Ungewollt
Als Tom ein kleines Kind war, gab es nichts, was er mehr liebte, als beobachten. Er liebte es, den Sonnenstrahlen dabei zuzusehen, wie sie Spinnenweben berührten, und wie kleine Käfer auf dem Erdboden vor dem Waisenhaus herumkrabbelten. Aber es gab nichts, was der kleine Tom mehr liebte, als Menschen zu beobachten. Es war ihm egal, ob es Erwachsene waren, die sich über etwas stritten das er nicht verstand oder ob es die anderen Kinder waren, die Verstecken spielten. Er liebte es einfach. Für ihn war die Welt voller Magie und er fragte sich oft, warum die anderen sie nicht sahen.
Als Tom älter wurde, fand er heraus, dass die anderen es nicht mochten zu beobachten. Oder beobachtet zu werden. Und ihm wurde klar, dass die anderen ihn schief ansahen, wann immer er nicht hinsah. Und er hürte sie über ihn flüstern. Darüber, dass er so merkwürdig war und irgendwie gruselig. Tom verstand das nicht.
Als Tom eines Tages mit den anderen Kindern spielen wollte, sagten sie ihm, dass sie nicht wollten, dass er mit ihnen spielte. Weil er so komisch war, sagten sie. Weil er verrückt war. Das verletzte Tom. Er wollte auch spielen. Aber da sie seine Gesellschaft nicht wollten, blieb ihm nichts anderes übrig, als auf den Stufen zu sitzen und ihnen zuzusehen.
Als Tom sie das zweite Mal fragte, lehnten sie wieder ab. Sie taten dasselbe, als er das dritte Mal fragte. Tom wusste nicht, wann er aufgehört hatte zu fragen, aber er hatte es.
Eines Tages fragte Tom eine der Schwestern im Waisenhaus, warum er nicht bei seinen Eltern war. Die Schwester ignorierte ihn. Er erzählte ihr, dass er wusste, dass jedes Kind eine Mutter und einen Vater hatte, und dass er wissen wollte, ob seine Eltern tot waren, so wie die der meisten anderen. Die meisten waren im Krieg gestorben. Aber da er sich nicht mehr an seine Eltern erinnern konnte, wollte er sich sicher sein, dass es bei seinen auch so war. Tom war ein sehr neugieriges Kind, deswegen beobachtete er auch. Schließlich erzählte die Schwester ihm, dass seine Mutter bei seiner Geburt gestorben war.
„Und was ist mit meinem Vater?“, hatte der kleine Tom gefragt, doch die Schwester blieb stumm.
Tom erinnerte sich noch sehr genau an den ersten Tag, an dem die anderen mit ihm spielen wollten. Verstecken. Tom war überglücklich und er stimmte ohne zu überlegen zu. Glücklicher als je zuvor in seinem Leben suchte er sich einen Platz zum Verstecken. Es musste ein guter Platz gewesen sein, denn die anderen konnten ihn nicht finden. Er saß den ganzen Tag in einem Busch, bis die Schwestern ihn ins Haus holten. Tom war glücklich, dass sie ihn nicht gefunden hatten. Doch als er das Haus betrat, lachten die anderen ihn aus. Sie hatten ihn absichtlich da gelassen, verstand er, um sich über ihn lustig zu machen. Tom spielte nie wieder verstecken.
An einem warmen Sommertag saß Tom allein im Hof, die anderen waren in einen Park in der Nähe gegangen. Dann sah er sie. Eine wunderschöne Schlange, die darüber zischelte wie angenehm warm die Sonne war und wie sie ein paar hübsche Mäuse essen würde. Eine Schwester kreischte und zog ihn weg. Als Tom ihr erzählte, was die Schlange gesagt hatte, sah sie ihn schief an. Tom lernte, nie wieder über Schlangen zu sprechen.
Dann kam der kleine Tom in die Schule. Er liebte sie. Er war verzaubert von Zahlen und Buchstaben. Er entdeckte die Welt der Bücher, und sobald er alt genug war, um eines zu lesen, las er jedes, das ihm zwischen die Finger kam. Besonders liebte er Alice im Wunderland. Also hörte Tom auf zu beobachten. In Bücher gab es so viel mehr zu lernen.
