04: Neuer Glaube
Nach unserem Streit verbrachte Janis die meiste Zeit in seinem Zimmer. Keine Ahnung, was er da machte. Nachdenken wahrscheinlich. Worüber? Das weiß nur Gott allein. Und Janis natürlich. Er ging nicht mal mehr aus. Ich merkte es daran, dass seine Klamotten nicht mehr mit Lippenstift verziert waren, wenn ich sie in der Wäsche fand. Und dass es nicht mehr nach Damenparfüm roch. Selbstverständlich auch daran, dass besagte Damen nicht mehr morgens am Küchentisch saßen und meinen Lieblingskaffee tranken. Aber so etwas offensichtliches bemerkte ich schon nicht mehr, nachdem ich monatelang nur auf Kleinigkeiten geachtet hatte. Irgendwie schräg.
Weil es in meiner Wohnung so unheimlich still geworden war, verbrachte ich immer mehr Zeit bei Simon. Aber irgendwann merkte er, dass etwas nicht mit mir stimmte. Er fragte mich, was los sein.
Ich sagte, ich hätte Streit mit Janis.
Er scherzte ich würde mich verhalten, als hätte ich Liebeskummer.
Ich erwiderte nichts.
Und es dämmerte ihm.
So genau erinnere ich mich nicht mehr, was an diesem Abend zwischen uns vorgefallen ist. Ich weiß nur noch, dass er mich angeschrieen hatte und mich schließlich rausschmiss.
Ich dachte nach. Und ich sah ein, dass er recht hatte. Womit auch immer. Am nächsten Tag ging ich zu ihm. Er wollte mich wieder anschreien, war aber so heiser, dass er nicht mehr als ein Krächzen herausbrachte. Also ließ er mich reden.
Ich entschuldigte mich bei ihm. Sagte, dass ich ihn wirklich mochte, aber dass das mit Janis immer zwischen uns stehen würde, weil ich meine Gefühle für ihn einfach nicht loswurde. Auch wenn er mich niemals zurücklieben würde. Ich sagte, dass ich ihm nie hatte wehtun wollen, weil er mir viel bedeutete, aber dass ich mich eben nicht ändern konnte. Auch wenn ich es wollte. Und schließlich sagte ich, dass es wohl für uns beide das beste wäre, wenn wir uns trennen würden, auch wenn es uns beiden weh tun würde. Und ich konnte es mir nicht verkneifen. Ich fragte: „Können wir nicht Freunde bleiben“ und setzte einen Hundeblick auf. Außerdem sagte ich, dass ich es verstehen könnte, wenn er das nach all dem nicht wollte.
Simon sah mich aus großen traurigen Augen an, und ich wollte ihn trösten. Aber er ließ mich nicht. Wir (genauer gesagt er) beschlossen, uns eine Weile nicht mehr zu sehen. Das war es also. Trennungen waren eine hässliche Sache.
Wir weigerten uns beide, unseren Freunden zu erzählen, was denn los war. Katharina war enttäuscht. Sie versuchte, uns wieder zusammenzubringen, aber natürlich klappte es nicht. Trotzdem kaute sie uns beiden ein Ohr ab. Manchmal konnte sie wirklich lästig sein.
Ich verkroch mich wieder zuhause, nur, um dort in Selbstmitleid zu ertrinken. Nichts Neues. Nicht wirklich. Nur, dass ich diesmal nicht alleine war. Janis fragte mich, was los war.
„Ich hab’ mit Simon Schluss gemacht.“
Er war erstaunt und fragte mich, ob ich darüber reden wolle.
„Es hat einfach nicht geklappt.“ Das war mein einziger Kommentar.
Wir verbrachten wieder mehr Zeit miteinander. Es war schön. Auch wenn wir kaum redeten. Wir waren einfach füreinander da. Machten die Dinge wie selbstverständlich. Und irgendwann redeten wir auch wieder miteinander. Trotzdem wurde unsere Beziehung immer seltsamer. Na ja, nicht wirklich seltsam, wenn man die Geschichte unserer Beziehung kannte. Es war wieder wie früher. Janis war so ziemlich der einzige Mensch auf der Welt, der für mich existierte. Und Janis kümmerte sich um mich. Auf seine Weise.
