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Rodo, 2023

(Im)Perfect

Disclaimer: Das Übliche eben. Leider gehört nichts mir und alles JKR

Kategorie: MWPP-Ära

Beta: emar, der ich dieses Mal wirklich sehr viel zu verdanken habe.

A/N: Die Ähnlichkeiten mit Toyo Malloys Geschichte Die wertvollste Erinnerung in diesem Kapitel sind nicht beabsichtigt. Diese Geschichte gibt es auch als PDF-Download.


Kapitel 1

Es gab kaum etwas, das Lucius Malfoy so wichtig war wie Perfektion. Und weil er alles verachtete, was nicht perfekt war, gab es auch nichts in seiner Nähe, das in irgendeiner Art und Weise mangelhaft war. Angefangen bei seiner Erscheinung. Lucius’ Haare waren lang, blond und immer zu einem makellosen Pferdeschwanz gebunden. Kein einziges Haar tanzte jemals aus der Reihe. Alle hatten die richtige Länge, den richtigen weißblonden Ton, und nicht einmal Quidditch löste sie auch nur einen Millimeter aus ihrem Band. Trotzdem hatte Lucius Quidditch nie viel abgewinnen kömnen. Böse Zungen behaupteten es läge daran, dass er nicht besser als alle anderen spielte. Er war noch nicht einmal in die Hausmannschaft aufgenommen worden. Doch ihm machte das nicht viel aus, denn Quidditch war sowieso ein Sport, den jemand seines Ranges von der Tribüne aus genoss.

Natürlich war auch alles andere an Lucius perfekt. Seine aristokratische Nase und die eisblauen Augen mit dem Hauch von Grau, die immer, aber auch wirklich immer Überlegenheit ausstrahlten. Die Roben, die seinen makellosen Körper umhüllten, saßen tadellos, waren sauber, niemals zerknittert und sie passten farblich immer zum Anlass und zum Blumenarrangement auf dem Tisch.

Doch nicht nur Lucius selbst war perfekt. Er hatte auch perfekte Schulnoten und würde Ende des Jahres perfekte ZAG-Ergebnisse bekommen. Genau wie seine perfekten Freunde. Die hatten alle den richtigen Hintergrund. Sie waren selbstverständlich reinblütig und hielten nicht viel von Schlamm- und Halbblütern. Es muss natütlich nicht extra erwähnt werden, dass sie allesamt Slytherins waren. Mit Nicht-Slytherins zu verkehren war für einen Malfoy nicht akzeptabel, das hatte Lucius’ Vater ihm schon eingebläut, als er noch gar nicht wusste, was ein Slytherin überhaupt war. Genau wie die Perfektion. Ein Malfoy war dafür prädestiniert. Es war also auch nicht weiter verwunderlich, dass Lucius einer der Favoriten seines Hauslehrers war. Zwar waren auch einige Schlammblüter im Slug-Club, wie die Lieblinge von Professor Slughorn genannt wurden, aber das glich sich dadurch wieder aus, dass er viele andere Reinblüter mit großartiger Zukunft kennen lernte. Man konnte schließlich nie früh genug damit anfangen, an seiner eigenen Zukunft zu arbeiten.

Neben seinen perfekten Freunden hatte Lucius auch eine perfekte Verlobte. Narzissa und er waren einander versprochen worden, als Lucius gerade fünf und Narzissa vier Jahre alt gewesen waren. Eine Allianz zwischen den beiden mächtigsten reinblütigen Familien, den Malfoys und den Blacks, wie es sie schon seit Generationen nicht mehr gegeben hatte. Narzissa hatte sich nicht nur in Bezug auf ihre Familie als Glücksgriff herausgestellt. Sie war auch in jeder anderen Beziehung perfekt. Besonders freute Lucius sich natürlich über ihr blondes Haar. Schließlich sollten aus seinen Kindern auch perfekte Malfoys werden. Und wer wenn nicht er war in jeder Hinsicht das Ideal eines perfekten Malfoys? Außerdem war Narzissa nicht ganz so widerspenstig wie ihre Schwester Bellatrix. Das würde sein Leben mit ihr um einiges angenehmer machen.

