Kapitel XI: Déjà-Vu
Am nächsten Morgen durfte Celia feststellen, dass Melanon nicht übertrieben hatte, als er von einem Essen mit seiner Familie als „Folter“ gesprochen hatte. Es sollte eine der merkwürdigsten und surrealsten Erfahrungen werden, die sie in der Menschenwelt gemacht hatte. Und es hatte nicht besonders viel mit einem Frühstück in der Familie gemein. Sogar sie verhielt sich besser, wenn sie mit ihren Verwandten aß. Das hoffte sie zumindest.
Der Tag versprach schon, verwirrend zu werden, als Melanon sie abholte – und sie ihn wieder nicht gleich erkannte. Dieses Mal trug er weinrot mit goldenen Knöpfen und nicht so langen Ärmeln, dafür mit einem übermäßig stark geschmückten Gürtel und einem auffälligen Kragen. Es würde definitiv dauern, bis sie sich an den ständigen Wechsel der Kostüme gewöhnt hatte.
Der Speisesaal war die nächste Überraschung. Es handelte sich wirklich um einen Saal, genauso weiß wie der Rest des königlichen Palastes, aber dieses Mal fiel es ihr nicht so sehr auf, denn ihr Blick klebte an der langen Tafel, die über und über mit Essen beladen war. Der Umgang mir Nahrung verstörte sie wirklich, denn es blieb immer so viel übrig. Sie hoffte, dass man es nicht einfach wegwerfen würde, aber einige der Waren sahen so aus, als würden sie verderben, wenn man sie nicht sofort essen würde. Im Wald war Essen knapp gewesen, deswegen verschwendeten die Elfen nichts und lagerten alles so lange wie möglich. Es machte sie wütend, dass all das Essen nur für die acht Personen gedacht war, die um sie Tafel herum Platz nahmen.
Celia setzte sich zwischen Oreas und Melanon, auch wenn man nicht wirklich von „zwischen“ reden konnte, denn beide saßen zwei Meter von ihr entfernt. Sie hoffte, es machte nichts, dass sie sich einfach an irgendeinen Platz setzte, die Tafel machte nämlich den Eindruck auf sie, dass es feste Plätze gab. Aber niemand beschwerte sich. An den beiden Enden der Tafel hatten Melanons Eltern Platz genommen. Meror blickte genauso von sich selbst eingenommen wie am Vortag und musterte seine Gäste und seinen jüngsten Sohn, die von ihm aus gesehen auf der rechten Seite der Tafel saßen. Seinen anderen Kindern an der linken Seite schenkte er keine Beachtung. Celia freute sich nicht wirklich ihn wiederzusehen. Ein Essen, bei dem sie das Gefühl hatte, von Blicken durchbohrt zu werden, reizte sie nicht wirklich.
Gegenüber dem König saß die Königin. Jamia, wie Melanon ihr gesagt hatte. Man sah deutlich, dass sie seine Mutter war, denn er hatte seine dunkelblonden Haare, sein Gesicht und seine ausdrucksstarken blauen Augen von ihr geerbt. Nur wenn man ganz genau hinsah, konnte man auch Spuren von seinem Vater in ihm erkennen. Königin Jamia war schön, und es lag nicht nur an ihrem ebenmäßigen Gesicht, sondern vor allem an ihren Augen. Sie waren warm. Während der Blick des Königs ihr ganz und gar nicht behagte, störte der der Königin sie überhaupt nicht. Es ergab eine nicht einzuordnende Gefühlsmischung, als beide sie gleichzeitig studierten.
Gegenüber von Oreas saß der ältere Sohn des Königs, Treor. Melanons älterer Bruder war arrogant, das sah man auf den ersten Blick. Seine Kleidung war bunt und auffällig und Celia hatte den schleichenden Verdacht, dass Melanon sich seine Kleidung von ihm borgen musste. Treor hatte die Haare seiner Mutter geerbt, aber unglücklicherweise außerdem die Nase seines Vaters, die in seinem Gesicht sehr unvorteilhaft war. Obwohl das vielleicht daran lag, dass er und Oreas sich gerade hasserfüllt anstarrten, er besaß vielleicht eine eigene Art Attraktivität, wenn er einmal freundlich aussah. Falls er das denn jemals tat. Und für Oreas stellte er im Sich-Mit-Blicken-Angiften auch nicht wirklich eine Herausforderung dar. Celia wurde von ihm zum Glück die meiste Zeit ignoriert und Melanon bedachte er hin und wieder mit demselben Blick, der sonst für Oreas zu reserviert sein schien.
Celia gegenüber saß Melanons ältere Schwester, Hina, die in wenigen Tagen ihren dreiundzwanzigsten Geburtstag feiern würde. Genauso wie ihre Verlobung. Wer auch immer der Ärmste sein mochte, Celia war froh, nicht in seiner Haut zu stecken. Hina war schön, keine Frage. Ihre braunen Haare umrahmten ein symmetrisches Gesicht. Dennoch war sie nicht auf dieselbe Art schön wie ihre Mutter. Jamia bildete mit ihrer waren Ausstrahlung einen krassen Gegensatz zu ihrer Tochter, die mit ihrer kühlen Art wie ein Raubtier auf Celia wirkte.
