Kapitel 01: Der Morgenhimmel am ersten Tag der Welt
§1 Jedes Tierwesen, Zauberwesen und jeder Zauberer, der durch das Zaubergamot als potentielle Gefahr für die Gesellschaft eingeordnet wurde, hat die Pflicht, sich in der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe und Schwarzmagier zu registrieren und alle Fragen, die Teil des Registrierungsprozesses sind, wahrheitsgemäß zu beantworten.
(Auszug aus dem Gesetz zum Schutz der Zauberergemeinschaft und nichtmagischer Wesen)
Der Schmerz plagte Harry immer noch, als er endlich die Augen öffnete und auf eine blendend weiße Zimmerdecke blickte. Tränen standen ihm in den Augen, und er wusste nicht, ob das an den Schmerzen, den fiebrig brennenden Wangen oder der grellen Decke lag. Trotzdem blinzelte er nur kurz die Tränen weg und zwang sich dann, die Augen offen zu halten und nicht in Panik zu verfallen. Die Zeit, die er in dieser Haltung versteinert verbrachte, erschien ihm endlos. Er konnte sich nicht bewegen, noch nicht einmal blinzeln, und ihm war, als bestünde er nur noch aus Herzschlag und Schmerzen. Er fühlte sich als würde er schreien, doch er hörte keinen Ton und sein Mund blieb geschlossen.
In Wirklichkeit konnten es wohl kaum mehr als ein paar Minuten gewesen sein. Die unzusammenhängenden Gedanken, die in dieser Zeit durch seinen Kopf schossen, ergaben nicht einmal für ihn Sinn. Warum hatte man ihm keine Schmerzmittel gegeben? Tot konnte er wohl kaum sein. Tote spürten keine Schmerzen, das zumindest hatte ihm seine letzte Begegnung mit dem Todesfluch beigebracht.
„Mr. Potter“, sagte eine weibliche Stimme.
Harry verzog das Gesicht und wandte den Kopf in die Richtung, in der er die Sprecherin vermutete. In der Tür – er war also in einem Raum, der natürlich eine Tür besaß – stand jemand, der in Limonengrün gekleidet war. Hinter der Person bewegte sich etwas, doch Harry konnte nichts weiter erkennen. Er trug seine Brille nicht.
„Wie geht es Ihnen, Mr. Potter?“, fragte eine andere, männliche Stimme. Sie klang fast schrill in Harrys Ohren und viel zu fröhlich. Er verzog wieder das Gesicht.
„Ich bin Thaddeus Stowner, ihr zuständiger Heiler“, fuhr die Stimme unbeirrt fort.
Harry antwortete nicht. Sein Gehirn war immer noch damit beschäftigt zu verarbeiten, dass er erstens nicht tot und zweitens offenbar in einem Krankenhaus – dem St.-Mungo-Hospital – war. Alles erschien ihm immer noch so unangenehm laut und grell. Ihm kam noch nicht einmal die Möglichkeit in den Sinn, dass er etwas sagen könnte.
„Mr. Potter?“
Harry erinnerte sich dunkel an eine Frage, doch sie wollte ihm nicht mehr einfallen. Stattdessen sagte er das erste, was ihm in den Sinn kam: „Mein Bein tut weh“, krächzte er mit einer Stimme, die er kaum erkannte. Dabei schmerzte in Wirklichkeit sein gesamter Körper, einschließlich seiner Augäpfel.
„Natürlich Mr. Potter, das wissen wir. Sonst noch etwas? Außer den Fieberanfallen natürlich.“
Harry dachte nach, und gab es schließlich auf. Im Grunde genommen wollte er nur eins: „Schmerzmittel?“
„Oh nein, Mr. Potter. Das wird leider nicht gehen“, flötete Stowner. Harry wünschte sich, der Mann würde endlich den Mund halten. Gab es denn niemanden mit einer weniger nervenaufreibenden Stimme? So machte der Heiler alles nur noch schlimmer.
„Warum?“, brachte Harry schließlich mühsam heraus.
„Haben Sie etwas gesagt, Mr. Potter?“
„Warum?“, wiederholte Harry etwas lauter, obwohl er sich nur noch verschwommen erinnerte, wonach er fragte. Seine Kehle fühlte sich an wie Sandpapier.
„Ah. Sie wurden von einem Werwolf gebissen, Mr. Potter. Da hilft kein Trank der Welt. Die Hitze, die Sie im Moment vermutlich spüren, rührt von der Veränderung her, die Ihr Körper gerade durchmacht. Noch ein, zwei Tage und das ist vorbei. Die Wunde ist dann auch vernarbt. Sie sollten aber etwas trinken. Die Heilerin-in-Ausbildung bringt Ihnen gleich etwas. Ich rate Ihnen wirklich, alles zu trinken. Viele meiner Patienten weigern sich, und das macht die ganze Sache nur noch unerträglicher, sowohl für Sie als auch für mich. Am Ende müssen wir Sie noch rehydrieren – ich kann Ihnen versichern, dass Sie das lieber nicht über sich ergehen lassen wollen“, fügte Stowner hinzu, bevor er auch schon wieder aus dem Zimmer hastete.