Wenn ich müde war, durfte ich mich an ihn kuscheln. Ich war viel öfter müde, als gewöhnlich. Er sagte trotzdem nichts und ließ es einfach zu. Genaugenommen war es, als ob wir eine Beziehung hätten. Nur eben ohne Sex. Wir kannten uns sowieso so lange, dass wir uns manchmal wie ein altes Ehepaar verhielten. Eigentlich war ich auch damit zufrieden, wie es war. Gut, natürlich hätte ich gerne Sex gehabt, aber immerhin war ja sonst alles so, wie ich es mir wünschen konnte. Alles konnte man schließlich nie haben.
Aber natürlich sollte nicht alles einfach so bleiben, wie es war. Das wäre zu einfach gewesen. Alles änderte sich wieder. Und wieder war es völlig unerwartet. In einer Vorlesung fragte David mich, ob Janis jetzt bei mir wohnte. Ich bejahte. Er machte ein komisches Gesicht. Aber er sagte nichts. Es kam mir merkwürdig vor.
Richtig schräg wurde die ganze Sachen dann aber, als Janine mich am nächsten Tag abfing und bat, mit mir in ein Café zu gehen. Ich war ziemlich verwirrt und dachte, dass sie wieder mit Janis zusammensein wollte. Dementsprechend gut gelaunt war ich auch. Das ganze Theater sollte nicht schon wieder von vorne losgehen. Jetzt, wo ich endlich hatte, was ich wollte.
Aber Janine überraschte mich. Sie erzählte mir eine Geschichte. Und zwar, dass Janis im Schlaf immer wieder über ein Mädchen gesprochen hatte. Deswegen hatte sie ja erst angefangen, ihn zu betrügen. Janine war sehr eitel. Sie wollte wissen, welches Mädchen so toll war, dass es sie ausstechen konnte. Und sie dann blamieren oder so. Ich wusste, warum ich sie nicht mochte. Wie hatte Janis es nur mit ihr ausgehalten? Na ja, vielleicht war das auch eine Art, mit Trennungsschmerz umzugehen.
„Wie lange kennst du Janis schon?“
„Seit dem Kindergarten.“
„Hatte er jemals eine Freundin, in der ganzen Zeit, oder stand er auf ein Mädchen, das ihn sitzen gelassen hat?“
Ich grübelte und verneinte beides. Feste Bindungen waren nichts für Janis. Aber dieses Mädchen fragte weiter und weiter. Sie ließ einfach nicht locker.
„Vielleicht kann ich dir helfen, wenn du mir den Namen sagst“, zickte ich sie an.
„Hmm, stimmt. Sie müsste Alexandra heißen.“
„Ich kenne keine Alexandra, und ich wüsste nicht, dass Janis eine kennt. Er hat sie mir gegenüber jedenfalls nicht erwähnt.“
Janine guckte ziemlich enttäuscht. Aber das Gespräch war jetzt entgültig beendet.
„Trotzdem danke für deine Hilfe … wie heißt du eigentlich, David hat mir deinen Namen gar nicht gesagt.“
„Alex. Keine—“
Dieses Mädchen starrte mich mit einem Mal so an, als hätte ich drei Köpfe und ein Horn auf der Stirn. Und sie wollte einfach nicht aufhören.
„Was wird das jetzt, wenn man fragen darf?“ Langsam wurde ich sauer.
„Oh mein Gott, oh mein Gott.“ Gut, das machte mich auch nicht schlauer.
Ich starrte sie an. Sie schnappte sich meinen Arm und zog mich zu sich. Jetzt wurde sie wirklich unheimlich. Lag bestimmt an dem irren Funkeln in ihren Augen. Um nicht in der Luft zerrissen zu werden, setzte ich mich lieber hin, bis sie ihre Sprache wiedergefunden hatte.
„Wie heißt du?“
„Alex, das hab’ i—“
„Bist du schwul?“
„Ich wüsste zwar nicht, was dich das angeht, aber ja.“
„Hast du mit Janis geschlafen?“
Okay, jetzt machte sie mir wirklich angst. Woher bitteschön wusste sie das?
„Nur ein Mal.“ Sie krallte sich in meinen Arm.
Dann wurde ihr Blick ganz glasig. Und irgendwie traurig.
„Wir waren total betrunken, wenn du es genau wissen willst, er hat es am nächsten Morgen schon wieder bereut. Für so was ist er einfach zu hetero.“
„Nein.“ Bitte was?