Eine Eigenschaft, die sie von ihrem Vater hatte. Und das machte sie nicht unbedingt sympathischer. Denn im Moment war Celia eindeutig die Beute, die von Hina ins Auge gefasst wurde. Sie sah von oben bis unten abschätzig an ihr herab (soweit es die Tafel ihr erlaubte) und nahm dabei jedes noch so kleine Detail in sich auf. Die Verzierung am Kragen ihres Wamses, ihre Augen, die Haltung. Und offenbar missfiel ihr, was sie sah, den sie verzog die Lippen und rümpfte leicht die Nase. Celia wusste beim besten Willen nicht, was an ihr nicht stimmte, aber die Prinzessin machte auch keine Anstalten, es ihr zu erklären oder sie lächerlich zu machen. Unglücklicherweise war es dafür auch noch nicht zu spät. Aber wenigstens schien ihr eine Schonfrist eingeräumt worden zu sein, und Celia wandte ihren Blick der letzten Person zu, die an der Tafel saß.
Melanons kleine Schwester Phila war fünfzehn und der einzige Mensch aus Melanons Familie, mit Ausnahme Jamias, den Celia auch nur annähernd auf den ersten Blick mochte. Wie gesagt, annähernd. Denn die anfänglich vorhandene Sympathie wurde augenblicklich von der Tatsache gedämpft, dass es für Phila offenbar nichts Interessanteres gab als die Elfe. Ihre Ohren schienen es ihr besonders angetan zu haben und die junge Prinzessin starrte sie unentwegt an. Außerdem konnte sie nicht still sitzen und rutschte immer wieder auf ihrem Stuhl hin und her. Vielleicht lag es auch nur an ihrer Ähnlichkeit zu ihrer Mutter und Melanon, dass sie das Mädchen sympathisch fand. Irgendwie jedenfalls. Vielleicht auch einfach nur daran, dass sie ihr keine bösen Blicke schenkte.
Das Essen hatte also noch nicht einmal begonnen und sie wurde von vier der anwesenden acht Personen angestarrt. Es gelang ihr gerade noch, einen erleichterten Seufzer zu unterdrücken, als der König endlich begann zu essen. Das Zeichen, dass die anderen es auch durften (sie war Melanon jetzt noch dankbar dafür, dass er ihr auf dem Weg zum Saal in der Zusammenfassung alles wichtige über seine Familie und den Ablauf des Essen erklärt hatte, sie hätte sie restlos blamiert).
Auch, wenn sie dank der Blicke nicht wirklich hungrig, sondern eher nervös war, nahm sie sich etwas und aß tapfer. Sie wusste zwar nicht wirklich, was es war, aber schenkte dem auch nicht gerade viel Beachtung. Die anderen, besonders Hina und Phila, starrten sie immer noch an.
„Oreas, Celia“, sprach die Königin schließlich, „Ich möchte euch dafür danken, dass ihr meinem Sohn das Leben gerettet habt.“ Sie neigte ihren Kopf leicht, um ihre Aussage zu unterstreichen.
Oreas nickte. Celia folgte nach der anfänglichen Überraschung seinem Beispiel. Vielleicht würde das Essen doch nicht so fürchterlich werden, wie sie es sich vorstellte. Doch sie sollte sich irren, denn offenbar glaubt nun jeder ungehindert reden zu können.
„Wie lange werden sie bleiben, Vater?“, fragte Treor. Man hörte deutlich, dass er auf eine antworte hoffte, die ihm eine weiteres Zusammentreffen mit Oreas ersparen würde. Anstatt zu essen war er nämlich nun wieder damit beschäftigt, seinem Gegenüber hasserfüllte Blicke zuzuwerfen.
Der König seufzte. „Nun, das steht noch nicht fest. Eine Woche bleiben sie sicherlich.“ Ah, wie gut, dass man sie auch fragte. Sie fand den König äußerst unhöflich. Und Melanons großen Bruder auch.
„Dann müssen wir sie aber unbedingt zu Hinas Verlobungs- und Geburtstagsfeier einladen, Meror“, sagte Jamia erfreut.
Das war wirklich keine gute Idee gewesen, das war Celia sofort klar. Und wie sie es sich dachte—
„Aber das geht doch nicht Mutter!“, empörte sich Hina. Ihre Stimme klang unangenehm in Celias Ohren nach, so hoch war sie.
„Wieso denn nicht, das wäre doch toll!“, jauchzte Phila. In diesem Moment hätte Celia sich am liebsten unter dem Tisch verkrochen, denn die Stimmung wurde immer angespannter. Die ältere Schwester war kurz davor, die jüngere zu massakrieren.
„Das ist eine Waldelfe Phila! Sie besitzt doch noch nicht einmal etwas Vernünftiges zum Anziehen. Sieh dir diesen … diesen Fetzten doch an. In so etwas kann ich sie unmöglich auf der Feier dulden!“
Celia fand nichts, was es an ihrem Wams auszusetzen gab, aber andererseits hatte sie sich noch nie viel aus Mode gemacht. Und wenn sie ehrlich war, der Gedanke, auf die Feier zu gehen machte ihr eher Angst als dass er sie reizte. Nein, das musste wirklich nicht sein. Sie stellte sich den Rest der Oberschicht Ronias so vor, wie den König und seine Familie und sie wollte auf keinen Fall mehr als nötig in Gesellschaft solcher Menschen verbringen.