Harry versuchte, einen klaren Gedanken zu fassen, doch sobald er glaubte, einen gefunden zu haben, entglitt er schon wieder in die nebligen Tiefen seines Gehirns. Erst, als er das regelmäßige Klackern hochhackiger Damenschuhe auf dem gefliesten Krankenhausflur hörte und eine verschwommene Gestalt in der Tür erblickte, fiel es ihm wieder leichter. Er wusste nicht, wie viel Zeit in der Zwischenzeit vergangen war. Es hätten Minuten oder auch Tage sein können.
„Meine Brille?“, keuchte er schließlich mühevoll, als er sich daran erinnerte, dass die Welt nicht immer so unscharf gewesen war.
Die Schritte näherten sich und ihr Geräusch wuchs zu einem fast schon unerträglichen Lärm an. Dann klapperte es neben Harrys Bett. Er zuckte zusammen, zumindest innerlich. Er wollte erneut nach seiner Brille fragen, doch bevor er es konnte, fummelte die inzwischen nicht mehr ganz so undeutliche Gestalt am Kopfende seines Bettes herum, bis sein Oberkörper in die Höhe schnellte und er für einen Moment vollkommen die Orientierung verlor. Harry stöhnte vor Schmerz, als er sie wieder fand, und ihm wurde übel, doch das Würgen war nur ein Reflex und brachte keinen Mageninhalt mit sich.
„Das Wasser steht auf dem Nachttisch, Mr. Potter. Brauchen Sie Hilfe oder können Sie so trinken?“, fragte die tiefe Stimme, die um so vieles sanfter klang als die Stowners.
„Meine Brille? Ich kann ohne sie kaum sehen“, murmelte Harry gedankenverloren und merkte, dass seinen Stimmbändern das Reden leichter fiel, je mehr er sie benutzte.
„Ich werde sehen, ob ich sie finden kann. Kommen Sie solange alleine zurecht?“
Harry nickte leicht, und spürte dabei, wie sein Gehirn von einer Schädelplatte gegen die andere waberte. Der Fleck aus Limonengrün und Pastelltönen verschwand durch die offen stehende Tür (Machte sich denn niemand die Mühe, seine Privatsphäre zu schützen?) und Harry lehnte sich zurück in der Hoffnung, dass das kochende Blut in seinen Adern etwas weniger aufdringlich pulsieren würde. Seine Augen fielen zu, fast von selbst. Ohne Brille waren sie ihm ohnehin zu nichts nütze. Für einen Moment versuchte Harry, wieder in seligen (schmerzfreien) Schlaf zu verfallen, doch es wollte ihm nicht gelingen. Wasser, dachte er, vielleicht würde das ja helfen, wer wusste schon, wie lange er nichts mehr getrunken hatte; vielleicht waren schon Tage vergangen …
Ohne die Augen zu öffnen, taste sich Harry mit seiner rechten Hand vorsichtig und für seinen Geschmack viel zu langsam über die Bettkante hinaus zum Nachttisch vor, wo er nach einigen erfolglosen Versuchen gegen die kühle Oberfläche des Glases stieß, von dem die Heilerin gesprochen hatte. So langsam wie möglich führte Harry es mit unsicherer Hand zu seinem Oberkörper und verteilte dabei ein paar Spritzer auf seine Hand. Sie wurde so glitschig, dass er das Glas beinahe doch auf den Boden fallen ließ. Erst, als das Glas von beiden Händen umfasst auf seinem Schoß stand, atmete er auf. Die Anstrengung hatte ihn noch stärker in Schweiß gebadet.
Es kam ihm dann fast wie ein Kinderspiel vor, das Glas an seinen Mund zu führen und den ersten Schluck zu nehmen. Einen Sekundenbruchteil lang fragte er sich, warum so viele andere sich weigerten zu trinken, obwohl sie es sollten. Dann war ihm, als würde er flüssige Chilischoten trinken, während sich das Wasser seinen Weg die Speiseröhre hinunter brannte. Harry würgte kurz, bevor er es wieder unter Kontrolle brachte. In seinem Hinterkopf wisperte die Stimme von Stowner, und Harry vermutete, dass das Rehydrieren noch unangenehmer sein würde. Also trank er den Rest so schnell es ging, die Augen voller Tränen, und versuchte es in seinem Magen zu behalten. Ob es ihm gelang wusste er nicht mehr, so sehr hatte es ihn erschöpft.
*
Harry konnte nicht sagen, wie viel Zeit vergangen war, bis er wieder die Augen öffnete, doch er spürte instinktiv, dass etwas anders war, auch wenn er beim besten Willen nicht ausmachen konnte, was es war. Seine Erinnerungen waren immer noch verschwommen und sie tröpfelten nur stückweise zurück in sein Bewusstsein. Er erinnerte sich zum Beispiel noch recht gut an das Gespräch mit Stowner, aber trotzdem fühlte es sich an wie ein Schlag in den Magen, dass dieser ihm gesagt hatte er wäre von einem Werwolf gebissen worden. Und zumindest intellektuell wurde ihm schließlich auch bewusst, dass er nun selber ein Werwolf war. Sein schmerz- und fiebergeplagter Geist verhinderte aber, dass er die Tragweite dieser Erkenntnis begreifen konnte. Harry war dankbar dafür.