„Nein, ich weiß genau, dass er Alex gesagt hat.“
Und dann verstand ich. Es gab gar kein Mädchen. Janis hatte von mir geträumt. Und Janine hatte gedacht, es ginge um ein Mädchen. Janis kam mir wieder in den Sinn. Wie er damals gewesen war. Als er mit vierzehn gesagt hatte, ich wäre der einzige, den er jemals Alex nennen würde. Die anderen Alexanders hatte er entweder Lexi, Xander oder bei ihren Nachnamen genannt.
Ich war immer noch ziemlich betäubt, als ich der Hausschlüssel auf den Küchentisch gelegt und mich auf die Couch (inzwischen wieder benutzbar) gesetzt hatte.
„Was ist los?“, hörte ich Janis besorgt fragen.
Ich zögerte. „Janine hat mit mir geredet.“
Er stöhnte. „Was wollte sie denn nun schon wieder?“
„Sie wollte wissen, welches Mädchen du so sehr liebst, dass du ihren Namen im Schlaf murmelst.“ Ich wusste wirklich nicht woher ich diese Ruhe nahm. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich auf ein Beruhigungsmittel tippen. In mir herrschte ein Riesenchaos, jetzt, wo er neben mir saß. Eigentlich wollte ich ihn nur küssen und so schnell wie möglich ins Bett zerren.
„Ich rede nicht im Schlaf.“
„Offenbar schon.“
„Und, wen soll ich denn nun über alles in der Welt lieben?“ Da war es wieder. Sein typisches Grinsen.
„Mich.“ Das Grinsen erlosch. „Du hast Alex gesagt.“
Wir schwiegen. Es wurde unerträglich. Einfach nur so nebeneinander zu sitzen. Ich konnte nicht mehr. Und es ging so auch einfach nicht mehr. Also setzte ich alles auf eine Karte, kletterte auf seinen Schoss und küsste ihn. So schnell, dass er sich noch nicht einmal wehren konnte. Erwidern konnte er ihn trotzdem nicht.
Nachdem ich den Kuss beendet hatte, sah ich ihm in die Augen. Er war verwirrt. Hilflos. Ich küsste ihn noch einmal. Dieses Mal langsam und zärtlich. Und noch einmal. Er wehrte sich nicht. Im Gegenteil. Er küsste zurück. Es dauerte nicht lange und wir waren wieder im Bett.
*
Den Morgen danach wachte ich wieder an ihn geschmiegt auf. Ich war glücklich. Aber ich hatte auch angst. Angst, dass er wieder ausflippen und mich verlassen würde.
Zum Glück tat er es nicht. Er sah mir einfach in die Augen. Und er küsste mich. Dann erzählte er mir, wie verwirrt er war, und dass er nicht wusste, ob er das hier wirklich durchstehen würde. Ich hörte ihm zu. Und dann sagte er mir, dass ich ihm unglaublich viel bedeuten würde, und dass er mich nicht verlieren wollte.
„Warum?“, fragte ich ihn.
„Warum was?“, fragte er.
„Warum bedeute ich dir so viel.“
Er zuckte mit den Schultern. „Weil du du bist. Ich kann es nicht beschreiben. Aber es gab niemanden, der je so zu mir gehalten hat wie du. Jeder andere hätte mich verraten, als … du weißt schon.“
Ich wusste. Aber eines wusste ich nicht. „Warum eigentlich?“
„Hmm?“
„Warum hast du sie eigentlich umgebracht?“
Er dachte nach. „Ich weiß nicht so genau. Sie war so furchtbar, und irgendwie hat es an dem Nachmittag klick gemacht. Ich war so furchtbar wütend. Ich konnte nicht mit zusehen, wie sie uns das Abi versaut. Nicht nur mir. Und sie hätte es mit Sicherheit getan. Das konnte ich nicht zulassen, verstehst du? Du hattest das einfach nicht verdient.“
Komischerweise verstand ich. Jeder andere hätte das wohl nicht getan. Aber ich wusste ja, dass Janis schon immer auf mich aufgepasst hatte. Und immer auf eine merkwürdig verdrehte Art. Ja, ich verstand ihn. Wie niemand sonst.
Er blieb bei mir. Und ich bekam mein Malzimmer zurück. Es war zwar noch nicht perfekt, Janis wusste immer noch nicht so ganz, was er wollte. Aber ich konnte hoffen. Denial is a river in Egypt, oder wie war das? Früher oder später würde Janis das Offensichtliche schon einsehen. Und ich? Ich fing an zu glauben, dass Liebe ewig hält, wenn Freundschaft das schon nicht tut.
Ende