„Na und, dann leihen wir ihr eben etwas. Du brauchst doch sicher nicht alle deine schönen Kleider. Es wäre doch eine Verschwendung, wenn du sie in deinem Schrank vermodern lässt!“, erwiderte Phila trotzig. Celia wusste nicht, ob sie dem Mädchen dankbar sein sollte, weil sie sie verteidigte.
„Aber ich kann ihr doch nicht einfach eines meiner Kleider geben! Es würde ihr gar nicht passen. Sie sind nämlich alle maßgeschneidert und sieh dir nur an, wie dürr die Elfe ist! Und ich will, dass alles perfekt ist. Die Elfe kann bestimmt noch nicht einmal tanzen. Ganz zu schweigen von ihren Manieren! Ich will sie nicht auf meiner Feier!“
Hina hatte sich auf das Niveau ihrer Schwester herabgelassen. Jetzt argumentierten sie beide wie Kleinkinder.
„Du kannst doch seit Monaten von nichts anderem reden als von deiner dummen Feier, du blöde Kuh!“
„Halt die Klappe, du kleines Monster. Das ist der wichtigste Tag in meinem Leben, natürlich soll alles perfekt sein. Du bist doch nur sauer, weil es mal nicht um dich geht.“
Noch während Phila ihrerseits ihre Schwester beleidigte, mischte sich Treor ein. „Hina hat recht, Mutter“, hörte sie ihn von der anderen Seite des Tisches, „Was würde das Volk denken, wenn der da“ – er nickte in Oreas’ Richtung – „zu so einem wichtigen Anlass eingeladen wäre? Du weißt, wer sein Vater ist. Das wäre ein Skandal. Unsere Position ist so schon unsicher genug. Wir können uns keine Patzer erlauben. Und erst recht nicht so einen groben. Wer weiß schon, was er machen würde? Wahrscheinlich würde er uns alle an diesem Abend bloßstellen.“
„Ich fürchte, ich muss Treor zustimmen, meine Liebe. Es würde keinen guten Eindruck machen, wenn er eingeladen wäre“, schaltete der König sich ein.
„Aber sie haben unseren Sohn gerettet. Es würde unsere Position sicher nicht schwächen, wenn wir seine Retter einladen würden. Was seinen Vater angeht, so denke ich, dass es unseren Großmut beweisen würde, wenn er kommen würde. Du würdest einen positiveren Ruf bekommen, Meror“, protestierte die Königin.
„Ich will sie aber nicht dabei haben, Mutter!“, empörte sich Hina erneut. Ihre Stimme wurde immer lauter und Celia musste sich zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken, wann immer sie etwas sagte.
„Warum musstest du nur die Dummheit begehen und die beiden mit hierher bringen, Bruder? Es ist schon schlimm genug, dass du die Schule der Magier verlassen musstest, bevor du deinen Abschluss gemacht hast. Kannst du eigentlich nichts richtig machen? Nein, wohl eher nicht, du kannst ja nicht einmal auf dich selbst aufpassen“, spottete Treor.
„Stimmt, du machst uns nur Probleme. Du könntest uns wirklich allen mal einen Gefallen tun und dich wie ein anständiger Prinz benehmen“, warf Hina ein.
Und so ging es das gesamte Frühstück über weiter. Hina und Phila stritten sich und benutzten dabei Schimpfworte, die Celia noch nie gehört hatte. Hinas Stimme tat ihr in den Ohren weh. Der König und die Königin argumentierten, ob sie und Oreas nun kommen würden oder nicht, dabei waren sie nicht einmal so höflich zu fragen, ob sie überhaupt kommen wollten. Ihre Argumente wiederholten sich auch mit der Zeit. Treor meckerte über alles und jeden, vorzugsweise seine streitenden Schwestern und Oreas.
Melanon machte nicht einmal den Versuch, sich zu verteidigen und Celia war bald total verwirrt, weil sie versuchte, allen auf einmal zu folgen. Oreas schien der einzige zu sein, der die Bezeichnung „Frühstück“ wirklich ernst nahm. Es aß seelenruhig und ignorierte alles um sich herum. Es war schon ein komisches Bild und sie wunderte sich insgeheim, dass keiner der Diener, die an der Wand und an den Türen standen, auch nur eine Miene verzog. Sie selbst war einfach zu paralysiert von dem ständigen hin und her. Wie es Oreas allerdings gelang, Treor auszublenden, war Celia ein Rätsel, denn der schien einen Großteil seiner abfälligen Bemerkungen über ihn zu machen.
Das Ganze (Frühstück) endete damit, dass Hina eingeschnappt und die Arme verschränkt schmollte, Phila fröhlich auf ihrem Stuhl herumrutschte, Treor sichtlich wütend, der König resigniert und die Königin zufrieden war. Das selbstzufriedene Grinsen von Phila ließ Celia böses ahnen, auch wenn sie noch nicht wusste, was. Die Königin hatte am Ende schließlich ihren Willen bekommen. Dieses Mal. Celia und Oreas würden zu dem Ball gehen müssen. Dabei wäre Celia an diesem Abend am liebsten in ihrem Zimmer geblieben. Sie war auch etwas wütend, zeigte es aber nicht, weil das den Gastgebern gegenüber unhöflich gewesen wäre. Sie hätten wirklich fragen können. Aber wie es aussah hätte Widerspruch sie auch nicht weitergebracht. Dabei wären so alle (außer der Königin und Phila vielleicht) glücklicher und sie hätten ein friedliches Frühstück gehabt.
