas Kaltes und Nasses schlug gegen ihr Gesicht und als sie für einen kurzen Augenblick die Augen öffnete, erkannte sie, dass sie nicht länger auf der Straße waren, sondern dass die durch den Wald zum Fluss hinunter jagten.

Das Wasser näherte sich bedrohlich schnell und ehe sie sich darauf einrichten konnte, war Heria auch schon hinein gesprungen. Die Kälte raste wie eine Welle durch ihren Körper und lies sie hochschnellen. Sobald sie sich vom Schock erholt hatte, fiel ihr die für sie fast schmerzende Stille auf, die nun herrschte.

In der Ferne konnte sie noch immer Menschen rufen hören, aber durch den Nebel war es unmöglich, irgendetwas zu sehen. Vor sich hörte sie das schnelle Atmen ihrer Freunde und auch sie selbst war außer Atem, obwohl sie nichts getan hatte.

Oreas’ Hand umklammerte immer noch Herias Zügel und zog das Pferd hinter sich her. Erst jetzt bemerkte Celia, dass sie offenbar flussabwärts schwammen, doch warum wusste sie nicht. Und sie traute sich nicht, auch nur einen Laut von sich zu geben.

Fast unbewusst glitt ihre Hand zu ihrem Gepäck und überprüfte, ob es noch da war. Sie atmete erleichtert auf, als sie feststellte, dass es immer noch wasserdicht verpackt war und sicher hinter ihr am Sattel befestigt war.

Es kam ihr schließlich wie eine Ewigkeit vor, als die Männer beschlossen, den Fluss zu verlassen. Wie sie das entschieden hatten war ihr zwar nicht klar, denn keiner hatte auch nur ein Wort gesagt, doch irgendwie handelten sie alle so, als wäre es abgesprochen gewesen.

Irgendwann fanden sie im Wald eine Höhle, die hinter ein paar Tannen versteckt lag, in die sie sich zurückzogen, doch die Elfe war viel zu erschöpft, um sich davor zu ängstigen. Der Schock saß immer noch zu tief und alles fühlte sich dank der Kälte taub an. Auch die Pferde wurden zur Sicherheit in die Höhle geführt.

Celia tat es regelrecht weh, ihre verkrampften Hände vom Hals des Pferdes zu lösen und sie war kaum in der Lage, auf eigenen Beinen zu stehen. Erst, als sie halbwegs sicher stand, bemerkte sie, dass einer der Soldaten immer noch auf seinem Pferd saß, das Gesicht schmerzverzerrt. Sein schwerer Atem hallte in der kleinen Höhle wider. Ein Pfeil ragte aus seiner linken Schulter und er hatte sich vornüber gebeugt, um nicht herunterzufallen.

Die zwei anderen Soldaten halfen ihrem Kameraden vom Pferd und trugen ihn in eine Ecke, in der Melanon schon eine Decke ausgebreitet hatte. Mit einem Mal kam sie sich wieder vollkommen nutzlos vor. Jeder kannte seine Aufgabe, nur sie nicht.

Am liebsten hätte sie sich zusammengerollt und geweint, aber sie wusste nicht, ob sie dazu noch die Kraft hatte. Und selbst dafür, dass sie in so einem Moment so selbstsüchtig war, kam sie sich schlecht vor. Es blieb ihr einfach nichts anderes übrig, als die Zähne zusammenzubeißen und die Tränen wegzublinzeln.

Sobald sie sich einigermaßen unter Kontrolle hatte, atmete sie einmal tief und immer noch zitternd durch und sah sich um. Die Männer in der Ecke hatten ihren Kameraden auf den Bauch gelegt und hielten ihn an beiden Armen fest, während Melanon ihm ein Stück Leder zwischen die Zähne schob. Der Anblick verstörte sie, und sie wollte nicht wirklich miterleben, was als nächstes geschah, also wand sie den Blick ab und entdeckte Oreas, der am Ausgang der Höhle stand.

Sein Gesicht hatte den für ihn typischen angespannten Ausdruck und er stand halb im Schatten versteckt und lauschte. Ohne groß darüber nachzudenken stellte sie sich zu ihm und horchte in den Nebel hinaus, konzentrierte sich auf jedes Geräusch. Nur um die gedämpften Schreie aus dem hinteren Teil der Höhle nicht hören zu müssen. Doch trotzdem drehte sich unweigerlich ihr Magen um.

*

Den Tag und die darauf folgende Nacht verbrachte die kleine Gruppe in der Höhle. Bevor es am Nachmittag zu regnen angefangen hatte, waren Männer durch den Wald gegangen, doch sie hatten sich dem Eingang nicht genähert, sodass Celia und Oreas sie nur dank ihrer guten Ohren bemerkten.

Während der ganzen Zeit hatten sie angespannt gewartet und gehofft, und die Götter schienen gnädig zu sein. Lantes, der Mann, der an der Schulter verwundet wurde, hatte noch während Melanons Behandlung das Bewusstsein verloren. Er lag immer noch auf dem Bauch, doch sein Atmen hatte sich in den letzten Stunden ein wenig beruhigt.

Sobald der Regen eingesetzt hatte, zogen sich Celia und Oreas tiefer in die Höhle zurück. Einerseits konnten sie durch das Prasseln sowieso kaum hören und andererseits würde man sie dank des Wetters wohl nicht finden.

Keiner wollte das Risiko eingehen, ein Feuer zu machen, daher waren sie alle immer noch durchnässt und froren. Celia knabberte lustlos an einem Kanten Brot. Ihr Hunger hatte sich noch nicht wieder eingestellt, aber sie würde etwas essen müssen, wenn sie bei Kräften bleiben wollte.