Außerdem waren seine Schmerzen in der Zwischenzeit (es war ausgeschlossen, dass er nur Minuten geschlafen hatte) auf ein erträgliches Maß gesunken. Auch war ihm zwar immer noch heiß, aber wenigstens war er nicht mehr in Schweiß gebadet. Erleichtert schloss er wieder die Augen und döste vor sich hin, bis ihn die klackenden Schuhe der Heilerin-in-Ausbildung wieder in die Realität zurückriefen.
„Mr. Potter, sind Sie wach?“, hörte Harry sie fragen, nachdem sie den Raum betreten hatte. Er wandte den Kopf in ihre Richtung und öffnete blinzelnd die Augen. Sie war immer noch kaum mehr als ein bunter Fleck inmitten weiß-grauer Kleckse.
„Ah gut. Warten Sie einen Moment, ich rufe Heiler Stowner. Ich bin gleich wieder da“, plapperte sie eilig, bevor sie wieder verschwand und Harry auch nur eine Reaktion formulieren konnte. Also rührte Harry sich nicht und starrte weiter vor sich hin, bis einige Minuten später ein Mann in einer limonengrünen Robe das Zimmer betrat.
„Guten Tag, Mr. Potter. Wie geht es Ihnen heute?“, fragte Stowner.
„Besser“, krächzte Harry. Sein Hals war immer noch zu rau zum Sprechen.
„Natürlich, natürlich“, murmelte Stowner beiläufig und trat an Harrys Bett. Ohne ein weiteres Wort schlug er die Bettdecke zurück und entblößte Harrys Bein. Dann betastete er den Verband und Harry zuckte zusammen. Nicht vor Schmerz, doch es demütigte ihn, dass der Mann ihn wie ein Stück Fleisch behandelte – nein, eher wie ein Tier – ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Seine immer noch in der Decke vergrabenen Hände ballten sich unwillkürlich zu Fäusten.
„Morgen werden wir den Verband abnehmen“, sprach der Heiler vor sich hin, bevor er ohne ein Wort des Abschieds einfach aus dem Zimmer ging. Harry fühlte sich elend. Die Wunde in seinem Bein pulsierte im Takt vor sich hin. Stowner hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Decke wieder über Harrys Bein zu legen. Als die Heilerin-in-Ausbildung wenig später wieder zurückkehrte, war Harry immer noch damit beschäftigt, das letzte Stückchen Stoff wieder über seinen Fuß zu manövrieren. Er schwitzte vor Anstrengung.
Die junge Frau, der man offenbar noch nicht die wichtigeren Teile der Arbeit eines Heilers zugestand, stellte etwas Klapperndes auf den Nachttisch, und das lenkte Harry für einen Moment von Stowners sonderbarem Verhalten ab.
„Haben Sie meine Brille gefunden?“, fragte er tonlos. Etwas Besseres war ihm nicht eingefallen, aber irgendwie fühlte er das Bedürfnis, mit jemandem zu reden und wenn es nur um Belanglosigkeiten ging.
„Aber natürlich. Nicht einmal einen Kratzer hat sie abbekommen“, antwortete sie, während sie am Nachttisch herumrückte. „Man hatte sie einfach zu Ihren anderen Sachen gelegt. Hier bitte.“ Sie streckte die Hand aus, und Harry erkannte mit Mühe das bekannte schwarze Brillengestell. Vorsichtig nahm er es ihr aus der Hand, klappte es auseinander und schob es sich auf die Nase.
Sehr viel war ihm nicht entgangen, wie er erstaunt feststellte, obwohl er in mehr als einem Meter Entfernung nur noch Schemen gesehen hatte. Das Zimmer war weiß. Die einzige farbliche Abwechslung bot das silbern glänzende Metall der Knäufe an den Schränken (die farblich mit der Wand verflossen) und der Tür (immer noch offen), des Bettgestells und Teilen des Nachtschranks. Sogar sein Krankenhauskittel war strahlend weiß. Passend dazu roch es nach Mrs. Skowers magischem Allzweckreiniger. Und nach Essen? Harrys Blick schweifte über das Tablett, das auf dem Nachttisch stand.
„Haben Sie Hunger?“
Harry legte den Kopf schief. Er wusste es nicht so genau.
„Sie sollte auf jeden Fall etwas essen, nicht dass sie noch dünner werden. Keine Sorge, ihr Magen sollte die Hühnerbrühe verkraften“, fügte sie noch beruhigend hinzu. Mit einer Bewegung, die von monatelanger Routine sprach, nahm sie ihren Zauberstab, flüsterte einen Spruch und schon schwebte das Tablett über Harrys Schoß.
„Können Sie das Kopfende hochfahren?“, erkundigte sich Harry. Es war ihm peinlich, dass er sich nicht zutraute aufrecht zu sitzen.
„Selbstverständlich. Es ist ganz einfach. Sehen Sie den kleinen Hebel hier?“ Sie deutete auf ein Stück Metall, das die Hersteller des Bettes scheinbar aus Versehen angebracht hatten. „Sie drücken einfach hier und schwupp!“ Harry wurde in eine fast sitzende Position katapultiert. An Komfort hatte bei dieser Vorrichtung wohl niemand gedacht.