Lucius ging gerade den Flur zur Bibliothek entlang, in Gedanken bei seinem Wiederholungsplan fü die ZAGs, als jemand in ihn hineinrannte und ihn alles andere als elegant auf seinem Hintern landen ließ. Der Übeltäter selbst landete auf Lucius’ Beinen und presste seine Kniescheiben so aus ihren Fassungen, dass ein äußerst unangenehmer Schmerz seine Beine hochschoss. Lucius wollte ihn gerade in Grund und Boden schimpfen, doch ein Paar verschmitzt funkelnder grauer Augen ließen die Worte in seinem Hals gefrieren. Das engelsgleiche Geschöpf richtete sich grazil wieder auf und joggte leichtfüßig zu seinen Freunden, die kichernd etwas abseits standen. Ihm fiel erst auf, dass er wie hypnotisiert auf seinen schwarzhaarigen Engel gestarrt hatte, als der schon im nächsten Korridor verschwunden war. Er hatte ihm immer wieder lachende Blicke üer die Schulter zugeworfen, die sein Herz in einem anderen Takt schlagen ließen. Lucius war noch nicht einmal aufgefallen, dass der Engel sich gar nicht entschuldigt hatte.

Wie betäubt richtete er sich auf und klopfte sich den Staub vom Schulumhang. Immer noch im siebten Himmel wandelnd betrat er die Bibliothek, in der erst die entsetzten und amüsierten Blicke seiner Mitschüler ihn wieder in die Realität zurückholten. Einige Drittklässler verkniffen sich das Lachen oder flüsterten erregt untereinander. Nicht einmal Madam Pince warf ihnen die üblichen mahnenden Blicke zu, sondern starrte ihn an wie ein Buch, das sie in einem der Regale gefunden hatte und das sie noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Verwirrt machte Lucius sich auf den Weg zurück in seinen Schlafsaal, gefolgt von verstohlenem Kichern. Warum wollte er noch gleich in die Bibliothek?

Ihm fiel zwar wieder ein, dass er dort für die ZAG-Prüfung in Verwandlung hatte lernen wollen, aber ihm war jede Lust darauf vergangen. Das würde ihm zwar auch nicht helfen die Verwandlung von etwas Belebtem in etwas Unbelebtes besser zu verstehen, doch das war ihm für einen Moment ziemlich egal. Genauso wie die ZAGs. Wenn er ehrlich war, war das die meiste Zeit der Fall, ob sein Vater das nun wollte oder nicht. Und für einen kurzen Moment der Rebellion war sogar sein Vater ihm absolut egal. Es gab schließlich wichtigeres in seinem Leben. Die schwarzhaarige Schönheit von vorhin, zum Beispiel.

Im Gemeinschaftsraum der Slytherins schließlich traf er auf Goyle, einen Jungen, der ein Jahr jünger war als er und der ihn abgöttisch verehrte. Lucius fühlte sich von seinem Verhalten im Allgemeinen geschmeichelt, auch wenn er manchmal wie eine Klette an ihm hing. Es gab schließlich nichts, das er mehr liebte als Bewunderung. Wenn sie ihm entgegengebracht wurde, versteht sich. Jetzt sah Goyle ihn allerdings nicht bewundernd, sondern verwundert an.

„Lucius …“

„Was denn?“, blaffte er zurück. Er hatte wirklich Besseres zu tun, als sich mit der kleinen Nervensäge zu beschäftigen.

„Ähm, deine Haare“, stammelte Goyle.

„Was soll mit denen sein?“

„Nichts, nicht wirklich.“

Mit einem bösen Blick, der Goyle fast die Tränen in die Augen trieb, stolzierte Lucius zum Schlafsaal der Fünftklässler, wo er sich schon auf sein Bett werfen wollte, als sein Blick auf seine Reflektion im Spiegel fiel.