Aber man hatte ja nicht gefragt und so hatte sie jetzt den Schlammassel. Sie würde Hina am besten für den Rest ihres Aufenthaltes aus dem Weg gehen. Wer wusste schon, was sie ihr antun würde, wenn sie sie alleine erwischte. Vielleicht würde sie ihr die Augen auskratzen. Sobald die Tür zu ihren Räumen hinter ihr ins Schloss fiel, stöhnte Celia auf und ließ sich an der Tür auf den Boden sinken. Das war wirklich zuviel gewesen, so früh am Morgen. Oreas Mundwinkel zuckten leicht, aber auch ihn schien die Aussicht auf einen Abend unter Hyänen sonst nicht gerade zu amüsieren.
*
Nachdem Melanon ihr den Palast gezeigt hatte, verbrachte Celia einen Großteil ihrer Zeit in der Bibliothek, um alte Geschichtsbücher, Chroniken und Enzyklopädien zu wälzen. Sie verlor sich meistens so sehr im Studium der Bücher, dass man sie immer extra zum Essen rufen musste. Die restlichen Mahlzeiten liefen zum Glück friedlicher, was wohl alle Beteiligten freute. Nur Treor und Hina hackten öfter auf ihrem Bruder herum. Außer ihr schien sich aber niemand darüber zu wundern. Natürlich war Hina auch alles andere als freundlich ihr gegenüber. Sie fing sich einige missbilligende Blicke ein, wenn sie mit Tintenflecken auf den Händen zu spät zum Essen erschien.
Am vierten Tag hatte Celia aber ausnahmsweise keine große Lust auf staubige Bücher. Am Vortag hatte es geregnet, aber nun war es wieder schön, und so entschloss sie sich, in die Gärten des Palastes zu gehen. Sie hatte die Sonne vermisst, an all den Tagen, die sie in dem unnatürlich weißen Gebäude eingesperrt gewesen war. Die Gärten hatten auch noch einen weiteren Vorteil. Dort konnte sie sich wenigstens nicht so leicht verlaufen. Es war ihr im Inneren des Palastes schon öfter passiert, dass sie die falschen Türen geöffnet hatte und einmal hatte sie sich sogar in der Küche wiedergefunden.
Die Gärten waren wirklich schön. Exotisch und gut gepflegt, aber Celia war das alles eigentlich viel zu künstlich. Sie mochte die freie Natur um Welten lieber. Besonders die Wälder, aber das würde wohl niemanden überraschen. Dort sah jeder Baum anders aus und hatte durch Wind und Wetter seinen eigenen Charakter bekommen. Hier waren alle Pflanzen so zurecht gestutzt worden, dass sie gleich aussahen. Nichts war echt, alles war unwirklich. Aber nichtsdestotrotz schön. Und wenigstens waren es Pflanzen und die hatten ihr in den leblosen, kalten Steinwänden wirklich gefehlt.
Sie stoppte, als sie Oreas erspähte, der unter einem Baum im Schatten saß und auf einen steinernen Springbrunnen mit Statuen von Tieren und Menschen, der aus mehreren kleineren und größeren Fontänen bestand. Sie waren sich gegenseitig aus dem Weg gegangen, seit dem ersten Abend. So ganz war es immer noch nicht zu ihr durchgedrungen, dass er tatsächlich ihr Bruder war. Ihr kleiner Bruder noch dazu. So konnte sie ihn sich wirklich nicht vorstellen. Als älteren Bruder schon eher, und sie hatte das Gefühl, dass sie ihn auch unbewusst immer so sehen würde. Sie waren wohl auch fast gleich alt, da war das nicht so wichtig.
Einen Moment lang wollte sie wieder umkehren, doch dann entschied sie, dass es an der Zeit war, dass sie mit ihm redete. Schweigen brachte sie auch nicht weiter. Und schließlich konnte sie hoffen. Die wenigen Worte, die sie gewechselt hatte, waren zwar distanziert, aber trotzdem noch höflich gewesen. Eine echte Verbesserung, wenn man bedachte, wie sie angefangen hatten (Sie erinnerte sich mir Schaudern an das eine Mal, als er sie angeschrieen hatte).
Also setzte sie sich einfach neben ihn unter den Baum. Er reagierte nicht, aber sie war sich sicher, dass er sie bemerkt hatte. Er war ja ein Halbelf. Und vielleicht verunsicherte ihn das alles genauso wie sie. Sie wusste nicht, wie lange sie schon unter dem Baum gesessen hatten, bis sie endlich ihren Mut zusammenkratzte und eine Frage stellte. Auf jeden Fall saß sie inzwischen zur Hälfte in der Sonne. Es war zwar warm, aber noch nicht zu heiß, also blieb sie einfach sitzen.