Lantes, ein junger Mann mit hellbraunen Haaren und einer auffällig langen Nase, erlangte erst kurz nach Anbruch der Dunkelheit wieder das Bewusstsein. Ein gutes Zeichen, so Melanon, und er hatte auch noch kein Fieber bekommen. Besonders die beiden anderen Soldaten, Miras und Thero, waren sichtlich erleichtert. Celia selbst war nur noch müde. Die nervliche Anspannung hatte ihr Übriges getan und ihre Erschöpfung noch verstärkt. Also hatte sie sich neben Oreas zusammengerollt und hoffte einfach nur, dass sie bald an ihrem Ziel ankommen würden.

„Was machen wir jetzt eigentlich?“, fragte sie völlig unvermittelt.

„auf der Straße können wir nicht bleiben“, stellte Oreas nüchtern fest. Aus den Augenwinkeln sah sie Melanon zustimmend nicken.

„Bleiben nur noch die Wälder am Fluss.“

„Solange sie da nicht auf uns lauern.“

Die beiden unverletzten Soldaten hatten sich zum ersten Mal in die Unterhaltung zwischen Celia, Oreas und Melanon eingemischt, aber außer der Elfe schien niemandem dieser Umstand aufzufallen. Der Überfall hatte jedenfalls endgültig das Eis zwischen ihnen gebrochen.

„Das hängt wohl davon ab, was sie wissen oder vermuten“, warf Melanon ein.

„Was meinst du?“

„Sie werden die Uniformen gesehen haben. Wenn das einfach Banditen waren, haben wir kein Problem, aber die Rebellen könnten zwei und zwei zusammenzählen und wüssten, dass sie es entweder mit einem Mitglied der königlichen Familie oder einem hochgestellten Adligen zu tun haben. Wenn sie nicht schon einen Boten abgefangen und nur darauf gewartet haben, dass wir vorbeikommen“, erklärte Melanon.

„Wie auch immer, wir sollten uns beeilen. Ich für meinen Teil bin nicht besonders wild darauf, noch länger als Zielscheibe herumzulaufen“, brummte Oreas, die Arme vor der Brust verschränkt.

„Eine Wahl haben wir aber trotzdem nicht. Wir haben einen Verletzten dabei und müssen die Straße meiden. Dafür brauchen wir mindestens elf Tage.“

„Und das Gelände wird schwieriger“, bemerkte Miras.

„Wenn Oreas und ich zu Fuß vorgehen würden, kämen wir dann schneller voran? Wir können schließlich besser sehen und hören.“

„Und wir könnten auf der Straße bleiben“, ergänzte Oreas, und Celia meinte, fast so etwas wie Anerkennung gehört zu haben. Der Hauch eines Lächelns schlich sich auf ihre Lippen.

„Schneller kämen wir trotzdem voran“, murmelte Thero.

„Ich halte es trotzdem für die beste Option.“ Und damit beendete Melanon die Diskussion. In Momenten wie diesen entwickelte der Magier eine Aura, die jedem in seiner Nähe klar machte, dass er ein Anführer war, auch wenn er sich dessen nicht bewusst war. Er war einfach ein geborener Anführer.

Am nächsten Morgen verließen sie die Höhle, auch wenn keiner von ihnen wirklich geschlafen hatte. Außer Celia, die sich vor Erschöpfung einfach nicht mehr hatte wach halten können. Melanon half dem immer noch geschwächten Lantes aufs Pferd, während Oreas und Celia den Wald bis hinauf zur Straße durchkämmten. Zum Glück gab es nirgends auch nur die Spur eines Menschen.

Der Rest der Woche verlief ähnlich. In den Morgenstunden gab es oft Nebel und der Himmel war die meiste Zeit mit Wolken bedeckt. Sie alle waren bald ständig durchnässt. Celia hasste das Gefühl der an ihr klebenden Kleidung und konnte sich einfach nicht an die Nässe gewöhnen, die durch die Kälte sogar in ihren Körper zu kriechen schien. Aber es blieb ihr nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden, also murrte sie auch nicht.

Lantes’ Zustand, der sich zuerst zu verbessern schien, verschlechterte sich nach zwei Tagen. Die Wunde hatte sich entzündet und Melanon versuchte sein Bestes, aber Heilmagie konnte auch nicht alles heilen. Außerdem gab er selbst zu, dass er sie nur am Rande studiert hatte. In Momenten wie diesen verfluchte er die Tatsache, dass er sein Studium nicht hatte beenden können.

Es war ein weiterer nebliger Morgen, an dem sie den Fluss verließen und der Straße folgten, die nun kaum mehr als ein Schotterweg war. Sie führte in die Berge, an deren Anblick Celia sich inzwischen gewöhnt hatte (zu Anfang hatte sie vor ihnen Angst gehabt), auch wenn die hohen Gipfel sie immer noch in Staunen versetzten. Gegen Mittag wuchsen um sie herum keine hohen Bäume mehr. Die Landschaft wurde von kleinen Nadelbäumen dominiert.

Den ganzen Nachmittag ritten sie tiefer in die Berge hinein, die Celia das Gefühl gaben, als würden sie sie erdrücken. An ihnen vorbei zu reiten war eben doch etwas anderes. Es wirkte bedrohlich, die die Berge so unbeweglich dastanden, obwohl sie auf sie den Eindruck machten, als wäre sie lebendig.

Es sollte noch einen weiteren Tag dauern, bis sie das hohe Tor und die Festungsmauern der Bergstadt vollkommen erschöpft erreichten. Sie alle dankten den Göttern, dass es keine weiteren Zwischenfälle gab.