Seine Haare waren nicht mehr wie üblich blond, sondern schreiend pink. Im ersten Moment war er wütend über sich selbst und seine Unachtsamkeit. Einem Malfoy sollte so etwas eigentlich nicht passieren. Und wer bitte schön würde auf die Idee kommen, seine Haare ausgerechnet pink zu färben? Warum nicht wenigstens schwarz? Oder rot, sogar das war besser, auch wenn es unangenehme Assoziationen mit dem Namen Weasley hervorrief. Aber trotzdem, dieser Anschlag minderte seine Faszination für den Jungen nicht im Geringsten. Im Gegenteil. Ein scheinbar unstillbares Verlangen kroch in ihm hoch und drohte ihn zu ersticken. Eine Mischung aus Wut und etwas, das er nicht verstand und schon gar nicht benennen konnte. Sogar seine Haare vergaß er für einen Moment. Wenn auch nur fü einen kurzen.


*

Von da an verbrachte Lucius jede freie Minute damit, seinen Engel zu beobachten. Nicht, dass die ZAGs und die täglichen Ermahnungen seines Vater ihm viele davon ließen. Es rächte sich nun, dass er den jüngeren Kindern nie viel Aufmerksamkeit geschenkt hatte. So war dann auch sein Haus das erste, was er herausfand. Nicht weiter verwunderlich, schließlich musste er nur beim Frühstück den Blick über die Haustische streifen lassen. Lucius war mehr als enttäuscht gewesen, als er den Engel nicht am Slytherin-Tisch fand. Auch wenn es bei genauerer Betrachtung nicht gerade verwunderlich war. Kein Slytherin hätte die Frechheit besessen, seine Haare derart zu verunstalten und sich auch noch dabei erwischen zu lassen. Trotzdem, ein Hufflepuff konnte er nicht sein. Es war ein gutes Stück Magie gewesen, dass auf seine Haare verwendet worden war, wie er widerstrebend zugeben musste. Es hatte ihn Stunden gekostet, bis sie wieder ihre ursprüngliche Farbe hatten. Sein Engel war also nicht dumm. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Auf keinen Fall ein Hufflepuff. Aber ein Ravenclaw? Nein, eher nicht.

Er entdeckte den Jungen schließlich wirklich am Gryffindor-Tisch. Angewidert verzog er das Gesicht. Hoffentlich war er keiner dieser elenden Schlammblüter, die dieses Haus wie Ungeziefer infizierten und seinen Ruf verschlechterten. Doch nicht einmal die Tatsache, dass der Junge ein Gryffindor war, machte ihn weniger perfekt. Solange er nur kein Schlammblut war. Alles andere konnte man irgendwie tolerieren. Außer einem Hufflepuff vielleicht.

In den folgenden Tagen fand er heraus, dass der Junge wohl ein Drittklässler war. Die Gruppe von drei anderen Jungen, die ihn immer und überall umgab, unterhielt sich eines Montagmorgens über den Unterricht in Pflege magischer Geschöpfe. Und für Viert- oder gar Fünftklässler waren sie alle noch zu jung.

Sein Engel war außerdem nie ohne seinen besten Freund anzutreffen, einen Jungen mit wirren schwarzen Haaren und einer Brille. Die beiden steckten pausenlos die Köpfe zusammen und flüsterten. Lucius meinte sogar, den anderen Jungen zu erkennen. Potter oder so ähnlich. Er war Jäger im Quidditchteam von Gryffindor, und seine Familie war relativ berühmt, obwohl sie eine der schlammblutfreundlichen Reinblüterfamilien war. Aber solange Slytherin nicht spielte, hatte Lucius Quidditch noch nie viel Beachtung geschenkt. So war ihm auch Potter aufgefallen. Seine Mannschaft hatte es doch tatsächlich geschafft, das Team von Slytherin in diesem Jahr zu besiegen. Lucius hatte sich noch Tage später darüber aufgeregt, und das sogar, obwohl ihm Quidditch nicht wirklich gefiel. Aber welcher Slytherin ärgerte sich nicht darüber, gegen den Erzfeind verloren zu haben?

Außer Potter waren noch zwei braunhaarige Jungen fast immer mit seinem Engel zusammen. Der eine war auffällig dünn und ernst, der andere etwas zu pummelig, und zu viert spielten sie ihren Mitschülern und Lehrern immer wieder äußerst fantasievolle und gute Streiche. So dachte man jedenfalls, wenn man nicht gerade ihr Opfer war, wie zum Beispiel ein Drittklässler aus Slytherin namens Snape, der mindestens ein Mal pro Woche unter ihren Ideen zu leiden hatte. Lucius kannte den Namen nur deshalb, weil er und Nott sich gerne über ihn lustig machten. Seine Mutter war die letzte einer Reihe von mächtigen Reinblütern gewesen, doch ihre Familie hatte wenn schon nicht an Prestige so doch an Vermögen verloren, und sie hatte dann zum Entsetzten aller einen Muggel geheiratet. Außerdem war der Junge einfach ein zu leichtes Ziel.