„Oreas … könntest du mir von deiner Mutter erzählen?“ Sie hatte ihm diese Frage schon lange stellen wollen. Was für eine Frau sie wohl gewesen war? Immerhin hatte ihr Vater sich in sie verliebt. Sie musste also auf jeden Fall etwas Besonderes gewesen sein, dessen war sie sich sicher. Oreas machte nicht die geringste Bewegung, die andeutete, dass er sie gehört hatte.
„Meine Mutter …“, er machte eine Pause, als schwelge er in Erinnerungen an bessere Zeiten. Celia kannte diesem Blick von Melanons Gesicht. Oreas lächelte kurz. „Sie war großartig. Eigentlich war sie nichts Besonderes, die Tochter eines Bauern, aber sie hatte so eine Ausstrahlung. Jeder mochte sie. Ich kann es nicht genau erklären. Auf jeden Fall war sie wunderschön. Und so voller Liebe für alles auf der Welt. Ich kann mich nicht daran erinnern, sie je wütend gesehen zu haben. Vater hat sie kennen gelernt, kurz nachdem er den Wald verlassen hatte und sie haben sich sofort verliebt. Es hat kein Jahr gedauert, bis ich geboren wurde. Leider war meine Mutter auch sehr kränklich. Bei meiner Geburt wäre sie fast gestorben, deswegen habe ich auch keine Geschwister, na ja, du weißt schon.“ Er lachte kurz auf und zupfte nervös an den uniformen Grashalmen um sie herum. „Und dann ist sie krank geworden. Eine Lungenentzündung. Sie ist nicht wieder gesund geworden. Da war ich elf.“
„Was ist mit deiner Mutter?“, fragte er schließlich.
Celia überlegte, wie sie es ausdrücken sollte. „Na ja … ich habe kein so gutes Verhältnis zu ihr. Sie liebt mich, das weiß ich. Und Vater liebt sie auch immer noch. Aber sie hat mich schon lange aufgegeben. Genau wie ihn. Irgendwann hat sie einfach gemerkt, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin, dass da was in mir drin ist, das sie einfach nicht versteht und das mich von ihr entfremdet. Wie bei Vater. Das tut weh, aufgegeben zu werden, meine ich, sie hätte sich ja wenigstens etwas mehr um mich bemühen können. Ich musste nur noch für öffentliche Auftritte so tun, als wäre alles in Ordnung. Jetzt ist sie Elfenkönigin. Ich bin am Tag ihrer Krönung weggegangen. Ich habe noch nicht einmal zugesehen.“
Oreas sagte nichts.
„Weiß du wirklich nicht, wo Vater ist?“, fragte Celia. Sie erinnerte sich an das, was er dem König gesagt hatte.
„Nicht genau. Er ist irgendwo im Süden in der Steppe. In Erador habe ich ein paar alte Bekannte gefragt. Daher weiß ich es so ungefähr.“
„Du hast den König belogen.“
„Nein, ich habe es nicht anders gemacht als du. Es hängt ganz davon ab, wie man ‚wissen‘ definiert. Ich weiß mehr als der König, aber immer noch nichts Genaues.“
Die beiden grinsten sich an. Sie konnten den König also beide hinters Licht führen ohne zu lügen.
„Sag mal, was machst du hier eigentlich den ganzen Tag.“
„Trainieren, was sollte man hier sonst machen?“
„Lesen?“
„Das ist vielleicht etwas für dich, aber den ganzen Tag in einer stickigen und verstaubten Bibliothek zu sitzen … das kann ich einfach nicht. Da wird man doch irgendwann verrückt.“
„Hmm, nach ein paar Tagen hält man es da drin wirklich nicht mehr aus. Es gibt ja kaum Fenster.“
Schweigen.
„Was trainierst du denn den ganzen Tag?“
„Schwertkampf.“
„Bist du gut? Du bist es bestimmt. Ich habe dich ja gesehen.“ Für ein paar Sekunden flackerten die undeutlichen Bilder von der Nacht im Wald vor ihren Augen, aber sie verdrängte sie bald wieder.
Oreas nickte. Sein Blick was wieder auf die Fontäne gerichtet, aber Celia war sich sicher, dass er sie gar nicht sah.
„Kann ich mal zusehen?“
Oreas war erst überrascht, aber er fing sich wieder, auch wenn es ihm sichtlich schwer fiel, ein Schmunzeln zu unterdrücken.
„Ja.“
Sie hatte sich wirklich nicht geirrt, als sie vermutet hatte, dass Oreas gut war. Er war sogar mehr als gut.Er trainierte mit den Soldaten der königlichen Wache (den Männern in den komischen Kostümen, die Celia am ersten Tag so verunsichert hatten) in einer großen Halle am südlichen Rand des Palastbezirkes. Und er besiegte sie immer wieder. Sie hatten nicht einmal die geringste Chance. Dabei war es der Beruf dieser Männer, jeden zu besiegen, der dem König oder seiner Familie etwas antun wollte.
Wenn Oreas wirklich vorhätte, den König oder jemand anderen in diesem Palast zu töten, stünden die Chancen gut, dass er es auch schaffen würde. Seine Bewegungen waren fließender als die seiner Gegner und er war schneller. Außerdem schien er Techniken zu beherrschen, die die anderen nicht einmal kontern konnten. Beim Training zuzusehen war im einiges spannender als über den Büchern zu hängen. Auch wenn sie Bücher liebte, hin und wieder musste sie einfach raus (und die Bücher durfte sie nicht mitnehmen, das hatte man ihr verboten).
