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Rodo, 2023

03: Trennung

Janis kam tatsächlich wieder mit Janine zusammen. Ich überhörte die anderen, wie sie sagten, dass er mit einem Strauß Blumen bei ihr aufgetaucht ist. Ich musste lachen. Dann hat er sich stundenlang entschuldigt. Sie schienen wirklich glücklich zu sein. Wieder. Mehr bekam ich nicht von ihnen mit. Ich war zu sehr mit Simon und meiner Beziehung zu ihm beschäftigt. Die anderen fanden, dass wir ein unglaublich süßes Paar waren. Katharina sagte, sie hätte eigentlich wissen müssen, dass ich schwul war. Weil ich nie Interesse an irgendeinem weiblichen Wesen gezeigt hatte. Das stimmte. Aber sie wusste ja auch nicht, dass ich irgendwie nie das Bedürfnis nach einer Freundin gehabt hatte. Oder einem Freund. Janis hatte mir immer genügt.

Klingt komisch. Ist es vermutlich auch. Aber es stimmt. Ich hatte immer in meiner kleinen Welt gelebt. Nur Janis war es gelungen, zu mir durchzudringen. Ganz von selbst. Und er hat mich mehr verletzt, als alle anderen. Aber das war Vergangenheit. Ich lernte etwas neues. Und zwar, mich anderen zu öffnen. So ganz wollte es mir nie gelingen. Aber ich wurde besser. Offener. Ich lernte noch mehr Leute kennen. Freundete mich mit ihnen an. Ich überwand meine Abneigung gegen Partys. Mit genug Alkohol konnte man sie genießen. Ich war glücklich. Irgendwie. Alles war perfekt. So, wie es sein sollte. Gute Noten, Freunde und ein Freund. Tief drinnen wusste ich, dass was nicht stimmte. Und was es war. Ich kam nicht von Janis los. Da konnte ich mir nichts vormachen. Das würde sich nie ändern. Das einzige, was mir blieb, was, die Leere so gut es eben ging zu ignorieren. Und das tat ich. Ich beobachtete ihn nicht mehr. Und es wurde leichter.

Simon war eine andere Geschichte. Ich liebte ihn nicht. Etwas fehlte. Aber trotzdem war ich gerne bei ihm. Er half mir, die Leere zu übermalen. So, wie einen Fleck auf einer Wand. Er war immer noch da, sicher, aber man sah ihn nicht mehr. Vielleicht hätte ich Schauspieler werden sollen. Wer weiß. Aber ich mochte es, Simon glücklich zu sehen. Ich lachte mehr, als in den Jahren davor. Alles war auf dem Weg, besser zu werden. Meine Wunden waren am Verheilen. Natürlich sollte alles ganz anders kommen. Und natürlich war es wieder Janis.

Und wieder stand er eines Abends einfach vor meiner Tür. Und wieder ließ ich ihn hinein.

In dieser Nacht tranken wir nichts. Und wir landeten auch nicht im Bett. Jedenfalls nicht so. Meine Couch war immer noch nicht zu gebrauchen. Aber wir redeten. Besser: Janis redete.

Er hatte sich von Janine getrennt. Er hatte eingesehen, dass es mit ihnen nicht klappen würde. Dass einfach etwas fehlte. Ich verbiss mir ein „Ich hab’s doch gewusst“. Das wäre taktlos gewesen. Wirklich.

Janine hatte ihn rausgeworfen. Er wusste nicht, wohin er sollte. Sagte er jedenfalls. Die Wahrheit ist, ich weiß nicht, warum er ausgerechnet zu mir gekommen ist. Nicht zu seinen Freunden. Er bat mich, bei mir wohnen zu können. Meine masochistische Ader brachte mich dazu, zuzusagen. Ich wusste schon in dem Moment, dass es nicht gut ausgehen würde, aber ich sagte zu. Ich konnte nicht anders. Er müsste nur mit mir im Bett schlafen, oder auf dem Fußboden, solange wir nicht umgeräumt hatten. Mein Malzimmer war eigentlich nicht als solches gedacht, also würde er es haben können.