Bei einem Abendessen Anfang Juni setzte sich Narzissa zu ihm und folgte seinem Blick, der wie immer fast magisch an seinem Engel klebte. Ihre Miene wurde sauer. Eine ihrer schlechten Angewohnheiten, und so erregte sie Lucius Aufmerksamkeit.

„Waren sie verantwortlich für deine … ungewöhnliche Frisur vor ein paar Wochen?“

Mit größter Mühe konnte er verhindern, dass ihm das Blut in die Wangen stieg. Vor Zorn natülich. Sie war die erste außer Goyle, die es gewagt hatte, ihn offen darauf anzusprechen. Manchmal nahm sie sich wirklich zu viel heraus, nur weil sie seine Verlobte war. Doch die Wut über ihr anmaßendes Benehmen wich langsam seiner immer präsenten Neugier. Vielleicht wusste sie ja etwas über den Jungen. Frauen sollten schließlich besser in solchen Dingen sein. Narzissa schien seinen emotionalen Tumult jedoch nicht zu bemerken und redete nach einer vieldeutigen Pause weiter.

„Ich kann es kaum glauben. Sein Benehmen wird immer schlimmer. Wenn das so weiter geht, wird Tante Walburga ihn mit Sicherheit von der Schule nehmen.“

„Wen?“ Lucius hob fragend eine Augenbraue. Narzissa quittierte das mit einem Das-solltest-du-doch-wissen-Blick.

„Meinen Cousin Sirius natürlich. Den Sohn von Onkel Orion. Kaum zu glauben, ausgerechnet er ist der Erbe des Hauses Black! Ständig ist er in Schwierigkeiten. Mindestens eine Eule pro Woche. Aber was kann man auch anderes von ihm erwarten. Er ist schließlich ein Gryffindor.“

Es erstaunte ihn wirklich jedes Mal, wie Narzissa das Wort mit einer derartigen Verachtung aussprechen konnte. Nicht einmal Lucius konnte das so gut. Und ihm würde das Naserümpfen wahrscheinlich auch nicht so gut stehen wie ihr.

Narzissa fuhr fort, üer Sirius’ Bruder Regulus zu reden, der dieses Jahr nach Hogwarts kommen sollte. Offenbar war sein Engel das schwarze Schaf der Familie Black. Doch Lucius konnte in ihm nichts anderes als die Verkörperung von Schönheit und Perfektion sehen. Eine Herausforderung. Genau das würde er werden. Er würde sich dagegen sträuben, aber Lucius würde am Ende gewinnen. Der Junge würde ihm gehören. Sein rebellischer Geist würde zwar etwas hinderlich sein, aber am Ende würde das den Erfolg nur noch versüßen. Er war ganz einfach in die falsche Gesellschaft geraten. Noch war nichts zu spät. Ein Diamant blieb ein Diamant, bis jemand sich die Mühe machte, einen Brillianten aus ihm zu schleifen.



„Worüber hast du eben mit Narzissa gesprochen?“, fragte Nott nach dem Abendessen, als sie im Slytherin-Gemeinschaftsraum am Feuer saßen und sich mit ihren Astronomiehausaufgaben beschäftigten.

„Nichts, bloß über ihren Cousin“, antwortete Lucius.