Die anderen Kinder mochten Tom nicht. Und sie wurden schlimmer je älter er wurde. Er war ihre Quelle der Unterhaltung. Sie piesackten ihn, mit Wörtern, und manchmal mit Fäusten oder Füßen. Tom fing an sie zu hassen. Er kann sich nicht mehr erinnern wann, aber er fing an sie zu hassen. Und er fing an die Schwestern und Erzieher zu hassen, weil sie ihm nie halfen. Tom war ein wütender und trauriger kleiner Junge. Das einzige, was ihnglücklich machte, war Lesen. Und über den Tag nachzudenken, an dem er groß genug war um es ihnen heimzuzahlen. Eines Tages, wusste Tom, würde er genug wissen um sie alle wie Ameisen zu zerquetschen.
Als Tom elf wurde, rief man ihn ins Büro des Heimleiters. Er war ein alter und fetter Mann. Tom fand ihn widerlich. Aber er konnte nichts machen, also blieb er im unbequemen Stuhl vor dem Schreibtisch sitzen und wartete.
Der Mann zeigte ihm einen Brief. In grüner Tinte geschrieben. Tom öffnete ihn. Als Tom fertig gelesen hatte, wusste er nicht, ob er über den offensichtlichen Scherz lachen sollte oder ob er endlich die Hölle namens Waisenhaus verlassen konnte. Der Heimleiter sprach weiter und Tom war außer sich vor Freude. Er war ein Zauberer, und er würde weit weggehen und lernen, Magie zu benutzen. Er stellte sich schon vor wie es sein würde, sie dazu zu benutzen all diesen Bälgern zu zeigen, dass er besser war als sie. Er war nicht nur der kleine, dünne Spinner, den sie sahen. Er war ihnen überlegen.
Bevor er das Büro verließ, gab der Mann Tom noch einen Brief. Älter. Ausgebleicht. Er war von seiner Mutter. Tom öffnete ihn mit zitternden Händen. Seine Mutter, die er so sehr liebte, obwohl er sie nie getroffen hatte. Die ihm seinen Namen gegeben hatte. Tom liebte seinen Namen, weil er das einzige war, das sie ihm je geschenkt hatte, außer seinem Leben.
In dem Brief erzählte seiner Mutter Tom, dass sie auch eine Hexe war, sie erzählte davon, wie sie sich in einen Muggel (einen normalen Mann) verliebt hatte und wie sie geheiratet hatten. Aber dann, als sie im sechsten Monat schwanger war, hatte sie ihm erzählt, was sie war, und Toms Vater sagte zu ihr, dass er „sie und ihr Teufelskind nie wieder sehen wollte“. Aber seine Mutter schrieb weiter über ihn, hauptsächlich darüber, wie sehr sie ihn liebte, nur weil er ihr Tom geschenkt hatte.
Tom war anderer Meinung. Sein Vater wollte ihn nicht. Er war wütend und fühlte den Drang, den Brief in Stücke zu zerreißen, doch er las weiter. Seine Mutter sprach auch über ihre Familie. Eine adlige. Sie sagte sein Vorfahr wäre Salazar Slytherin. Tom wusste nicht, was das bedeutete, aber es schien wichtig zu sein. Und er mochte den Namen.
Dann schrieb seine Mutter, dass sie ihn Tom Riddle nennen würde, nach seinem Vater. Tom war niedergeschmettert. Er hatte seinen Namen immer geliebt. Aber an seinem elften Geburtstag begann er, ihn zu hassen. Genauso wie er seinen Vater hasste, weil er ihn verlassen hatte. Weil er ihm nicht einmal eine Chance gelassen hatte. Es war mehr als empörend, dass er seinen Namen tragen musste. Aber seiner Mutter konnte er nicht die Schuld geben. Er liebte sie. Hauptsächlich, weil sie die einzige war, die ihn jemals gewollte hatte. Kein anderer tat das. Nicht sein Vater, nicht die anderen Kinder, nicht einmal die Erwachsenen. Sie alle betrachteten ihn, als wäre er ein Monster. Aber er war keines. Noch nicht.
Ende