Zu meiner Überraschung stimmte er zu. Wenn auch nach einigem Zögern und merkwürdigen Grimassen. Dann stotterte er eine Weile herum, bis er es geschafft hatte, sich für sein Verhalten zu entschuldigen und mir noch mal lang und breit zu versichern, er wäre nicht schwul und dass es ihm furchtbar leid tat. Ich nickte nur. Was hätte ich sonst tun sollen? So landeten wir wieder im selben Bett. Angezogen diesmal. Und auf verschiedenen Seiten. Am nächsten Morgen wachte ich als erster auf. An ihn gekuschelt. Und er hatte seine Arme um mich gelegt. Ich stand auf, ohne ihn zu wecken. Machte das Frühstück. Dann ging er los, ein Schlafsofa zu organisieren, während ich das Zimmer ausräumte. Wenn man die Farbflecken ignorierte, war es noch ganz passabel. Das meiste räumte ich in mein Zimmer. Oder ins Wohnzimmer. Es war ein bisschen voll, aber das würde schon werden.

Es klingelte. An der Tür war Simon. Ich hatte völlig vergessen, dass wir verabredete waren. Und ich hatte vergessen abzusagen. Er war erst sauer. Dann sah er die Wohnung und fragte mich, was ich denn machen würde. Ich sagte, ich würde umräumen. Er fragte warum. Ich erzählte ihm von Janis, davon, dass er von seiner Freundin rausgeschmissen wurde und einen Ort zum Schlafen bräuchte. Dass er hier einziehen wollte. Und, dass er ein Freund von früher war.

Als Janis wiederkam, war er sichtlich erstaunt, nicht nur mich beim Umräumen zu sehen. Simon hatte sich entschieden, mir zu helfen. Es herrschte eine merkwürdige Stille, als die beiden sich beäugten. Simon gefiel nicht, dass mein neuer Mitbewohner so gut aussah. Und er erinnerte sich an die Party bei David. Er mochte Janis nicht. Das war schon vorher klar. Er hatte immer so etwas angedeutet, wann immer David von ihm erzählte.

Janis mochte Simon auch nicht. Keine Ahnung wieso. Es war ziemlich peinlich, als ich die beiden einander vorstellte und Simon als meinen Freund bezeichnete. Es war Hass auf den ersten Blick. Und ich konnte es spüren. Die beiden gingen sich so gut es ging aus dem Weg.

Seit wir zusammen wohnte, war das Verhältnis von Janis und mir besser den je. Wir lästerten über die Filme im Fernsehen. Wir kochten. Besser: ich kochte. Janis guckte mir dabei zu. Wir lernten zusammen. Wenn auch nicht dasselbe. Wir waren wieder Freunde und die Jahre waren fast vergessen. Und die Nacht. Jedenfalls verdrängten wir. Es war ein zerbrechliches Idyll. Und wir wussten es.

Natürlich waren da auch Risse in der Fassade der perfekten Freundschaft. Janis brachte öfter Mädchen mit. Und ich war jedes Mal eifersüchtig. Hasste jede einzelne von ihnen, wenn sie mich am Morgen danach angrinsten. Und fühlte mich schuldig deswegen. Ich hatte ja Simon. Ich sollte wegen ihm und nicht wegen einem anderen eifersüchtig sein.

Ich verbrachte mehr Zeit bei Simon. Es war mir unangenehm, mit ihm intim zu werden, wenn ich wusste, dass Janis da war. Und ihm ging es ähnlich. Er hasste Janis wirklich. Nannte ihn einen hirnlosen Schönling. Einen Weiberhelden. Fragte mich, warum ich ihm überhaupt helfen würde.

Ich sagte ihm, dass ich Janis schon kannte, seit wir im Kindergarten waren. Und dass wir unzertrennlich waren. Und, dass ich ihm jedes Mal aus der Patsche helfen würde.