„Der, der in Gryffindor gelandet ist?“

„Genau der“, murmelte Lucius. Er wollte sich eigentlich lieber nicht unterhalten. Die Umlaufbahn des Merkurs im Vergleich zur Venus bereitete ihm immer noch Kopfzerbrechen. Wenn er seinen Vater doch nur dazu bringen könnte, ihm eines dieser wunderbaren Modelle zu kaufen. Aber, wie sein Vater immer so schön sagte: „Erst muss man sich anstrengen, dann hat man es sich verdient, sich die Arbeit leichter zu machen.“

„Seine Eltern können einem wirklich leid tun. Der älteste Sohn und dann so eine Enttäuschung. Wusstest du, dass einer seiner Freunde noch nicht einmal ein Reinblüter sein soll?“

Damit hatte Nott Lucius’ Aufmerksamkeit erlangt. „Welcher denn?“

„Der mit den braunen Haaren. Potter ist ja auch ein Blutsverräter. Hätten die beiden sich nur nicht angefreundet. Ich habe gehört, dass es Potters Schuld ist, dass Black ein Gryffindor ist.“

„Wie denn das?“

„Also, Abigail Wilton, du weißt schon, die Schwester von Charlotte, meinte, dass Potter im Hogwartsexpress Snape einen Streich gespielt hätte, bevor sie das erste Mal in Hogwarts angekommen sind. Und dadurch hätte er Black so sehr beeindruckt, dass der sich den Rest der Fahrt nur noch mit ihm unterhalten hätte.“

Lucius nickte nur und wandte sich wieder seinen Hausaufgaben zu. Auch wenn er sich nicht so wirklich auf sie konzentrieren konnte. Es erstaunte ihn wirklich sehr, dass Nott so viel über seine Mitschüler wusste. Lucius würde sich wohl oder übel auch anstrengen müssen. Er hatte das bisher viel zu sehr vernachlässigt, dabei würde er später so viel wie möglich über seine Freunde und Feinde wissen müssen. Und wie sollte man auch sonst etwas über sie erfahren.

Das hieß aber noch lange nicht, dass er den Gerüchten glaubte, sie Nott so kritiklos nachplapperte. Eher im Gegenteil. Jeder wusste doch, dass der Sprechende Hut seine Entscheidung nicht danach fällte, wen man im Zug nach Hogwarts getroffen hatten. Und Charlotte, Notts Verlobte, redete sowieso die meiste Zeit nur Unsinn. Trotzdem machte es ihn neugierig. Was war so gryffindor an seinem Engel?


*

Es war das erste Mal, dass Lucius sich nicht auf die Sommerferien gefreut hatte. Und wenn seine Eltern auch nur etwas mehr als das absolut notwendige Maß an Aufmerksamkeit für ihn aufgebracht häten, dann wäre ihnen seine schlechte Laune auch aufgefallen. So aber verbrachte er so viel Zeit wie möglich auf seinem Zimmer und sehnte sich nach Sirius. Oder nach Nott. Oder sogar nach Narzissa. Eigentlich war ihm absolut egal wer oder was es war, der ihn ablenken würde. Sommerferien auf Malfoy-Manor waren nämlich alles andere als spannend. Sein Vater dachte vielleicht er würde lernen, und deswegen sagte er bei den gemeinsamen Mahlzeiten nichts. Lucius sollte es recht sein. Sein Trübsinn wurde nur kurzzeitig von seinen ZAG-Ergebnissen unterbrochen, die selbstverständlich großartig waren. Sein Vater schaffte es trotzdem nicht, sich ernsthaft für ihn zu freuen. Etwas anderes hatte Lucius auch nicht wirklich erwartet.

„An deiner Note in Verwandlung musst du noch arbeiten. Nur ein ‚Erwartungen übertroffen‘. Das kannst du doch besser.“

Lucius nickte abwesend, während er versuchte, den Stich zu ignorieren, den diese Worte ihm versetzten. Egal wie sehr er sich anstrengte, sein Vater würde wohl nie etwas Positives über ihn zu sagen haben. Alles, was er zu hören bekam, waren Sätze wie „Streng dich mehr an“ oder „Arbeite mehr“, irgendwelche unpersönlichen Worte eben, die er vermutlich auch seinen Angestellten sagte. Vielleicht war Lucius für ihn auch nicht mehr als das. Aber eines Tages würde er der Herr über Malfoy-Manor sein. Dann würden sich all die Mühen gelohnt haben.

„Lucius, am Sonntag gibt es bei den Blacks eine kleine Feier angesichts der Einschulung ihres Jüngsten. Du wirst dich von deinen Büchern losreißen und hingehen. Immerhin bist du als Narzissas Verlobter fast ein Mitglied der Familie“, fügte sein Vater noch hinzu. Und Lucius’ Stimmung wurde besser und besser.

