02: Eine Nacht ändert alles
Von dem Tag im Park an beobachtete ich Janis Tag für Tag. Meistens war er mit Janine zusammen. Ich weiß. Man kann schon an der Wahl meines LKs sehen, dass ich irgendeine versteckte masochistische Seite haben muss. Wenigstens verfolgte ich ihn nicht. Ein Stalker war ich ja nicht. Aber wann immer er mir über den Weg lief, starrte ich ihn so lange wie möglich an, ohne dass es jemandem auffiel. Wo ich ihn früher ignoriert hatte und ihn mied, suchte ich jetzt seine Nähe. Aber wir redeten nicht miteinander. Und es fiel ihm nicht einmal auf, dass ich noch existierte.
Ich kannte bald jede seiner Gesten und wusste, was zwischen ihm und Janine passierte. Nicht so, wie ihr jetzt denkt. Ich bin ja kein Voyeur. Und auch nicht so masochistisch. Nein, es waren andere Dinge, die mir auffielen. Zu Anfang hatten sie of gelacht. Besonders Janis. Seit damals hatte ich ihn selten so gelöst gesehen. Mir fielen aber noch andere Dinge auf. Sie berührten sich oft. Schulter an Schulter. Gar nicht mal unbedingt Händchen halten oder küssen oder so. Sondern ganz subtil. Unterbewusst. Man konnte sehen, wie sehr sie die Gesellschaft des anderen genossen. Wenn Janis ganz beiläufig einen Arm um ihre Hüfte legte und sie an sich drückte oder wenn sie mit ihrer Hand über seinen Arm strich, ohne es selber zu bemerken.
Mit der Zeit änderte sich das aber. Ganz langsam. Ich glaube nicht, dass es außer mir jemandem auffiel. Die Berührungen ließen nach. Von beiden Seiten. Und Janis’ Lächeln war immer seltener echt. Ich glaube, nicht einmal die beiden bemerkten es.
Und dann kamen die Gerüchte. Janine sollte mit einem anderen geschlafen haben. Weil Janis etwas mit einer anderen gehabt haben soll. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Wenn das stimmte, wären sie sicher nicht mehr zusammen gewesen. Janis hätte Schluss gemacht. Da war ich mir sicher. Aber man merkte, dass die Gerüchte noch mehr an der Idylle kratzten und dass die beiden noch kälter zueinander wurden. Sie blieben trotzdem zusammen. Die anderen lästerten weiter. Ich hörte sie immer. Wohl, weil sie mich nicht beachteten. Ich redete ja nie, war nur ein Geist. Niemand, den man kennen müsste.
Dann war da Davids Party. Er gab öfters welche. Aber diese ging in die Geschichte ein. Er hatte wie immer total fiel Alkohol aufgetrieben. Und es waren fast alle seiner Freunde eingeladen. Also auch ich. Eigentlich hatte ich nicht gehen wollen. Aber Katharina war der Ansicht, dass ich unbedingt mal wieder „unter Menschen“ musste. Ich bezweifle zwar, dass sturzbetrunkene Vollidioten als Menschen klassifiziert werden können, aber was soll’s, dann würde sie mich wenigstens eine Zeit lang mit meinen Depressionen alleine lassen. Das war mir ein Abend Quälerei wert. Also ging ich hin.
Sobald die Tür aufging, dröhnte mir furchtbarer Lärm entgegen. Irgendwelche Ballermann-Hits. David grinste mich an, zog mich in seine Arme und zerdrückte mich fast. Dann musste er mir auf absolut überschwängliche Art und Weise mitteilen, wie sehr er sich doch freute, mich zu sehen. Ich wusste, den Rest des Abends würde er mich nicht mehr sehen, weil er zu beschäftigt war, und fragte mich, wieso er sich eigentlich so freute.
Ich ging hinein und verzog mich so schnell ich konnte in eine Ecke. Simon leistete mir Gesellschaft. Partys mochte er etwa genauso sehr wie ich, also unterhielten wir uns einfach über’s Studium (So gut es bei der „Musik“ eben ging) und tranken ein bisschen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so viel getrunken hatte, aber ich war ziemlich bald angetrunken und bekam nicht mehr so ganz mit, was um mich herum geschah. Ich fand das Verschwimmen der Farben wann immer ich meinen Kopf bewegte viel interessanter. Ich bekam gar nicht mit, wie Janis und Janine auftauchten. Schon ziemlich ungewöhnlich, wenn man bedachte, dass ich ihn sonst immer anstarrte.
Ich bemerkte sie erst, als alle anderen es auch taten. Als sie sich anschrieen. Die Musik ging irgendwann aus und alle standen um sie herum. In diesem Moment hasste ich diese Menschen sogar mehr als Janine. Obwohl ich dasselbe tat.
Janine beschuldigte Janis, sie nicht zu lieben.
Er stritt alles ab.
Dann warf er ihr vor, ihn betrogen zu haben.
Sie stritt es nicht ab.
Aber sie sagte, es wäre alles seine eigene Schuld, weil sie ihm egal gewesen wäre.