Seit diesem Tag saß sie öfter daneben, wenn Oreas trainierte. Mit der Zeit merkte sie sich sogar ein paar der Attacken und konnte vorhersagen, wie Oreas reagieren würde. Komisch, dass es den anderen nicht gelang. Sie konnte es sich auch nicht erklären, aber seit dem Gespräch war die Stimmung zwischen ihr und ihrem Bruder um einiges gelöster. Die ganze Spannung war irgendwie weg. Da konnten nicht einmal die komischen Seitenblicke der anderen Schlossbewohner ihre gute Stimmung trüben. Oreas hatte ihr erklärt, dass es sich für Frauen nicht schickte, sich für Schwertkampf zu interessieren. Aber die Meinung der anderen interessierte sie nicht. Oreas schien es sogar irgendwie witzig zu finden, wenn auch auf eine nette Art und Weise. An die Seitenblicke war sie auch schon irgendwie gewöhnt. Bei genauerer Betrachtung war der Palast genauso wie der Elfenwald. Eine abgeschottete Welt für sich. Und sie gehörte nicht dorthin. Sie wusste, sie würde nicht mehr lange bleiben. Und auf die Dauer würde sie es auch nicht aushalten.
*
Wirklich, je länger sie im Palast blieb, desto ähnlicher wurde er dem Elfenwald. Natürlich sahen die Bäume denen in ihrer Heimat nicht ähnlicher oder es wurde beim Essen das serviert, was sie aus ihrer Heimat gewöhnt war. Nein, die Ähnlichkeit war um einiges subtiler. Es würde niemandem auffallen. Außer ihr. Im Moment trug sie ein Kleid. Ein zitronengelbes, langes, mit Rüschen und dezenter Stickerei in einem etwas dunkleren Gelb. Der Ausschnitt war ihr viel zu tief und so ganz passte es ihr auch nicht. Das Kleid gehörte Prinzessin Hina. Und sie trug es auf ihrer Geburtstagsfeier. Unnötig zu sagen, dass die Prinzessin kochte, aber sie war gut darin, es sich nicht anmerken zu lassen. Oder aber niemand schenkte ihr genug Beachtung, um es zu bemerken. Was zutraf, da war sich Celia noch nicht ganz sicher.
Die Wahl des Kleides war ebenfalls ein merkwürdiges Déjà-vu gewesen. Phila hatte sie in Hinas Umkleidezimmer (so etwas gab es?) gezerrt und sie jedes einzelne Kleid anprobieren lassen. Bis auf das, was die Prinzessin auf ihrer Feier tragen würde. Ein violettes, das Celia wohl auch so nicht gestanden hätte. Einige Kleider musste sie sogar zwei Mal anprobieren, weil Phila schon vergessen hatte, wie sie an ihr aussahen und sie aus irgendeinem Grund trotzdem in die engere Wahl gekommen waren. Es war wirklich bizarr, wie sehr die Fünfzehnjährige Celias Mutter ähnelte. Es schockte die Elfe sogar so sehr, dass sie komplett vergaß, sich zu beschweren. Auch wenn das bei Phila wohl nicht wirklich gewirkt hätte. Das Mädchen war einfach zu stur. Nach Stunden der Tortur hatte sie sich köstlich amüsiert und sich schließlich für das zitronengelbe Kleid entschieden, weil es „ihre violetten Augen und ihren blassen Teint so gut betonen würde.“ Celia war an diesem Abend kraftlos ins Bett gefallen und wollte nicht einmal mehr essen.
Nun, wo Celia auf dem Fest war, verstand sie auch endlich, warum Hina nicht gewollt hatte, dass sie kam. Alle, aber auch wirklich alle, starrten sie an. Und das seit einer guten Viertelstunde. Sie gaben sich noch nicht einmal ansatzweise Mühe, das zu verstecken. Es musste wohl daran liegen, dass sie eine Elfe war, und daran, dass sie zwischen Oreas (der sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, von Phila in ein goldgelbes Gewand gesteckt zu werden und damit zwei Tage böser Blicke provoziert hatte. Er trug jetzt eines von Melanons grasgrünen Gewändern.) und Melanon (dieses Mal in violett, wie seine große Schwester) saß. Sie wäre am liebsten im Boden versunken, aber leider ging das nicht.
Und höchstwahrscheinlich lag es doch nicht an Hinas ausgezeichneten Schauspielkünsten, dass niemand bemerkte, wie wütend sie war. Außer Celia (und Oreas und Melanon, die einzigen, die nicht damit beschäftigt waren sie anzustarren) schien das aber wirklich niemand zu bemerken. Selbst ihr Verlobter beachtete sie nicht. Inzwischen tat die Prinzessin ihr sogar irgendwie leid. Dieser Tag schien ihr wirklich wichtig zu sein, und sie sollte im Mittelpunkt stehen, tat es aber nicht einmal ansatzweise.