Die Feier langweilte und frustrierte Lucius dann aber, trotz seiner Erwartungen. Nicht nur, dass dem eigentlichen Anlass kaum wirkliche Aufmerksamkeit zukam (obwohl er sich das nicht besonders gewünscht hatte), sein Engel war auch immer von anderen, hauptsächlich kleineren Kindern umgeben. Sirius langweilte sich sichtlich und bekam dafür immer wieder mahnende Blicke seiner Mutter zugeworfen, die er nur mit einem Grinsen beantwortete, was der strengen Frau merkbar sauer aufstieß.

Lucius selbst war dazu gezwungen, den Abend hauptsächlich mit Narzissa und ihrer Schwester zu verbringen. Jedem fiel dabei unangenehm auf, dass sie sich das erste Mal in dieser Konstellation die Zeit vertreiben mussten. Früher hatte ihnen Andromeda, Narzissas älteste Schwester, anstelle von Bella Gesellschaft geleistet. Lucius hatte sie immer gemocht, wenigstens konnte sie sich selbst einigermaßen kontrollieren und Konversation führen, doch Andromeda hatte letzten Winter ein Schlammblut geheiratet. Ein Schlammblut! Er konnte es immer noch nicht verstehen. Er hatte sie immer als eine gute Tochter eingeschätzt, auch wenn er rückblickend den gleichen Glanz in ihren Augen entdecken konnte, der in denen von Sirius leuchtete.

Außerdem gab es absolut keine Möglichkeit für Lucius, seinem Engel näherzukommen. Bei dieser Gelegenheit bemerkte er auch, dass er sich einen Plan hätte zurechtlegen sollen. Wie war er auch nur auf die Idee gekommen, dass es absolut einfach sein würde, in Sirius’ Nähe zu gelangen?

„Wir sollten langsam mal zum Tisch hinübergehen, das Essen fängt bald an“, mahnte Bella.



Lucius atmete erleichtert auf, als er es nach dem Abendessen endlich geschafft hatte, dem unangenehmen Schweigen zwischen ihm und Narzissa und Bellas zum Scheitern verurteilten Versuchen von Konversation zu entkommen und sich in der Bibliothek zu verschanzen. Doch trotzdem war das nicht unbedingt ein Segen, wurde ihm ohne jede Art von Ablenkung leider auch viel zu schnell langweilig. Rettung boten die Bücher, die in den langen Regalen vor sich hin staubten. Hatten die Blacks keinen Hauself, der sich um so etwas kümmerte? Wenigstens war die Bibliothek gut ausgestattet, wie ihm ein Blick auf die unzähligen Buchrücken verriet. Die Sammlung an schwarzmagischer Literatur konnte es durchaus mit der von Malfoy Manor aufnehmen.

Das Zufallen der Tür und ein tiefer Seufzer rissen ihn aus seinen Gedanken. Sein Herz schlug schneller und aus unerfindlichen Gründen fühlte er sich, als hätte man ihn ertappt. Malfoys wurden nicht ertappt. Doch um die Ecke wanderten weder Narzissa noch ihre dumme Schwester, sondern ein schwarzhaariger Junge. Die Haare fielen ihm ins Gesicht und sein Gang war beschwingter als sonst. Lucius musste es wissen. Er hatte Wochen damit verbracht, jedes einzelne Detail seines Wesens zu studieren. Wie verzaubert konnte er nicht anders, als die verführerische Gestalt anzustarren. Erst da blickte Sirius auf und bemerkte ihn. Die wunderschönen Augen weiteten sich vor Überraschung, aber als er ihn erkannte, kehrte das verschmitze Funkeln zurück. Mit Schwung setzte Sirius sich auf einen der Tische und musterte Lucius von oben bis unten, und fast schien es, als amüsierte sein Anblick ihn. Lucius hingegen blieb mit dem Blick an Sirius’ Mund hängen. Die perfekten Lippen verzogen sich zu einem Grinsen.