Simon meinte, dass das aber nur einseitig wäre, dass Janis mich die letzten Jahre ignoriert hatte. Dass er meine Gutmütigkeit nicht verdient hätte.

Ich sagte, dass ich ihm trotzdem helfen würde.

Simon nannte mich „zu gut für diese Welt“.

Ich sagte, dass es nichts mit gut sein zu tun hätte.

Er fragte mich, womit denn dann.

Ich zuckte mit den Schultern, denn ich wusste es wirklich nicht. Nein. Das stimmte nicht. Ich wusste es, konnte es nur nicht in Worte fassen. Es hatte auf jeden Fall etwas mit meiner unverbrüchlichen Treue zu Janis zu tun. Aber das sagte ich ihm nicht.

Jedes Mal, wenn ich von Simon zurückkam, war Janis schlecht gelaunt. So schlecht gelaunt sah ich ihn selten. Trotzdem brauchte ich eine Weile, um sein Verhalten mit meinen Besuchen bei Simon in Verbindung zu bringen.

Ich kannte dieses Verhalten. Er war eifersüchtig. Auf meinen Freund. Ich wusste nur nicht warum. Ich bezweifelte, dass er es wusste. Auf jeden Fall wollte er mich für sich haben. Schon komisch, nachdem er mich weggestoßen hatte. Aber ich sagte nichts. Ich wollte seine Freundschaft nicht schon wieder verlieren. Seine Nähe bedeutete mir einfach zu viel.

Es war fast schon amüsant, dass sie es beide mit der selben Taktik versuchten. Mich vom anderen wegzubringen, meine ich. Simon machte Janis schlecht. Janis machte Simon schlecht. Und ich saß zwischen den Stühlen. Kein schöner Platz, denn ich wusste, dass ich mich früher oder später zwischen ihnen würde entscheiden müssen.

Janis sagte immer wieder, dass ich etwas besseres verdient hätte, als so eine einfallslose graue Maus. Dass er einfach nicht gut genug für mich war. Eines Tages platzte mir der Kragen.

„Wer ist denn dann gut genug für mich?“, fragte ich spitz.

Janis sah mich ein paar Sekunden lang blank an.

„Du weißt schon wie ich das meine, Alex. Du verdienst jemanden, der auf dich aufpasst, jemanden mit Ausstrahlung. Nicht so ein Nichts wie Simon. Du—“

„Mit anderen Worten dich?“

„So meinte ich das nicht.“ Er wurde rot.

„Wie dann?“

„Du brauchst ihn doch nicht. Und glaub mir, du wärst ohne die kleine Klette besser dran.“

„Inwiefern?“

Er schwieg.

„Weißt du was Janis? Langsam gehst du mir mit deiner Eifersucht auf die Nerven.“

„Ich bin nicht eifersüchtig!“

„Doch, das bist du. Und wenn du nicht an mir interessiert bist, dann brauchst du dich auch gar nicht so aufzuspielen.“

„Ich bin nicht SO an dir interessiert, und ich spiele mich auch nicht auf. Was ist denn so toll an Simon?“

„Er ist nett, zuverlässig, man sich gut mit ihm unterhalten. Ich verbringe meine Zeit gerne mit ihm. Wir haben immer viel Spaß zusammen.“ Ich log nicht. Aber es hörte sich in meinen Ohren hohl an.

„Das kannst du mit mir aber auch.“

Ich starrte ihn an. „Ja, aber du schläfst nicht mit mir.“

So, es war raus. Das Thema, das wir die ganze Zeit ignorierten. Ich konnte sehen, wie Janis am Platzen war. Aber er riss sich zusammen. Er ging einfach in sein Zimmer. Und kam den Rest des Abends nicht mehr heraus. Wir hatten uns noch nie so gestritten. Außer das eine Mal, als er mit mir im Bett aufgewacht ist. Ich war sauer. Er war sauer. Und wir wussten beide, dass es so nicht weitergehen konnte.