Janis sagte, dass dem nicht so war, sonst wäre er ja nicht mit ihr zusammen.
Janine sagte, dass er jemand anderen liebte und sie nur ein Ersatz wäre. Und dass sie nicht mehr zusammen wären.
Dann stürmte sie weinend heraus.
Janis blieb einen Moment geschockt stehen. Ich konnte sehen, wie verletzt er war. Dann rannte er auch los.
Alle, die noch im Raum standen, sahen peinlich berührt irgendwo hin. Auf den Boden, an die Wand, auf ihre Hände. Nur nicht mehr dahin, wo die beiden sich gestritten hatten. Außer mir. Ich war auch nicht peinlich berührt. Eigentlich eher apathisch. Und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Oder fühlen.
Irgendwer räusperte sich, und ohne einen bestimmten Grund, einfach nur wegen einer stummen Übereinkunft, gingen alle ihrer Wege. Manche in die Disco. Andere auf andere Partys. Mir war nicht nach Feiern, also verabschiedete ich mich und ging nach Hause. Ich dachte nach. Janis tat mir leid. Es tat weh, ihn so verletzt zu sehen. Wirklich. Aber andererseits war es so bestimmt das beste. Ich hatte schon vor Monaten gesehen, dass das nichts werden würde. Und das war nicht nur Wunschdenken. Ein Teil von mir war immer noch objektiv. Es würde eben nicht klappen zwischen den beiden. C&rsquoest la vie. Nichts hält für immer. Und wenn Freundschaft es schon nicht tut, warum sollte die Liebe es dann. Außer in den Liebesschnulzen natürlich.
Zuhause setzte ich mich hin und malte. Etwas abstraktes, um meine nicht in Worte zu fassenden Gefühle in ein Bild zu fassen. Das fiel mir immer leichter. Eigentlich sollte ich Triumph oder so etwas fühlen, dachte ich, aber da war nur Leere. Und Taubheit.
Es klingelte an der Tür. Ich machte auf – und hätte sie aus irgendeinem Grund am liebsten wieder zugeschlagen. Komisch. Sonst suchte ich seine Nähe. Vermutlich lag es daran, dass er mich sonst immer ignorierte.
„Kann ich reinkommen?“, fragte er mit brüchiger Stimme. Ich kann mich nicht erinnern, ihn jemals so fertig gesehen zu haben. Er hatte geweint.
Ich nickte nur, brachte kein Wort über meine Lippen.
„Hast du was zu trinken?“
Ich stellte ihm ein Glas Wodka-Cola hin. Vermutlich wollte er eh nichts alkoholfreies, so wie er aussah. Und Bier hatte ich nicht. Ich mochte es noch nie so wirklich.
„Kann ich hier übernachten?“
Ich nickte wieder, machte ihn aber darauf aufmerksam, dass er mit mir im Bett würde schlafen müssen. Ich hatte zwar eine Couch, aber die war im Moment in einem desolaten Zustand. Ich malte überall. Und ich hatte schon immer ein Talent gehabt, Farbe überall zu verteilen. Außerdem war es mit ziemlich egal gewesen, ob meine Wohnung passabel war. Eigentlich war mir alles egal. Außer meinem Studium. Und dafür brauchte ich keine vernünftige Wohnung.
Janis trank weiter, fuhr sich immer wieder nervös durch die Haare. Und dann fing er an zu erzählen. Nichts, was ich nicht schon wusste. Wie schön die Beziehung zu Anfang gewesen war, wie sehr er Janine immer noch liebte. Und dass er nicht wusste, was schief gelaufen war. Ich sagte kein Wort. Hörte einfach nur zu. Nickte, um ihm zu zeigen, dass ich zuhörte. Er trank mehr. Viel zu viel.
Um zwei Uhr morgens, vielleicht war es auch drei, ich wusste es nicht so genau, nahm ich ihm schließlich die Flasche weg und brachte ihn dazu, mir ins Schlafzimmer zu folgen. Er kippte einfach aufs Bett. Ich seufzte.
Ich zog ihm die Schuhe aus. Dagegen wehrte er sich nicht. Auch beim Shirt ließ er mich machten. Er hob nur die Arme, wie ein kleines Kind. Ich ließ mir Zeit. Schließlich bezweifelte ich, dass ich je wieder die Chance haben würde, ihm so nahe zu sein. Ich mochte seinen Körper. Aber da würde mir wohl kaum einer widersprechen. Janis war gut gebaut. Sportlich, groß. Ein Traumtyp eben. Sein hübsches Gesicht war ein netter Bonus. Seine Haut fühlte sich unglaublich gut unter meinen Fingern an. Aber dann hatte ich ihm sein Shirt auch schon ausgezogen. Fehlte nur noch die Hose.
Gerade, als ich den obersten Knopf aufmachen wollte, bewegte er sich endlich. Er hielt mich fest. Meine Hände, um genau zu sein. Ich hob den Kopf, um ihm zu erklären, dass er schlecht in seiner Hose schlafen konnte, aber sein Blick brachte mich zum Verstummen. Er sah mir direkt in die Augen und irgendwie durch mich hindurch. Der Blick eines Betrunkenen eben. Aber trotzdem war er so intensiv, wie ich es niemals vermutet hätte.