„Lucius Malfoy … Warum beobachtest du mich ständig?“ Die Stimme seines Engels war melodisch und angenehm tief, samtig, ein wenig wie das Schnurren einer Katze. Verzweifelt rang er um eine Antwort, doch wie fasste man in Worte, dass man von jemandem besessen war, ohne sich dabei komplett lächerlich vorzukommen? Jetzt, wo er vor ihm stand, fehlten Lucius jedenfalls die Worte, von denen er so oft geträumt hatte, und er fühlte sich hilflos. Und wütend. Wütend auf sich selbst, denn ein Malfoy sollte nicht hilflos vor einem Vierzehnjährigen stehen. Und wühend auf Sirius, der die Macht hatte ihn vor sich und allen anderen lächerlich zu machen.

„Ist das immer noch wegen dem Streich? Das kann doch nicht sein. Nein, es ist bestimmt was anderes. So wie du dich benimmst, könnte man fast meinen, du wärst in mich verschossen“, schnurrte Sirius amüsiert. Alles an ihm strahlte Selbstsicherheit aus. Lucius riss sich zusammen. Es konnte doch nicht sein, dass er sich so vor einem halben Kind blamierte.

„Und wenn es so wäre?“, entgegnete er, immer noch steifer als eigentlich beabsichtig. Um seine gespielte Selbstsicherheit zu untermauern ging er ein paar Schritte auf ihn zu und stemmte die Hände links und rechts neben ihn auf den Tisch. Diesen Kampf würde er nicht verlieren. Nicht gegen ein Vierzehnjährigen.

„Du spinnst doch Malfoy!“, presste Sirius nervös hervor, und Lucius merkte, wie seine gespielte Selbstsicherheit zu einer echten wurde. Sirius’ Augen flatterten nervös umher. Mit jeder Sekunde spürte Lucius, wie er an Kontrolle gewann, und nie zuvor hatte sie so berauschend auf ihn gewirkt.

„Wohl kaum“, raunte er.

„Du bist das wunderschönste Wesen, das ich je gesehen habe“, flüsterte er in Sirius’ Ohr und ließ dabei den Atem über seinen Nacken streifen. Jetzt, wo die Macht durch seine Adern rauschte, vergaß er alle Folgen, die sein Handeln vielleicht haben könnte. Er hörte nur den keuchenden Atem, der wie Musik in seinen Ohren widerhallte.

„Lächerlich“, schnaubte Sirius zynisch. Hörbar unsicher und leicht verletzt. Er weckte in Lucius den Wunsch, ihn in die Arme zu nehmen und nie wieder gehen zu lassen, ihm süße Nichtigkeiten ins Ohr zu flüstern und ihn zu küssen, bis ihm nichts anderes übrig blieb, als ihm zu glauben. Was hatte dieses fragile Wesen nur dazu gebracht, sich so zu verhalten, einerseits wie ein scheues Reh und andererseits wie ein verletztes Kätzchen?

„Ganz und gar nicht“, summte er. Mit der rechten Hand strich er sanft das Haar aus dem jungenhaften Gesicht. Die alabasterfarbene Haut war so weich unter seinen Fingerspitzen, dass er ein entzücktes Seufzen nicht unterdrücken konnte.

„Ganz und gar nicht. Du bist perfekt“, murmelte er geistesabwesend. Die Hand wanderte in den Nacken, wo er einen rasenden Herzschlag spürte, und packte zu.

Kurzentschlossen drückte Lucius seine Lippen auf die einladend geröteten von Sirius. Im Nachhinein hätte Lucius gerne behauptet, dass alles wie in Zeitlupe geschah, doch dem war nicht so. Der Kuss war ungeschickt und Lucius war zu aufgeregt, um ihn perfekt zu machen, doch das störte ihn in dem Moment nicht. Sirius’ Lippen jagten heiß-kalte Schauer durch seinen Körper und weckten einen nie zuvor gekannten Hunger in ihm. Um noch mehr zu bekommen, ohne zu wissen wovon er eigentlich mehr wollte, lehnte er sich vor, bis er Sirius’ Rücken auf den Tisch gepresst hatte.