Auch der König schenkte Celia mehr Aufmerksamkeit als seiner Tochter. Als sie ihr Zimmer verlassen hatte, hatten Oreas und Melanon nicht anders reagiert. Es musste wirklich an dem Kleid liegen. Wahrscheinlich hatte das dieselbe Wirkung auf die anderen wie Melanons ständig wechselnde Gewänder zu Anfang auf sie gehabt hatten.
Als aufgetischt war, erhob sich der König schließlich und hielt eine Rede, in der er wohl davon sprach, wie stolz er auf seine Tochter war und wie sehr er sich doch freue, dass sie so einen guten Verlobten hatte. Jedenfalls glaubte Celia das. Sie hörte nicht wirklich zu, sondern sah sich die anderen Gäste etwas genauer an. Jetzt sahen sie nämlich nicht mehr sie, sondern den König an. Die meisten mit glasigem Blick und aufgesetztem Interesse. Nur einer schien sich nicht für seine Majestät zu interessieren. Er starrte sie immer noch unverwandt an. Seine spitzen Ohren waren das erste, was Celia an ihm auffiel. Das spitze, beinahe alterslose Gesicht und das schlohweiße Haar das nächste. Ganz unzweifelhaft ein Elf. Seine Augen waren grau, ebenso wie das weite Gewand, das er trug.
„Zylas, das Anführer der Windelfen“, flüsterte Melanon kaum hörbar in ihr Ohr, er musste ihren Blick bemerkt haben. Der König schien seine Rede inzwischen beendet zu haben, denn mit einem Mal wurde es laut im Saal und die Menschen fingen an mit dem Geschirr zu klappern. „Man sieht ihn hier selten. Die Windelfen mögen die Menschen nicht besonders. Und erst recht keine größeren Menschenansammlungen. Ich frage mich, warum er da ist. Die Zwerge haben auch keinen Vertreter geschickt. Na ja, Hina hätte sie wohl auch nicht geduldet. Sie würden nicht ins Bild passen.“
Das Essen war köstlich. Daran konnte Celia nicht zweifeln. Auch wenn sie kaum etwas herunter bekam. Es war ihr einfach unangenehm, mit den vielen Menschen in einem Raum zu sein. Ihr Instinkt sagte ihr, sie solle vorsichtig sein. Komisch, dass sie dieses Gefühl in Erador am Ende nicht mehr hatte. Es musste wohl daran liegen, dass die Menschen dort meistens mit sich selbst beschäftigt waren und arbeiten. Vielleicht lag es auch daran, dass diese Situation aus dem Elfenwald so vertraut war und sie die Bankette dort schon immer als unangenehm empfunden hatte.
Nach dem Festmahl wurde der Ball von Hina und ihrem Verlobten eröffnet. Die Prinzessin freute sich offensichtlich sehr über die Aufmerksamkeit, die ihr (endlich!) zuteil wurde. Celia konnte auch nicht bezweifeln, dass sie so wirklich großartig aussah. Ein echter Blickfang. In diesem Moment fand sie es schwer vorstellbar, dass die Prinzessin einen so furchtbaren Charakter hatte.
Celia nutzte die Gelegenheit, um sich in einer Ecke zu verkriechen. Melanon hatte ihr zwar unter großer Mühe und mit (dank ihr) schmerzenden Füßen ein paar der üblichen Tänze beigebracht, aber sie konnte Musik und Tanz immer noch nicht wirklich auseinanderhalten und wollte nicht wirklich riskieren, sich bis auf die Knochen zu blamieren. Oreas Grinsen hatte ihr gereicht, er hatte nämlich beim Üben zugesehen und sich dabei ungemein amüsiert.
Irgendwann war es Melanon dann aber doch gelungen, sie zu einem Tanz zu überreden. Sie hatte eingewilligt, weil sie Mitleid mit ihm hatte. Melanon konnte sich nicht einfach davor drücken, er war ja ein Prinz. Also tanzte sie mit ihm. Es war doch nicht so schlimm, wie sie es sich vorgestellt hatte und sie schaffte es sogar, ihrem Tanzpartner nicht wieder auf die Füße zu treten, aber wiederholen wollte sie diese Erfahrung deshalb noch lange nicht. Das war irgendwie wie ein Spießrutenlauf. Das permanente Angaffen hatte auch nicht unbedingt dazu beigetragen, dass sie sich wohler fühlte.
Als sie die Tanzfläche wieder verließ, kamen dann auch noch einige Männer auf sie zu und wollte sie auch zum Tanz auffordern. Da wurde es ihr schließlich zuviel. Sie entschuldigte sich und sagte, dass es ihr nicht so gut ginge. Um auch weiter ihre Ruhe zu haben, ging sie hinaus in den Garten. Bei Nacht gefiel er ihr um Welten besser, auch wenn es etwas kühl war. Warum bedeckte dieses dumme Kleid auch kaum ihre Schultern?
Die Sterne und der Halbmond spiegelten sich im Wasser der Halbmond standen an einem klaren Himmel und spiegelten sich im Wasser der zahlreichen Bäche, Teiche und Fontänen. Wenn man genau hinsah, funkelte der ganze Garten. Wirkte er schon bei Tag wie aus einer anderen Welt, so kam sie sich bei Nacht wirklich wie in einem Traum vor.