„Ich bleibe noch, bis Sie gegessen haben“, versicherte die Heilerin.
Harry schwieg einen Moment und starrte unentschlossen auf den angenehm duftenden Teller, der immer noch keine Reaktion seines Magens provozierte. „Wie lange bin ich eigentlich schon hier?“, fragte er schließlich, und starrte immer noch auf den Teller.
„Oh, etwa anderthalb Tage. Sie haben seit gestern Morgen – das war nach der Vollmondnacht – durchgeschlafen. Jetzt ist es kurz nach Mittag.“
„Oh“, murmelte Harry nur verlegen und nahm endlich den Löffel in die Hand. Sein Magen rebellierte nicht und die Flüssigkeit verätzte seine Schleimhaut nicht, also löffelte er brav seine Suppe hinunter und trank ein Glas Wasser. Als er fertig war verabschiedete sich die Heilerin mit dem Tablett und ließ ihn alleine in dem Zimmer zurück, dessen Anblick einen vermutlich wirklich zu Tode langweilen konnte. Harry hoffte inständig, dass er bald wieder eindösen würde, doch die Wunde, die er immer noch deutlich spürte, ließ ihm einfach keine Ruhe. Und da er nichts anderes tun konnte als denken, spulten sich in seinem Kopf immer wieder vier Worte ab und ließen keinen Platz für andere Gedanken. Ich bin ein Werwolf. Sein Herzschlag beschleunigte sich, während die Worte mit jeder Sekunde tiefer in sein Bewusstsein eindrangen. Harry fürchtete, dass er bald in Panik geraten würde.
Ein Schrei durchschnitt die Stille im Korridor und Harry schrak zusammen. Als die Laute endlich zu einem Wimmern verebbten und schließlich ganz verstummten, hörte Harry hastige Schritte über den Korridor huschen, gefolgt von nervösem Tuscheln und schließlich einem weiteren Schrei. Das Geräusch ging Harry durch Mark und Bein und er wünschte sich, er könnte aufstehen und nachsehen, was los war. Stattdessen blieb er nutzlos an sein Bett gefesselt und konnte nicht mehr tun als die Ohren zu spitzen.
Nach einer Weile liefen sichtlich ruhigere Schritte den Korridor entlang, doch es dauerte noch einige Momente, bis sie endlich Harrys Tür erreichten. Man hatte ihn offenbar an das entlegene Ende eines Flurs verlegt, denn niemand ging an seinem Zimmer vorbei; alle, die bis zu ihm gingen, wollten auch zu ihm. Harry behielt die weiße Wand jenseits der immer noch offenen Tür neugierig im Auge und es erstaunte ihn doch sehr, als er schließlich Kingsley Shacklebolt sah, der mit betretener Miene den Raum betrat.
„Hallo, Harry“, grüßte er leise.
Harry nickte zur Begrüßung.
„Wie geht es dir?“, fragte Kingsley schließlich vorsichtig, nachdem er Harry einen Augenblick eindringlich gemustert hatte.
Wie sollte es ihm schon gehen? Harry zuckte nur mit den Schultern.
„Der Heiler meinte, ich sollte dich nicht zu sehr aufregen, obwohl alles soweit ganz gut aussieht. Du weißt, was passiert ist?“
Harry nickte wieder, auch wenn er sich nicht vollkommen sicher war, dass er tatsächlich alles wusste. Noch war das Fieber nicht besiegt und sein Gehirn spielte ihm noch manchmal Streiche.
„Ich bin hier für den Bericht, Harry. Zumindest offiziell. Ich hoffe du weißt, wie sehr mir das alles leid tut.“
Harry spürte, wie sich ein zynisches Lächeln auf seine Lippen schlich, ehe er sein Gesicht wieder unter Kontrolle bekam. Kingsley meinte es schließlich nur gut. Und er musste seine Arbeit machen, so wie Harry sie selber machen musste, auch wenn es ihm nicht gefiel. „An allzu viel erinnere ich mich sowieso nicht“, erwiderte er schlicht.
„Ist leider Pflicht, das weißt du, vor allem wenn etwas schief gegangen ist.“
Harry seufzte. „Es lief alles so wie immer. Ich hatte Pech. Kannst du mir die Versionen von Carling und Rathbone vorlesen? Sie haben ihre Berichte doch schon abgegeben, oder? Und ich sage dann einfach, ob ich noch etwas zu ergänzen habe oder nicht.“
Kingsley betrachtete Harry kurz mit einem Stirnrunzeln, bevor er nickte. Er las die relevanten Stellen der Berichte vor, die sich beide nicht sonderlich von einander unterschieden. Vermutlich hatten die beiden ihre Geschichten abgestimmt um sicherzugehen, dass es nicht zu unangenehmen Fragen kommen würde – Auroren taten das gerne, wenn sie befürchteten, dass man ihnen ohne Grund etwas anhängen könnte. Doch enthielten die Berichte nichts, was Harry augenscheinlich falsch vorkam. Er hatte lediglich hinzuzufügen, dass der Werwolfangriff auch für ihn völlig überraschend gekommen war und dass Carling und Rathbone ihn gut gedeckt hatten – auch wenn seine Erinnerung diesbezüglich noch recht unscharf war. Kingsley notierte all das mit einer Selbstschreibenden Feder, ließ Harry unterzeichnen und packte die Unterlagen zurück in eine braune Mappe.