Ungeduldig fummelte er an Sirius’ widerspenstigem Umhang, während seine Lippen dessen Kinn und Hals hinunterwanderten. Es dauerte viel zu lange, bis endlich alle Knöpfe aufgegeben hatten und er mit den Händen über die entblößte Brust streichen konnte, deren Haut ihm noch viel weicher vorkam als … Er stöhnte und konnte nicht anders, als allen Göttern für dieses wunderbare Kunstwerk zu danken.

Ein schmerzerfülltes Wimmern weckte ihn aus seiner lustumnebelten Trance und veranlasste ihn, sich aufzurichten und den Blick über seinen Liebsten wandern zu lassen. Sirius hatte die Augen zusammengekniffen und die Hände um die Tischkante gekrallt. Angst hatte seinen ganzen Körper versteifen lassen und Lucius dämmerte, dass Sirius seine Küsse und Liebkosungen nicht erwidert hatte. Mit seinem Verstand schlichen sich Schuldgefühle in sein Bewusstsein, und er wollte am liebsten seinen Kopf gegen die Tischplatte schlagen und seinen Engel um Verzeihung anbetteln. Aber Malfoys bettelten nicht, und zumindest ein kläglicher Rest seines Stolzes hatte den Ansturm der Leidenschaft überstanden.

Unterdrückt stöhnend richtete Sirius sich wieder auf und versuchte, sich mit seiner offenen Robe zu bedecken, doch diese Bewegung lenkte Lucius’ Aufmerksamkeit nur auf die hässlichen Blutergüsse, die den sonst so makellosen Oberkörper befleckten. Entsetzt schlug Lucius Sirius’ zitternde Hände beiseite, sodass er das ganze Ausmaß der Verletzungen erfassen konnte. Einige der Flecken glühten blutrot, andere schimmerten leicht grünlich, und einige waren schon fast verblasst. Wut brannte in ihm auf. Wer auch immer das getan hatte, würde—

„Wer?“, presste er erstickt hervor.

„Mein Vater“, antwortete Sirius bitter, mit einer Stimme, die fast so hasserfüllt war wie Lucius eigene. Wieder begann er damit, seine Roben zuzuknöpfen.

Doch er kam nicht weit. Stürmisch zog Lucius ihn in seine Arme, sodass beide nach hinten stolperten und auf dem Boden landeten, Lucius mit Büchern im Rücken, die auf seiner Robe garantiert Staubflecken hinterließen, und Sirius auf seinem Schoß. Lucius wollte ihn einfach nur halten und nie wieder loslassen, während er seinen gesamten Hass auf den Mann richtete, der sich wohl irgendwo ein paar Stockwerke weiter unten mit seinen Gästen bestens amüsierte.

Sirius kämpfte zunächst gegen die Umarmung, doch er gab auf, sobald er merkte, dass er Lucius noch lange nicht gewachsen war.

„Déjà-vu“, murmelte Lucius schließlich unvermittelt.

Sirius lachte schwach. „Ich fand, dass die pinken Haare dir ausgezeichnet standen.“

Lucius konnte nicht anders, als in das Lachen einzustimmen, auch wenn er seine blonden Haare beileibe lieber mochte. Er konnte es sich selber nicht so recht erklären. Als er den Blick wieder hob, sah er direkt in Sirius’ Augen, die ihn unsicher musterten. Eine Weile saßen sie einfach nur so da und starrten einander an, fast so, als sähen sie sich zum ersten Mal, bis Sirius sich schließlich vorbeugte und seine Lippen langsam auf Lucius’ legte. Der Kuss war kaum mehr als der Geist einer Berührung, aber Lucius musste zugeben, dass Sirius’ offenbar talentierter war als er. Zumindest was das Küssen anging. Er war einfach perfekt. Seine Lippen kräuselten sich zu einem Lächeln.

Nach dem Kuss kuschelte Sirius sich gegen Lucius’ Brust, und Lucius war damit zufrieden, seinen Engel einfach nur zu halten und die einschläfernde Wärme zu genießen, die von ihm ausging.

„Es ist spät“, nuschelte Sirius irgendwann schlaftrunken. Lucius nickte nur. Seufzend krabbelte Sirius aus der Umarmung und richtete sich auf.

„Bis September“, sagte er.

„Bis September“, wiederholte Lucius schwach, mit einem seligen Grinsen, als Sirius schon längst verschwunden war.