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Rodo, 2023

Disclaimer: Nix meins, und Geld mache ich hiermit auch nicht

Kategorie: AU, EWE

Beta: emar, LuNa2005 (Prolog) und Schwertlilie81

A/N: Die Outline für diese Geschichte habe ich aufgestellt, bevor der siebte Band erschienen ist. Und obwohl ich sie größtenteils angepasst habe, ist diese Geschichte weiterhin ein AU. Unter anderem, weil es eine „Epilog, welcher Epilog?“-Geschichte ist (auch wenn ich einige Details miteinbeziehen werde). Außerdem sind Remus und Tonks beide noch am Leben, weil ich es a) unnötig fand, sie zu töten (und JKR sich auch erst umentschieden hatte, nachdem sie es wieder nicht fertig gebracht hatte, Mr. Weasley zu töten) und b) Remus für meine Geschichte, in der es ja um Werwölfe geht, doch nötig war.

Die Kapiteltitel habe ich größtenteils von Ishikawa Takuboku (und natürlich seinem Übersetzer Wolfgang Schamoni) geborgt. Für die Grafik im zweiten Kapitel habe ich dieses Tutorial benutzt.


Prolog: 22.06.2005

Stig|ma [griech.] n. Gen. -s Pl. -men oder -ma|ta 1. Kennzeichen, Mal, Brandmal 2. Wundmal (Christi) 3. Narbe (des Fruchtknotens) 4. Augenfleck (der Geißeltierchen) 5. Atemöffnung (der Insekten)

Es war die Hitze, die Harry aus dem Dunkel zerrte, fast so, als würde sie ihm den Weg mit einem Leuchtfeuer weisen, das sein Gesicht versengte. Sein ganzer Körper brannte und er schwitzte so sehr, dass er von einem hartnäckigen Schweißfilm bedeckt war. Sein rechtes Bein pulsierte vor Schmerz, sodass er sich nichts mehr wünschte, als wieder in die bequeme dunkle Watte zu sinken, aus der er gekommen war. Oder dass ihm jemand das verdammte Bein absägte. Doch nichts geschah, der Schmerz nahm bloß weiter zu.

Mit all der Konzentration, die er unter den gegebenen Umständen aufbringen konnte, versuchte Harry sich daran zu erinnern, was passiert war. Das erste, was ihm einfiel, war ein Abendessen bei Ron und Hermine, von dem er sich ziemlich sicher war (so sicher, wie er sich in seinem Halbdelirium sein konnte, dachte er zynisch), dass es nicht die Ursache für seine Schmerzen war. Hermine hatte gekocht, was dazu geführt hatte, dass er der Mahlzeit nicht gerade enthusiastisch entgegengeblickt hatte. Die Nudeln mit Meeresfrüchten hatten sich letzten Endes aber als gar nicht so schlecht erwiesen. Vermutlich hatte Ron ihr beim Kochen geholfen, während Hermine die ganze Zeit darauf beharrt hatte, dass sie seine Hilfe nicht nötig hatte. Natürlich wussten Harry und Ron es besser. Hermine mochte zwar ein Genie im Zaubertrankbrauen sein, die hohe Kunst des Kochens hatte sie trotzdem nie so ganz gemeistert. Im Gegensatz zu Ron, der nach den ersten Wochen des Zusammenlebens mit Hermine verzweifelt seine Mutter um Hilfe gebeten hatte. Zu aller Erstaunen (besonders seines eigenen) hatte er sich zu einem guten Koch entwickelt, und er konnte es einfach nicht lassen, Hermine immer wieder unter die Nase zu reiben, dass er in etwas besser war als sie.

Der Abend war im Großen und Ganzen so verlaufen, wie viele andere zuvor. Harry hatte Hermine zugehört, wie sie die Vorteile ausländischer Küche und eines ausgeglichenen Speiseplans preiste. Dann hatten sie über Teddy und Victoire geredet, die Großmama Weasley am Sonntag mit einem Testprodukt von Weasleys Zauberhaften Zauberscherzen fast in den Wahnsinn getrieben hatten. Hermine hatte sich wie immer darüber aufgeregt, dass George den beiden seine Testprodukte gab („Sie sind doch noch viel zu jung!“), während Ron neben ihr mit einem verträumten Grinsen an das entsetzte Gesicht seiner Mutter dachte.