‚Von nun an werde ich auch nur noch das sein, was sie von mir in eine Mappe packen können‘, schoss es Harry plötzlich durch den Kopf. Doch er sprach es nicht laut aus. Stattdessen fragte er: „Was ist eigentlich mit Benson?“
Kingsley schien einen Moment ratlos, bis er den Namen einordnen konnte. „Tot. Rathbone sah keine andere Möglichkeit als den Todesfluch. Er hatte dein Bein im Maul, und ich schätze, dass du glücklich sein kannst, dass du mit einer vergleichsweise harmlosen Wunde davongekommen bist. Die Heiler meinten, dass keine bleibenden Schäden verursacht wurden. Du hättest sonst gut und gerne dein Bein verlieren können.“
Harry nickte stoisch. Er schmerzte ihn, dass Benson tot war, nur würde Kingsley das wohl schwer verstehen, schließlich trauerte er um den Mann (Wolf), der sein Leben ruiniert hatte. Er wusste, dass dieses Gefühl irrational war, dass er ihn gar nicht kannte und dass er ihn eigentlich hassen sollte, aber Harry fühlte trotzdem nur Trauer. Und Enttäuschung vielleicht
Ein erstickter Schrei hallte den Gang hinunter. Kingsley blickte besorgt zur Tür hinaus.
„Was ist da eigentlich los?“, fragte Harry barscher als er beabsichtig hatte.
Kingsleys Kopf fuhr herum. „Eine Muggelfrau, sie haben sie heute Morgen hergebracht, nachdem man sich im Muggelhospital ihre Symptome nicht erklären konnte. Irgendeiner der Muggelheiler hat dann jemanden verständigt, der etwas von Werwolfbissen verstand und der hat dann uns benachrichtigt.“ Kingsley zuckte mit den Schultern. „Sie wurde auch gebissen, nur weiß man bei ihr nicht, wer es war. Du kennst das ja. Die Heiler glauben nicht, dass sie lange durchhält. Die Muggel können am wenigsten damit umgehen.“
Harry schwieg eine Weile. „Wissen Ron und Hermine eigentlich, was passiert ist?“
Kingsley nickte. „Sie wollten dich eigentlich gleich besuchen kommen, aber du darfst noch keinen Besuch bekommen. Bis morgen zumindest. Es fällt ihnen schon schwer genug, die anderen Heiler davon abzuhalten dich anzugaffen. Also dürfen sie erst morgen kommen. Mrs. Granger-Weasley hat übrigens damit gedroht St. Mungo’s zu verklagen“, fügte er noch amüsiert hinzu.
Harry wusste nicht, ob er lachen oder weinen sollte. Das Schreien hallte wieder durch den Korridor, und Harry hatte mit einem Mal das Bedürfnis, sich selber die Lunge aus dem Hals zu schreien und in alle Einzelteile zu zerfallen. Er fühlte sich furchtbar, verzweifelt und er war wieder kurz davor, der Panik zu verfallen. Dann erinnerte er sich an Kingsley. Er durfte jetzt nicht so einfach aufgeben.
„Kingsley?“
„Hmm?“
„Kannst du fragen, ob sie mich zu ihr aufs Zimmer verlegen können?“, bat Harry, bevor er sich eines Besseren besinnen konnte.
Kingsley stutzte. „Wirklich?“, fragte er unsicher.
Harry nickte. „Dann hatte ich wenigstens etwas zu tun. Es gibt hier ja sonst nichts. Und vielleicht kann ich ja dabei helfen, sie zu beruhigen. Was immer sie im Moment machen, scheint ja nicht gerade gut zu wirken.“
Kingsley nickte bedächtig, warf einen flüchtigen Blick zur Tür hinaus und sah Harry dann direkt in die Augen. „Mache ich“, versprach er. „Bis später. Ich werde noch einmal vorbeikommen, wenn du entlassen wirst.“ Sie beide wussten, dass auch das kein rein privater Besuch werden würde, doch Harry verbiss sich eine entsprechende Bemerkung.
„Auf Wiedersehen“, nuschelte er stattdessen, und sah Kingsley hinterher, als er aufstand und sich noch einmal mit einem Nicken an der Tür verabschiedete.
Es dauerte etwa eine halbe Stunde (zumindest nach Harrys Zeitgefühl), bis Heiler Stowner in Harrys Zimmer trat und die Lippen missbilligend schürzte. Er sah Harry einen Moment lang abschätzig an, bevor er in einem für seine Verhältnisse unterkühlten Ton begann: „Auror Shacklebolt hat mir gesagt, dass Sie gerne in ein anderes Zimmer verlegt werden möchten.“
Harry nickte und schwieg.