Offenbar war sie auch nicht die einzige, die um diese Zeit noch im Garten war. Immer wieder wich sie einigen anderen Gästen der Feier aus (zum Glück hörte sie so gut). Nach einer halben Stunde traf sie schließlich auf Oreas und den anderen Elfen, wie hieß er noch? Zylas. Genau. Sie standen unter dem Baum, an dem sie Oreas schon vor einigen Tagen durch Zufall gefunden hatte, und unterhielten sich. Der Baum schien wirklich Oreas’ Lieblingsplatz zu sein. Es kam ihr ein weinig komisch vor, dass Oreas sich mit jemandem einfach so unterhielt, er war sonst immer mürrisch und verschlossen. Neugierig ging sie zu den beiden hinüber.
Der Elf und der Halbelf merkten gleichzeitig auf. Oreas lächelte kaum sichtbar und Zylas starrte sie sofort wieder so durchdringend an. Celia beschloss, das zu ignorieren, so gut es eben ging.
„Ich habe es da drinnen einfach nicht mehr ausgehalten“, sie lächelte entschuldigend.
„Ich kann mir gar nicht vorstellen, warum“, erwiderte Oreas gespielt empört.
Zylas räusperte sich. „Willst du uns nicht vorstellen, Oreas? Deine Manieren haben in der Zeit in dieser jämmerlichen Hütte wirklich nachgelassen.“
Oreas grinste, daraus schloss Celia, dass der Elf es nicht wirklich ernst meinte. Andernfalls hätte Oreas ihm einen patentiert bösen Blick zugeworfen. Sein Verhalten irritierte sie trotzdem gewaltig.
„Zylas, meine Schwester Celia. Celia, mein alter Schwertmeister und neuer Anführer der Windelfen, Zylas.“ Oreas grinste.
Celia war verwirrt und geschockt zugleich. Oreas hatte sie als seine Schwester vorgestellt, das erste Mal, dass einer von ihnen diesen Umstand direkt erwähnte. Sonst hatten sie es immer nur angedeutet oder umschrieben. Daran, anderen davon zu erzählen, hatte sie auch noch gar nicht gedacht. Wer wusste schon, was andere daraus machen würden. Immerhin war ihr Vater nicht unbedingt beliebt. Zylas war ebenfalls sichtlich überrascht. So sichtlich wie es eben ging. Eine seiner elegant geschwungenen Augenbrauen wanderte in die Höhe und seine Augen waren etwas weiter geöffnet als üblich. Sie als aufgerissen zu bezeichnen wäre übertrieben gewesen.
„Schwester?“, fragte er spitz.
„Offenbar war Vater ein richtiger Weiberheld bevor er Mutter traf und hatte bereits eine Frau im Elfenwald.“
Die Augenbraue senkte sich zwar nicht komplett, aber der Windelf fragte auch nicht weiter.
„Schwertmeister?“, lenkte Celia von Thema ab. „Habt Ihr ihm beigebracht, so gut zu kämpfen?“
„Ihr habt ihn kämpfen gesehen?“
Celia nickte begeistert. „Ja, er ist wirklich gut.“
Zylas war augenscheinlich amüsiert und grinste nur. Celia verstand nicht recht warum. Aber sie fand es gar nicht witzig, dass er sich offensichtlich über sie lustig machte.
Oreas seufzte. „Ich habe dir doch gesagt, dass es nicht üblich ist, dass Frauen sich ein Schwerttraining ansehen“, erklärte er und schüttelte dabei den Kopf.
„Oh, stimmt. Das hatte ich vollkommen vergessen.“ Celia kam sich in diesem Moment wirklich dumm vor.
Zylas grinste noch breiter. „Du hast eine interessante Schwester, Oreas, ungewöhnlich, aber interessant. Pass bloß auf, dass sie nicht aus Versehen an die falschen Leute gerät. So ein naives Ding.“
„Ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment werten soll“, erwiderte Oreas trocken. Celia war immer noch etwas ratlos, wie sie mit den beiden umgehen sollte.
In Gesellschaft von Zylas und Oreas wurde der Rest des Abends dann doch erträglicher. Es fing sogar an, ihr Spaß zu machen, nachdem sie sich an den etwas eigenartigen Humor der beiden gewöhnt hatte und Zylas aufgehört hatte, sie ständig mit Blicken zu durchbohren. Das Geplänkel der beiden war auch auf seine Art und Weise unterhalten. Irgendwann fing Zylas dann an, von Oreas’ Kindheit zu erzählen und was er alles für dumme Sachen angestellt hatte. Oreas war natürlich wütend und lief sogar etwas rot an, aber das berührte den Elfen nicht im Geringsten. Es schien ihn eher anzuspornen, noch mehr peinliche Anekdoten zu erzählen. Am Ende des Abends stellte Celia fest, dass sie Zylas irgendwie mochte. So ganz geheuer war er ihr aber immer noch nicht. Und sie wusste, dass es besser war, ihn nicht gegen sich aufzubringen. Jedenfalls wenn man Oreas hieß. Er würde einen gnadenlos blamieren.
*
Am nächsten Morgen waren alle entsprechend müde. Es war wirklich spät geworden. Und Hina war immer noch wütend auf Celia.
Der König räusperte sich, bevor er mit dem Essen begann.
„Melanon, ich habe eine Aufgabe für dich.“