Tage an denen …
Es gibt einfach Tage, an denen wäre man besser nicht aufgestanden. Ihr wisst schon: Diese Tage, an denen alles, aber auch wirklich alles, aber auch wirklich alles, schief geht. Und dafür gibt es eigentlich keinen Grund. Man verbrennt sich einfach den Mund mit Kaffee, kleckert seinen Pullover voll, lässt Bücher fallen uns so weiter. Und immer weiß man schon in den ersten paar Minuten, dass es einer dieser Tage sein wird. Meistens fängt es damit an, dass man gar nicht aufstehen will, weil man kaum geschlafen hat (Die Nachbarn haben mal wieder gefeiert?). Dann stolpert man über irgendetwas am Boden und schlägt sich womöglich den Kopf an der Zimmertür an. Wenn man danach schließlich aus der Dusche kommt, fällt einem auf, dass sämtliche Klamotten gerade in der Wäsche sind oder dass die Lieblingshose ein Loch hat. Und genau dann weiß man, dass man besser nicht aufgestanden wäre. Ich frage mich dann immer, warum die Leute nicht wieder ins Bett gehen und einfach weiterschlafen. Sie könnten ja ein paar Stunden später wieder aufstehen und hoffen, dass Anlauf Nummer Zwei besser läuft. Aber was rede ich überhaupt. Ich bin ja auch nicht besser.
An diesem Tag wusste ich sofort, dass ich nicht hätte aufstehen sollen. Ich hatte mir eine Erkältung eingefangen, und sobald ich die Augen aufmachte, spürte ich das Kratzen in meinem Hals und den Druck auf den Nebenhöhlen. Und natürlich, last but not least, die Kopfschmerzen. Alle anderen Schmerzen störten mich nicht weiter, die kann man ja einfach ignorieren. Aber Kopfschmerzen sind was anderes, die benebeln den Verstand so, dass man sich nicht mehr konzentrieren kann. Sie nehmen einen gefangen und sperren einen im eigenen Körper ein. Deswegen stolperte ich an diesem Tag zum Medizinschränkchen im Badezimmer (und über meine Schuhe, zum Glück gab es keine Beule, als ich auf dem Boden landete.) und warf zwei Aspirin ein. Ich hoffte wirklich, sie würden wirken, weil ich noch arbeiten musste. Beim Frühstück dann goss ich mir den zum Glück nicht mehr kochendheißen Tee (Ich war noch nie ein Kaffeemensch, Ironie des Schicksals, aber dazu später) halb über die Hand und konnte gerade noch meine Hose retten, indem ich vom Küchentisch aufsprang. Den Rest meiner Frühstückszeit verbrachte ich dann mit Aufwischen. Beim Hinausgehen konnte ich gerade noch mein Toast hinunterschlingen und verschluckte mich dabei. Die halbvolle Tasse Tee blieb unberührt, dafür war nun wirklich keine Zeit mehr.
Ich griff mir meine Jacke und war gerade zur Tür hinaus, als mir einfiel, dass ich mein Portemonnaie vergessen hatte. Also hechtete ich noch einmal zurück, schnappte es und stopfte es in die Tasche und schloss noch mal ab. Als ich gerade aus dem Haus stürmte, kam mir eine ältere Dame mit Dackel entgegen, die sich offenbar nicht sonderlich darum scherte, ob ihr Liebling vor ein Auto lief oder nicht. Zu meinem Unglück entschied das Vieh sich lieber dafür, mir zwischen die Beine zu laufen. Die Dame kümmerte es dann auch herzlich wenig, als ich mich in der langen Leine verzettelte und mich schlussendlich an einer Straßenlaterne festhalten musste, um mich von dem Kläffer zu befreien. Ich könnte sogar schwören ich hätte da so was wie ein verstecktes Lachen in ihren Augen gesehen. Wahrscheinlich hatte sie ihren Liebling trainiert auf nichts ahnende Passanten loszugehen.
Den restlichen Weg zur U-Bahn-Station rannte ich, damit ich meine Bahn noch schaffte. Durch die Anstrengung pochte mein Kopf trotz Tabletten bestialisch, sodass mein Frühstück fast versuchte, sich seinen Weg zurück zu suchen. An dem Kontrollautomaten fummelte ich meine Monatskarte aus dem Portemonnaie, stopfte sie ungeduldig in den Schlitz und versuchte, meine Kopfschmerzen durch pure Willenskraft auf ein erträgliches Maß zu bringen – selbstverständlich erfolglos.
Endlich löste sich die Sperre und ich konnte weiter in die Station. Zum Glück kannte ich den Weg schon, sonst hätte ich mich wahrscheinlich verlaufen, weil die unterirdischen Gänge alle mit den gleichen, hässlichen Kacheln getäfelt waren, die im schummrigen Licht eine ekelhafte gelbliche Farbe annahmen. Ein letzter Sprung und ich landete tatsächlich noch in meiner Bahn. Mein Chef hätte mich umgebracht, wenn ich noch einmal zu spät gekommen wäre. Oder er hätte mich gefeuert, und dabei brauchte ich den Job wirklich. Und das, obwohl es alles andere als ein Traumjob ist, bei Starbucks zu arbeiten. Vor allem für jemanden mit meiner Abneigung gegen Kaffee. Aber ich brauchte das Geld, und einen anderen Job würde ich nicht so schnell finden. Deswegen hatte ich mich aus dem Bett gequält und saß jetzt in der U-Bahn, mit der unwahrscheinlichen Hoffnung (man nennt es ja gerade Hoffnung, weil es nicht wahrscheinlich ist), dass das Aspirin noch wirken würde.
Ich lehnte den Kopf zurück gegen das Fensterglas und schloss die Augen. Inständig betete ich zu allen Göttern, von denen ich wusste – man will ja schließlich auf Nummer sicher gehen – dass der Rest des Tages besser werden würde. Obwohl ich es in den Tiefen meines Herzen besser wusste.
Einem eintönigen „mind the gap“ folgend schlossen sich die automatischen Türen und ich spürte, wie ich durch die Fliehkraft nach rechts gedrückt wurde, um nicht gegen meinen Nebenmann zu stoßen, steuerte ich dagegen und in meinem Kopf pulsierte es wieder stärker, während ich dass unbestimmte Gefühl hatte, dass meine Kopfschmerzen mit nach rechts gedehnt wurden, wie ein zäher Kaugummi. Und da soll es Leute geben, die Aspirin für ein Wundermittel halten. Ich lehnte den Kopf wieder entspannt zurück, und schloss die Augen.
Es fühlte sich an, als würde die Luft zerrissen, und ich mit ihr, doch irgendwie blieb ich ganz. Einen Moment war ich ohne Schmerzen und hing in der Luft, als hätte jemand die Zeit angehalten, doch dann landete ich unsanft und merkwürdig auf die Seite verdreht. Der Schmerz war wieder da und mir fiel auf, dass es einen Knall gegeben hatte. Der Schmerz wechselte von pochend zu brennend und er blühte in anderen Teilen meines Körpers auf, ohne dass ich wirklich wusste, welche Teile das waren. Ich lag einfach nur da wie gelähmt. Ich wusste noch nicht einmal, ob ich mich überhaupt noch bewegen konnte. Dann war alles schwarz.
Ende