Stowner presste die Lippen aufeinander. „Ich fürchte, das wird etwas komplizierter, als Sie sich das vorstellen, Mr. Potter. Die Patientin ist wirklich nicht in der Verfassung für Gesellschaft und es wäre Ihrer Gesundheit abträglich, wenn Sie nicht die nötige Ruhe bekommen könnten.“
Harry starrte ihn nur stur an. Er konnte dem Heiler schlecht sagen, dass im Moment alles verlockender auf ihn wirkte, als den Rest des Tages alleine mit seinen Gedanken zu verbringen. Dass die Panik in einer Ecke seiner Seele nur darauf wartete, ihn in einem Moment der Unaufmerksamkeit zu überwältigen. So würde er mit Sicherheit auch keine Ruhe finden. Und er würde Stowner nur noch mehr Arbeit machen. Also sagte er: „Wäre es für Sie nicht auch praktischer, wenn Sie nur einen Raum zu überwachen hätten? Außerdem würde es sie vielleicht beruhigen, wenn sie nicht alleine wäre?—“ ‚—denn wer verbrachte schon gerne Zeit mit Heilern, die praktisch keine sozialen Fähigkeiten besaßen‘, fügte Harry in Gedanken hinzu. Es laut auszusprechen würde ihm wohl nur Probleme bringen, schließlich hatte Stowner alle Möglichkeiten, ihm die nächsten Tage zu einer noch größeren Qual zu machen.
Harry konnte förmlich sehen, wie es hinter Stowners Augen arbeitete, doch er konnte sich nur wünschen, dass er auch seine Gedanken lesen konnte. Legilimentik war noch nie seine Stärke gewesen, und die Reste des Fiebers verhinderten äußerst effizient, dass er auch nur einen Versuch wagen konnte. Den Ärger waren Stowners Gedanken wohl so oder so nicht wert.
Der Heiler seufzte schließlich ergeben auf, und Harry wusste, dass er gewonnen hatte. „Na gut, Mr. Potter, aber auf Ihre Verantwortung“, seufzte er und zog seinen Zauberstab hervor.
Einen wortlosen Zauberspruch später marschierte Harrys Bett unsicher zur Tür hinaus. Harry hatte nie so recht verstanden, warum manche Menschen auf Kamelrücken seekrank wurden (er hatte das als Kind in einem Muggelbuch gelesen), doch nun konnte er es nur zu gut nachfühlen. Er hoffte inständig, dass sie bald ankommen würden, aber das Bett passierte in gemächlich schwankendem Tempo noch zwei weitere geschlossene Türen und bog um eine Ecke, bevor eine weitere Tür vor ihnen auftauchte. Dort stand bereits die Heilerin, die ihm das Essen gebracht hatte. Harry wurde mulmig in seinem sensiblen Magen. War er wirklich sicher, dass das eine gute Idee war?
Das Zimmer, in das sein Bett wanderte, war eine exakte Replik seines alten und vermutlich jedes anderen Zimmers in St. Mungo’s. Oder zumindest dieser Station. Das Zimmer, in dem Harry vor fast zehn Jahren einmal Mr. Weasley besucht hatte, hatte auch so ausgesehen, genauso wie die anderen Zimmer von Kollegen oder Freunden, die Arbeitsunfälle hatten oder zuhause mit den falschen Importpflanzen experimentiert hatten. Harry musste zugeben, dass er das Krankenhaus inzwischen ganz gut kannte. Der einzige Unterschied zwischen diesem Krankenzimmer und all den anderen war der, dass dieses weit mehr Menschen enthielt, als für gewöhnlich üblich war.
Da war zum einen die dunkelhäutige Frau, die vielleicht zehn Jahre älter war als er selbst. Sie starrte mit leerem Blick und tränenverhangenen Augen an die Decke. Um das Bett herum standen drei Heiler, zwei recht junge, die vermutlich noch in der Ausbildung waren, und ein Heiler mit Halbglatze, der seinen Zauberstab erhoben hatte. Er nickte Stowner kurz zu.
„Wir haben sie gelähmt, bis sie sich einigermaßen beruhigt“, erklärte er sachlich, seine Augen auf Harry gerichtet. Oder um genauer zu sein auf die Narbe auf seiner Stirn. Harry war es peinlich, dass die Leute ihn nach all den Jahren immer noch wie einen Held feierten, obwohl er kaum etwas getan hatte.
„Würden Sie sie bitte aufrichten?“, befahl Stowner den Heilern, die die Frau sofort mithilfe des Kopfendes des Bettes in eine sitzende Position brachten. Sie sah Harry jetzt direkt an, und Harry konnte die Verzweiflung in ihren dunkelbraunen Augen förmlich schmecken.
„Mrs. Black, das hier ist Mr. Potter. Er wird mit Ihnen das Zimmer teilen. Er ist auch ein Werwolf“ – Harry zuckte innerlich zusammen. – „Und wurde wie Sie beim letzten Vollmond gebissen. Er ist außerdem ein Zauberer. Würden Sie uns allen den Gefallen tun und sich angemessen verhalten, wenn Heiler Pye Sie aus der Starre befreit?“, fragte Stowner und starrte die regungslose Frau einen Moment lang an. Dann bedeutete er Pye den Zauber aufzuheben.