„Und du erst!“, hatte sich Hermine empört, die Stirn in Falten gelegt.

„Aber was kann ich denn dafür?“, erwiderte Ron entrüstet.

„Du musst aufhören, George immer alles durchgehen zu lassen.“

„Aber ich habe davon doch gar nichts gewusst!“

Das stimmte vermutlich sogar, dachte Harry, und er bemühte sich, die Schmerzen, die durch seinen Körper blitzten, zu ignorieren. Er hörte ein jämmerliches Wimmern, und es dauerte eine Sekunde, bis er begriff, dass es von ihm kam. Er musste sich konzentrieren. Das Abendessen bei Ron und Hermine, das Gespräch über George, auf den keiner der Weasleys, erst recht nicht Mrs. Weasley, mehr ernsthaft wütend werden konnte. Im Gegenteil, insgeheim freuten sie sich sogar, wenn er seine neuen Erfindungen an ihnen ausprobierte. Das war immerhin ein Zeichen dafür, dass George immer noch George war. Freds Tod hatte ihn sehr mitgenommen und er hatte lange gebraucht, um wieder auf die Beine zu kommen. Inzwischen ging es ihm jedoch wieder recht gut, vor allem wegen der Kinder, die er immer wieder zu Komplizen bei seinen Streichen machte. Besonders Teddy, der die Rumtreibergene seines Vaters geerbt zu haben schien, war einer seiner Lieblinge. Teddy war es auch gewesen, der an Ostern Charlies schwarze Lederhose dauerhaft purpurn gefärbt hatte. Das Purpurpulver war erst vor einem Monat produktionsfühig geworden, nachdem George es soweit modifiziert hatte, dass es seine Wirkung nach ein paar Stunden verlor. Remus hatte ihm dabei geholfen (natürlich unter der Hand), wohl um zu verhindern, dass Teddy beim nächsten Mal sich selbst dauerhaft färbte.

„Sag mal, was meinst du, schaffen die Cannons es dieses Mal auf Platz zwölf?“, unterbrach die Erinnerung an das Gespräch mit Ron Harrys immer noch benommene Gedanken. Er hielt es nicht für sonderlich wahrscheinlich, doch würde er das Ron nie im Leben ins Gesicht sagen. Dazu hing er zu sehr an seiner Freundschaft.

„Ich weiß nicht, wenn sie die Falcons besiegen vielleicht“, hatte er diplomatisch geantwortet.

Ron hatte das Gesicht verzogen und eine nicht besonders höfliche Bemerkung über den derzeitigen Kapitän der Cannons gemacht.

„Also wirklich, Ron. Solltest du nicht auf seiner Seite sein?“, hatte Hermine scherzhaft bemerkt.

„Natürlich nicht! Dieser Versager ist doch Schuld, dass die Cannons die letzte Saison nur verloren haben, hätte er ein bisschen mehr Wert auf die Offensive gelegt—“

„Quidditch ist doch nur ein Spiel, warum regst du dich so auf?“

„Ist es nicht!“, hatte Ron vehement widersprochen, doch ein Lächeln hatte er sich trotzdem nicht ganz verkneifen können. Hermine ging es nicht anders. Harry kannte niemanden außer den beiden, der soviel Spaß am Streiten hatte. Er hoffte inständig, dass es ihm und Ginny später einmal ähnlich ging. Nur sahen sie sich im Moment leider so selten, dass sie das Bisschen Zeit, das ihnen blieb, lieber nicht mit Streitereien vergeuden wollten.

