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Rodo, 2023

Reisenotizen (Italien)


Tag 16: The Long Way Home (12-13.03.2006, Sonntag und Montag)

Der Sonntag fing schon ungewöhnlich an. Während es am Vortag noch ausgesprochen warm gewesen war, sah ich als erstes am Morgen dicke, weiße Flocken vom Himmel segeln. Im März. In Italien. Evas Onkel konnte es auch nicht so recht glauben. Und so verbrachte ich die Rückfahrt zum Bahnhof in Padua damit, aus dem Fenster zu starren wie ein kleines Kind.

Es hörte erst auf zu schneien, als wir schon längst im Zug nach Verona saßen, von wo aus am Nachmittag unser Zug nach München fahren würde. Auch diese Zugfahrt erwies sich als ausgesprochen interessant, dieses Mal wegen unseres Mitreisenden. Wir waren nämlich in einem Abteil mit einem Macho, circa Mitte dreißig, gelandet, mit den entsprechenden Schuhen, Kleidung, Frisur und Körperhaltung. Wir unterhielten uns ein wenig ohne ihn zu beachten, bis er uns in gebrochenem Deutsch fragte, ob es uns etwas ausmachen würde, wenn er Musik hören würde. Wir verneinten. Er holte so eine Art supermodernen Mini-MP3-Spieler hervor, und bevor wir uns versahen tönte Circle of Life durchs Abteil, gefolgt von diversen anderen Schmalzstücken von Elton John und ähnliche Lieder. Nur Circle of Life wurde ständig wiederholt. Ich musste mir das Grinsen verkneifen, denn jedes Mal, wenn ich zur Seite schielte, war der Macho vollkommen in die Musik versunken und kurz davor, laut mitzusingen. Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass es auf der Welt jemanden gibt, der ein derartiger Elton-John-Fan ist.

Als wir endlich in Verona auf dem Bahnhof standen, atmete ich erleichtert auf. Kein Versteifen der Gesichtsmuskulatur mehr. Der Bahnhof hätte, wie sollte es anders sein, wunderbar nach Osteuropa gepasst. Nachdem wir unser Gepäck bei einem ausgesprochen unfreundlichen Bahnangestellten abgegeben hatten, der vermutlich nicht gerade froh darüber war an einem Sonntag arbeiten zu müssen, machten wir uns auf den Weg in die Innenstadt.

Wir folgten dabei einer lächerlich breiten Straße, auf der kaum ein Auto zu fahren schien, vorbei an Restaurants und Geschäften, die allesamt geschlossen waren, bis wir schließlich an einem halbverfallenen (und gerade verpackten) Amphitheater vorbeikamen. Da fing es wieder an zu schneien. Und während wir über die Plätze und durch Gassen spazierten, kamen uns sogar Eis essende Passanten entgegen.

Als wir schließlich den Fluss erreicht hatten und ihn überquerten, hatte es schon wieder aufgehört zu schneien, und so hatten wir, nachdem wir auf einen Hügel mit Burg gekraxelt waren, einen guten Ausblick über die Stadt. Wir saßen ein wenig herum, bevor wir uns wieder auf den Rückweg zum Bahnhof machten. Dabei fanden wir mehr oder weniger durch Zufall das Haus von Julia (die Stadt machte regelrecht Werbung mit Shakespeare), und ich fand im nahe gelegenen Buchladen endlich ein Mitbringsel für meinen Bruder (ein Panoramaposter), womit ich schon längst nicht mehr gerechnet hatte.

Am Bahnhof hatten wir noch genug Zeit, und so kaufte Eva sich etwas Essbares und wir setzten uns in den Wartesaal, der mich leicht an ein Klassenzimmer während einer Prüfung erinnerte, denn alle saßen mit dem Blick zum Aufseher/Verwalter des Raums, der mal irgendetwas las und mal ausdruckslos aber genau sein Reich musterte. Die einzigen, die davon unbeeindruckt schienen, waren die Nonnen, die es selbstverständlich auch in diesem Wartesaal gab.

Im Zug setzten wir uns erst einmal in ein leeres aber kaltes Abteil, bis ein Schaffner uns schließlich erklärte, dass die Heizung in diesem Abteil zur Zeit defekt war und wir doch lieber in die Waggons weiter hinten gehen sollten. Taten wir auch, und ich hatte mich schon lange nicht mehr so über die Wärme gefreut. Und irgendwie freute ich mich auch, wieder nach Hause zu kommen, während ich halb dösend mit ansah, wie die Vorgebirge der Alpen langsam in der Dunkelheit verschwanden und immer mehr Menschen, die Deutsch sprachen, in den Zug einstiegen.

Nur stiegen dann immer mehr lärmende Skitouristen ein, und der österreichische Schaffner benutzte ein Kartenverkaufgerät, das in etwas so klang wie ein Flipperautomat. Und außer uns hatte sich anscheinend niemand um eine Fahrkarte bemüht. Ich bekam Kopfschmerzen. Und dann fiel auch noch im Rest des Zuges die Heizung aus. Irgendwie schafften wir es trotzdem einigermaßen pünktlich zum Münchener Bahnhof, von dem aus um kurz nach Mitternacht der Zug nach Leipzig fahren würde. Und da Burger King der einzige Laden war, der noch geöffnet hatte, setzten wir uns dort hin, genauso wie jeder andere halbwegs vernünftige Reisende. Und es ist wirklich erstaunlich, wie viele Menschen an einem Sonntagabend auf Bahnhöfen herumlungern können. Ich bekam jedenfalls auch endlich etwas zu essen und konnte noch dazu einer meiner Lieblingsbeschäftigungen nachgehen. Die Menschen, die um so eine Zeit noch unterwegs sind, finde ich nämlich um einiges interessanter als die, die tagsüber hin und her eilen. Um diese Zeit scheint einfach jeder seine eigene Geschichte mit sich herumzutragen und wirkt mehr wie ein Individuum, wärend die Menschen tagsüber nur ein Teil der Masse zu sein scheinen.

So trafen wir dann auch im Zug einen netten Amerikaner, der neben uns saß, und mit dem wir die ganze Fahrt über Gott und die Welt redeten (dieses Mal kam Gott auch nicht zu kurz), bis wir fünf Stunden später total übermüdet in Leipzig ankamen. Ich war erstaunt, dass um diese Zeit schon regelmäßig Straßenbahnen fuhren, aber um sechs lag ich schließlich glücklich dösend in meinem Bett, froh, endlich wieder meine Ruhe zu haben.

Ende