Das erste was sie tat, als sie sich wieder bewegen konnte, war einen tiefen, bebenden Atemzug. Sie zitterte am ganzen Leib vor Angst, und Harry spürte, wie er selber begann vor Anspannung zu beben. Einen Moment lang schien es, als würde sie wieder in Panik geraten, doch dann hatte sie sich anscheinend wieder soweit unter Kontrolle, dass sie wenigstens nicht mehr schrie. Stowner nickte zufrieden und er und die anderen Heiler schickten sich an zu gehen.
„Könnten sie vielleicht die Tür schließen?“, bat Harry.
Pye, der als letzter den Raum verließ, folgte dieser Bitte, wenn auch leicht zögernd. Harry seufzte erleichtert und ließ sich in die Kissen sinken, soweit es ihm bei der erhobenen Kopfstütze möglich war. Er fühlte sich fürchterlich erschöpft.
Nachdem er kurz seine Augen geschlossen hatte, öffnete er sie wieder und blickte Mrs. Black an, die durch ihn hindurch zu blicken schien.
„Hi“, murmelte er leise. Ihr Blick kehrte in die Realität zurück. „Mein Name ist Harry“, fügte er noch hinzu, zusammen mit einem Grinsen, das hoffentlich freundlich und nicht einschüchternd wirkte.
Die Frau schwieg eine Weile. „Melanie Black“, gab sie schließlich zurück, als Harry die Hoffnung auf ein Gespräch schon fast aufgegeben hatte.
„Ich habe gehört, dass Sie Muggel sind?“, fragte Harry unsicher. Smalltalk war noch nie seine Stärke gewesen.
„Was?“
„Ein Muggel – jemand ohne magische Fähigkeiten“, erklärte er.
Mrs. Black nickte. „Und Sie sind … Zauberer?“
„Ja. Aber ich bin unter Muggeln aufgewachsen. Sie sind bestimmt etwas überfordert mit alldem, oder? Ich war elf, als ich das erste Mal von der Zaubererwelt gehört habe, und deshalb fiel es mir wohl recht leicht, mich daran zu gewöhnen.“
Mrs. Black schnaubte verächtlich. „Ich hätte diesen Leuten kein Wort geglaubt, wenn sie mich nicht gerade verhext hätten!“ Ein Schütteln ging durch ihren Körper.
Harry konnte sich kaum vorstellen, wie sich ein Ganzkörperklammer als erste Erfahrung mit Magie anfühlen musste. Vermutlich ausgesprochen unangenehm.
„Stimmt das eigentlich was sie sagen? Das mit den Werwölfen?“, fragte sie schließlich ängstlich.
Harry nickte vorsichtig. Er hatte es ja selbst noch nicht verarbeitet. Ein Teil von ihm hoffte immer noch darauf, dass es einfach nur ein schlechter Traum war.
„Und was … was heißt das jetzt. Für mich, meine ich?“
Harry holte einmal tief Luft und beschwor die Person herauf, die früher einmal von Berufs wegen schlechte Nachrichten überbracht hat. Das hatte alles nichts mit ihm zu tun. Dann begann er: „Es gibt Gesetze in der Zaubererwelt – und die gelten für alle magischen Wesen, ob sie es wollen oder nicht. Die Zentauren zum Beispiel – ja, die gibt es wirklich – halten nicht viel vom Ministerium für Magie. Bei Werwölfen geht es hauptsächlich darum, Neubisse zu verhindern. Und da es zurzeit ziemlich viele Werwölfe gibt, sind die Regeln sehr streng. Beschränkter Kontakt zu Muggeln, und man muss sich über den Vollmond einsperren lassen. Die Regeln erklären sie noch genauer. Und es werden Ortungsperlen eingepflanzt. Wie ein Chip, damit man die Werwölfe orten kann.“
„Aber das ist doch gegen das Gesetz! Das verletzt die Bürgerrechte!“
„Ich bin auch gegen die strikten Regelungen, aber nach dem Krieg – da ging es um einen bösen Zauberer – gab es wesentlich mehr Werwölfe, und nicht alle sind so wie Remus Lupin, ein Freund meiner Eltern. Manche meinen, es wäre wichtig, viele andere Menschen zu beißen.“
„War es so einer, der mich gebissen hat? Ich erinnere mich nur noch an dieses riesige Tier, das mich im Park angefallen hat.“
Harry zuckte mit den Schultern. „Vielleicht auch nur ein Muggel, der nicht weiß, was mit ihm los ist.“
Sie schwiegen sich eine Weile an. Harry hielt seine Erklärung für die wahrscheinlichere. Die Dunkelziffer an Neubissen war vergleichsweise groß, einerseits weil die Muggel nicht wussten, wie ihnen geschah, und andererseits, weil die Zauberer, die es irgendwie verbergen konnten, das auch taten. Was hätte Harry getan, hätte es keine Zeugen gegeben? Vermutlich wäre er zu Remus gegangen und hätte sich Rat geholt. Außerdem hätte er es nie lange verbergen können, da er jeden Vollmond arbeiten musste.
„Was ist Ihnen passiert, Mr. Potter?“, fragte Mrs. Black in seine Gedanken hinein.