Schließlich hatten sie auch über die Arbeit geredet. Das war auch der Grund gewesen, aus dem Harry an diesem Abend keinen Wein trinken durfte. Außerdem hatte er vergleichsweise früh wieder gehen müssen, denn er hatte Nachtschicht, im Gegensatz zu Ron, der nur eine halbe Stelle hatte und den Rest der Zeit George im Laden zu Hand ging. Die halbe Stelle war es auch, die ihm jeglichen Dienst an Vollmondnächten wie dieser ersparte. Ein erstaunliches Zugeständnis wenn man bedachte, dass sie an Vollmond so oder so zu wenig Männer („Und Frauen“, hatte Hermine eingeworfen) hatten. Außerdem versuchten fast alle Auroren, den Vollmonddienst zu vermeiden, wo es ihnen nur möglich war. Harry konnte das durchaus nachvollziehen, denn die meisten Auroren waren für diese Art der Arbeit einfach nicht ausgebildet. Früher hatte es schließlich eine spezielle Abteilung im Ministerium gegeben, doch die war nach dem Krieg schlichtweg überfordert gewesen. Und so hatte man kurzerhand das gesamte Ministerium umstrukturiert. Der Ausschuss zur Beseitigung gefährlicher magischer Geschöpfe, das Werwolf-Fangkommando und die Ghul-Beseitigungseinheit waren mit der Abteilung für magische Strafverfolgung zusammengelegt worden, und die Auroren hatte man in Wochenendseminaren mehr schlecht als recht auf ihre neuen Aufgaben vorbereitet.

Harry selbst hatte mit dem Vollmondeinsatz weniger Probleme als die meisten. Er gehörte zu der kleinen Gruppe junger Auroren, die schon in der Ausbildung gründlich darauf vorbereitet worden waren, mit Werwölfen umzugehen. Außerdem hatte er zwar gehörigen Respekt vor Werwölfen – wer hatte den nicht? – doch fürchtete er sie nicht wie einige seiner Kollegen. Ebenso wenig hasste er sie, und das machte ihn zu einem idealen Kandidaten für den Vollmonddienst. Und so hatte er seit beinahe drei Jahren mindestens ein Mal im Monat nachts Dienst. Nur fair, wie er fand, immerhin hatte er im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen keine Familie.

Durch den Nebel an Schmerz, der über seinem Bewusstsein lag, erinnerte sich Harry daran, wie er sich von Ron und Hermine verabschiedet hatte. Ron hatte ihm wie immer viel Glück gewünscht. Hermine hingegen hatte ihn umarmt und ihm leise „Sei vorsichtig“ ins Ohr geflüstert. Danach hatte er sich vor der Tür noch kurz nach ihnen umgedreht, bevor er ins Ministerium appariert war. Er erinnerte sich noch daran, dass er etwas zu spät gewesen war, und deshalb zu den Aufzügen gehastet war, um in den zweiten Stock zu fahren. Nur dort, in der Abteilung für magische Strafverfolgung und Schutz der Bevölkerung, war um diese Zeit noch Betrieb.

In der Einsatzzentrale war Harry schließlich auf Rathbone und Carling getroffen, mit denen er öfters Dienst hatte. Die beiden mochten ihn nicht gerade, und er vermutete, dass es an seiner unfreiwilligen Berühmtheit lag, doch Tonks hatte ihm versichert, dass sie keinen der jungen Auroren mochten. Anscheinend trauten viele der Älteren keinem Auror, der im letzten Krieg nicht schon in der Abteilung gearbeitet hatte. Vielleicht dachten sie, dass die Neulinge sie für unfähig hielten, weil sie nichts gegen Voldemort unternommen hatten.

Kingsley hatte den Raum kurz nach Harry betreten und ihnen ohne ein Wort der Begrüßung die Akten ausgehändigt. Harry hatte die unscheinbare braune Mappe geöffnet und sich bemüht, in kürzester Zeit das gesamte Leben des Menschen zu verinnerlichen, das in ihr dokumentiert worden war. Kyle Benson, siebenunddreißig Jahre alt, Werwolf. Er hatte keinen zuständigen Heiler angegeben, was bedeutete, dass er keinen Wolfsbanntrank eingenommen hatte. Vermutlich fehlten ihm dafür die Galleonen; den meisten Werwölfen ging es so. Doch das war nicht das Problem. Kyle Benson war außerdem nicht pünktlich in Askaban erschienen, um sich in eine der Sicherheitszellen einschließen zu lassen. Das bedeutete, dass in diesem Moment ein Werwolf frei herumlief und womöglich Menschen angriff.