Dann küsste er mich. Ich war so überrascht, dass ich einfach nur erstarrte. Es war kein besonders schöner Kuss. Verzweifelt, nicht sehr zärtlich. Und er schmeckte nach Alkohol. Aber es war Janis, der mich küsste, und mein Gehirn setzte aus. Ich hatte vergessen, dass ich auch getrunken hatte. Ich erwiderte den Kuss. Hey, ich würde diese Chance bestimmt nie wieder bekommen. Das hier hatte ich mir schließlich gewünscht. Mehr oder weniger. Vor allem mit weniger Alkohol. Ich wartete nur darauf, dass er den Rest seines Verstandes zusammenkratzen würde und wieder zur Vernunft kam.
Aber das tat er nicht. Er küsste mich wieder und wieder, mit einer Intensität, als wäre es das einzige, was in seinem Leben zählte. Und ich machte mit.
Ich wusste nicht mehr, wann er mich auf den Rücken geworfen hatte. Oder wann ich mein Shirt verloren hatte. Mein Verstand schaltete sich endgültig aus. Ich glaube, als er in meine Brustwarze biss. Vielleicht auch, als er an dem Verschluss meiner Hose fummelte, und ich ihm half, ihn aufzumachen. Der Rest bestand nur noch aus Stöhnen und dem wunderbaren Gefühl von Haut aus Haut.
*
Am nächsten Morgen wachte ich mit einer Mischung aus Kopfschmerz, Übelkeit und absolutem Glück auf. Und mein Hintern tat weh, aber das störte mich nicht wirklich. Ich kuschelte mich einfach näher an den warmen Körper neben mir. Aufwachen wollte ich nicht wirklich.
Aber als Janis stöhnte und sich bewegte, blieb mir nichts anderes übrig, als aufzuwachen. Irgendwie fühlte ich mich furchtbar wohl. Wohler, als in den letzten Jahren. Alles war richtig.
Sobald ich schließlich doch meine Augen öffnete, schlug meine Stimmung um. Janis starrte mich entsetzt an. Als wäre ich ein Monster. Dann stieß er mich von sich weg. Mit einer Schnelligkeit, die ich ihm in seinem Zustand (soviel wie er getrunken hatte …) niemals zugetraut hätte, sammelte er seine Sachen zusammen und zog sich an. Ich starrte ihn einfach nur stumm an. Er war immer noch entsetzt. Ob über mich oder sich wusste ich nicht. Wahrscheinlich beides.
Und dann fing er wieder an zu reden. Davon, dass er nicht gewusst hatte, dass ich schwul war (dabei hatte ich es ja nicht mal selbst gewusst), dass das ein Ausrutscher war, und dass er Janine immer noch liebte. Jedes Wort war wie ein Schlag in den Magen
Dann warf er mir vor, ihn ausgenutzt zu haben.
Ich führte an, dass er angefangen hatte.
Er sagte, ich hätte ihn mit Absicht betrunken gemacht, um leichtes Spiel zu haben.
Ich sagte, ich hätte selber getrunken, und dass er selbst nach dem Alkohol gefragt hatte.
Er warf mir vor, ihn praktisch dazu gedrängt zu haben.
Ich sagte, dass er mich praktisch dazu gedrängt habe.
Er rannte hinaus.
Ich rief ihm hinterher, dass er Janine am besten ein paar Blumen kaufen sollte. Keine Ahnung, woher ich den Mut hatte. Mir war zum Heulen zumute. Also heulte ich. Ich ging nicht mehr zu den Vorlesungen. Meine Freunde machten sich Sorgen um mich.
Besonders Simon. Ich erzählte keinem, was los war. Auch ihm nicht. Er kümmerte sich trotzdem um mich. Und es ging mir wieder besser. Ich arbeitete wie ein Besessener. Und ich wurde wütend. Es war alles seine Schuld. Nicht meine. Sollte er doch bleiben, wo der Pfeffer wächst und sich weiter vor sich selbst verstecken. Ich würde weiterleben.
Simon und ich verbrachten immer mehr Zeit miteinander. Und ich mochte ihn immer mehr. Bald machten wir praktisch alles zusammen. Irgendwann sagte er mir, dass er mich liebte.
Ich weiß bis heute nicht, was mich dazu brachte zu sagen, ich würde ihn auch sehr mögen. Obwohl es stimmte. Vermutlich suchte ich einfach Geborgenheit. Wir wurden ein Paar. Ich mochte ihn wirklich sehr, aber es war nicht so, wie mit Janis. Und es würde nie so sein. Aber es war okay. Genau wie der Sex. Ich hatte Schuldgefühle. Aber ich machte trotzdem weiter. Spielte ihm vor, als wäre alles bestens. Und ich war damit zufrieden. Irgendwie. Ich fand mich mit meinem Schicksal ab. Und mit Janis merkwürdigen Blicken, die irgendwo zwischen Wut und Sehnsucht lagen.