„Harry. Wenn Sie mich Mr. Potter nennen, komme ich mir wieder vor wie in der Schule. Ich bin Auror. Das ist so eine Art Polizist. Wir sollen die Bevölkerung schützen, unter anderem vor Werwölfen. Aber der Werwolf hat mich erwischt, bevor ich ihn schocken konnte.“
„Was ist aus ihm geworden, wissen Sie das?“
„Ja. Meine Partner haben ihn töten müssen, damit er mich nicht in Stücke reißt.“
„Oh … wissen Sie eigentlich, wie es mit Besuchen ist? Und wann werden wir entlassen?“
„Allzu lange sollte das nicht dauern. Ab morgen dürfen wir Besuch bekommen, das hat zumindest mein Chef gesagt, als er kurz hier war. Ich weiß nur nicht, wie es mit Muggeln ist. Ich denke, die dürfen hier nicht rein, es sei denn, sie sind mit einer Hexe oder einem Zauberer verwandt. Aber vielleicht dürfen sie ja schreiben. Haben Sie Familie?“ Harry hoffte inständig, dass das nicht der Fall war.
Das erste Mal, seit Harry in ihr Zimmer gebracht wurde, begann Melanie Black zu lächeln. Ein versonnener Ausdruck stahl sich auf ihr Gesicht und für einen Moment war sie mit ihren Gedanken an einem Ort, an den Harry nur zu gerne gehen würde.
„Ja, einen Mann und zwei Kinder. Henry arbeitet in einer Speditionsfirma. Wir sind im nächsten Monat zwölf Jahre verheiratet. Unsere ältere Tochter ist jetzt zehn und die jüngere gerade sechs. Sie freut sich schon darauf, im September in die Schule zu kommen. Ich habe Fotos von ihnen in meiner Handtasche, aber ich weiß nicht, was mit der passiert ist.“
„Wahrscheinlich haben die Heiler sie. Ich musste auch erst um meine Brille bitten.“
„Gut. Ich hoffe, es ist nichts gestohlen worden.“
‚Das dürfte wohl ihre geringste Sorge sein‘, dachte Harry. Ihren Mann und ihre Kinder würde sie höchstens besuchen dürfen. Die Gesetze verbaten schließlich einen zu engen Kontakt zwischen Muggeln und magischen Wesen der gefährlichen Sorte, auch wenn es bei Werwölfen äußerst lächerlich war. Nur wohnen würde sie bei ihnen vermutlich nicht mehr dürfen (gemäß innerer Richtlinie der Abteilung zur Führung und Aufsicht magischer Geschöpfe und Schwarzmagier – kurz AFümaG), und regelmäßigen Kontakt würde sie nur mit Glück bewilligt bekommen. Ganz sicher war er sich jedoch nicht – Harry arbeitete schließlich nur an den Fällen, in denen es schon zu spät war. Trotzdem: Melanie Black würde es unter den Gesetzen von 1999 wesentlich schwerer haben als er. Das mulmige Gefühl schlich sich in seinen Magen zurück. Harry schob es gewaltsam beiseite.
„Sie können ja beim Abendessen fragen, allzu lange wird es wohl nicht mehr dauern.“
„Sind die Schwestern hier wenigstens netter als die Ärzte? Ich mochte Krankenhäuser noch nie, aber das hier schlägt sogar den NHS.“
Harry musste schmunzeln. „Hier gibt es nur Heiler, keine Ärzte und Schwestern. Und die Heilerin-in-Ausbildung, die mir das Mittagessen gebracht hat, war recht umgänglich. Das kann aber auch daran liegen, dass ich Harry Potter bin. Vermutlich mögen die Leute hier Werwölfe einfach nicht besonders, oder es ist ihnen unangenehm.“ Er zuckte mit den Schultern.
„Warum sollte man mit Ihnen anders umgehen“, fragte Melanie neugierig.
Harry spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss. „Ich bin so was wie eine Berühmtheit. Vor einigen Jahren hat ein Schwarzmagier das ganze Land terrorisiert, und ich habe damals dabei geholfen ihn zu bekämpfen. Seit damals gibt es auch diese Probleme mit Werwölfen und anderen magischen Wesen.“
„Was gibt es denn noch?“, fragte sie neugierig.
Den Rest des Abends verbrachte Harry damit, sich mit Hilfe von Melanie von dem dumpfen Pochen in seinem Bein abzulenken. Er redete, bis er zu krächzen begann und erzählte ihr von Geistern, Zentauren, Hauselfen, Wassermenschen, Kobolden und vor allem von Hogwarts. Er schwelgte in Erinnerungen, wie er es sonst eigentlich nur tat, wenn er sich mit seinen Freunden und Mitschülern auf ein Bier traf.
Als das Essen gebracht wurde, fühlte er sich sogar ein wenig hungrig. Er war außerdem müder als er dachte und kurz bevor er endlich einschlief, flackerte das Bild von Melanies Familie vor seinen Augen auf. Ein unbehagliches Gefühl durchzuckte seinen Korper, aber die Müdigkeit gewann und er fiel in einen traumlosen Schlaf.
Ende