Glücklicherweise hatte man Benson schon vor seiner ersten Verwandlung eine Ortungsperle eingesetzt. Rathbone betrachtete ihr magisches Signal auf der Ortungskarte, während sie sich auf den Weg zurück in die Eingangshalle befanden. Als Dienstältester war er der Einsatzleiter. In der Eingangshalle hatte Harry noch einen letzten Blick auf das Foto von Bensons Wohnort in der Akte geworfen und binnen Sekunden hatte er sich auf einer Weide etwa hundert Meter von dem Gebäude entfernt wiedergefunden.

Harry erinnerte sich noch, dass der Einsatz reine Routine gewesen war, bis ins kleinste Detail. Harry ging als erster auf die Tür des Häuschens zu, das von außen so ungepflegt wirkte, dass kein Mensch vermuten würde, dass es bewohnt war. Doch er wusste, dass das nur Täuschung war, um neugierige Muggel fernzuhalten. Standardvorgehensweise bei Werwolfwohnsitzen.

Harry hasste es, als Lockvogel zu fungieren, aber weil es ihnen allen so ging, hatten sie ein System entwickelt. Rathbone, Carling, Potter. Und dieses Mal war es leider an Harry gewesen, die Tür aufzustoßen und zu riskieren, von einem wildgewordenen Werwolf angefallen zu werden. Doch nichts war passiert, nur ein paar Insekten hatten sich vorsichtig dem verführerischen Licht von Harrys Zauberstab genähert. Keine Spur von Benson.

Carling hatte ihn zu sich gewinkt, nachdem er die Hütte wieder verlassen hatte. Er hatte im schlammigen Boden an der südlichen Ecke der winzigen Hütte einen relativ frischen Pfotenabdruck gefunden, der viel größer als der eines normalen Hundes war. Harry hatte sich nicht gewundert, dass Benson nicht im Haus geblieben war; Werwölfe waren viel lieber an der frischen Luft, hatte Remus ihm einmal erzählt. Sie brauchten viel Bewegung, und wenn sie die nicht bekamen, verletzten sie sich selbst. Außerdem jagten sie gerne Hasen und Kaninchen, hatte er schmunzelnd hinzugefügt. Oder eben Menschen, dachte Harry.

Benson wohnte abgelegen, also war es unwahrscheinlich, dass er Jagd auf einen Menschen machen würde. Vermutlich war er in den Wald gelaufen, dessen dunkle Baumwipfel hinter der Hütte aufragten. Harry hatte geflucht, und Carling hatte es ihm Sekunden später gleich getan, als er zum selben Schluss gekommen war. Sie mussten wohl oder übel den Wald durchkämmen, um den Werwolf zu finden. Ein Werwolf im Wald, wo er die Dunkelheit und die Deckung der Bäume nutzen konnte, war leider um einiges gefährlicher, als ein Werwolf in einem Haus.

Vorsichtig waren sie durch die wandernden Schatten geschlichen, die vor Harrys Augen auf und ab tanzten, während in seinem schmerzgeplagten Hirn langsam die Erinnerung dämmerte. Und es war sehr still geworden, totenstill, je tiefer sie in den Wald vorgedrungen waren, in die Richtung, die die Karte ihnen vorgegeben hatte. Harry hatte gespürt, wie sie sich dem Werwolf näherten, alle seine Instinkte hatten ihn zur Flucht gedrängt.

Und trotzdem erinnerte er sich an kaum mehr als an das sachte Rascheln und den plötzlichen Schmerz, der von seinem rechten Bein aus durch seinen gesamten Körper kroch.

Ende