Von Männern und Babybäuchen
„Harry fiel auf die Knie und schrie, schlang seine Arme um seinen Bauch, wie um das ungeborene Baby ihn ihm vor den Qualen zu schützen, die sein Körper gerade durchmachte.“ silberneWoelfin, Unexpected Results Kapitel 5
Male Pregnancy, kurz MPreg, ist wohl eines der kontroversesten Themen, mit denen sich eine Fanfiction befassen kann. Die Reaktionen auf die schwangeren Männer kann man grob in totale Abneigung und Befürworten unterteilen. Jeder hat eine Meinung, in den meisten Fällen ist sie absolut unbegründet, und keiner ist bereit, den Standpunkt der anderen Seite zu verstehen. Es gibt also kaum ein Thema, das ein Fandom so sehr spalten kann wie MPreg. Und kaum eines, das so oft und so unergiebig diskutiert wird.
Dabei ist die Geschichte von MPreg wohl genauso alt wie die Menschheit selbst. Zeus’ Tochter Athene wurde geboren, indem sie aus dem Kopf ihres Vaters sprang. Und Odins achtbeiniges Pferd Sleipnir ist der Sohn des Hengstes Svadilfari und des umtriebigen Gottes Loki, der ihn in Gestalt einer Stute verführt hatte. Bei den Seepferdchen ist es übrigens immer so, dass das Männchen die Jungen austrägt. Selbst Arnold Schwarzenegger hat in Junior schon ein Kind von Emma Thomson bekommen.
Im Gegensatz zu den Beispielen aus der Welt jenseits von Bits und Bites haben es die Mpreg-Geschichten jedoch vergleichsweise schwer. Im Folgenden möchte ich daher analysieren, was hinter ihrem schlechten Ruf steckt. Und dabei werde ich nicht auf die literarischen Fähigkeiten der individuellen Autoren eingehen, da ich davon ausgehe, dass 99% aller Geschichten, egal welchen Themas, schlecht geschrieben sind. Ich teile die MPreg-Geschichten dabei in drei verschiedene Kategorien ein, entsprechend ihrer Motivation.
Die Geschichten der ersten Kategorie benutzen MPreg als komödiantisches Mittel, vergleichbar mit Junior. In ihnen werden die althergebrachten Geschlechterrollen lächerlich gemacht, und in gewissem Sinne stellen sie eine Art Rache am starken Geschlecht dar, da die Männer unter all dem furchtbar zu leiden haben, was ihre Frauen durchmachen müssen. Manchmal nehmen diese Geschichten fast schon masochistische Züge an. Komödien-MPreg ist verwandt mit den Geschlechtertauschgeschichten, die ähnlich motiviert sind und auf dieselbe Quelle für Situationskomik (etablierte Geschlechterrollen) zurückgreifen. In den einen hat ein Mann mit Schwangerschaftshormonen zu kämpfen, in den anderen mit Make-up und Brüsten.
Der zweiten Kategorie ordne ich MPreg als Handlungselement zu. Diese Geschichten sind eng verwandt mit den AUs oder ARs, und dienen sozusagen einer Erforschung einer Was-Wäre-Wenn-Frage. Manchmal transportieren sie dabei eine Gesellschaftskritik oder machen indirekt auf Probleme aufmerksam. Gerade diese Geschichten sind meiner Meinung nach vor allem in ihrer Reinform selten, und sie zeichnen sich besonders durch eine Neuordnung der Geschlechterverhältnisse, manchmal sogar einer Neuerfindung des Geschlechts aus. Handlungs-Mpreg tritt aber häufiger in Verbindung mit der dritten Kategorie, dem geschlechter-dichotomischen MPreg auf.
Um den geschlechterdichotomischen MPreg näher zu erläutern werde ich zunächst auf das bereits etablierte Seme-Uke-Schema eingehen. Hierbei handelt es sich um eine besondere Art der Darstellung homosexueller Beziehungen. Der Seme (der Penetrierende) stellt dabei quasi den „Mann“ der Beziehung dar, und der Uke (der Penetrierte) wird als quasi-weiblich identifiziert. Es findet also eine Projektion der traditionellen Geschlechterverhältnisse auf eine homosexuelle Beziehung statt. Das Seme-Uke-Schema wird von vielen Slash-Autoren wegen seiner Wirklichkeitsferne kritisiert.
Meine Hauptthese in Bezug auf MPreg ist, dass der geschlechterdichotomische MPreg praktisch eine Weiterführung des Seme-Uke-Schemas darstellt. Und dass es gerade dieser Typ MPreg ist, der im Kern der Kontroverse steht. Meiner Meinung nach findet eine Übertragung der Vorstellungen einer idealen Beziehung durch den Autor statt. Dabei sind diese Vorstellungen einerseits unterbewusst und orientieren sich andererseits am Idealtypus eines heterosexuellen Paars. Daher auch die Idee, dass nur Penetration „richtigen“ Sex darstellt, und dass ein Kind zu einer erfüllten Beziehung dazu gehört. Inwieweit dieses Bild der heterosexuellen Realität entspricht ist zwar fragwürdig, aber es spiegelt sich dennoch in vielen Fanfictions wieder. Und wie beim Seme-Uke-Schema wird einem der Partner die Rolle der Frau und Mutter und dem anderen die des Mannes und Vaters zugeschrieben. Der Partner, der die Frau repräsentiert, wird dabei mehr oder weniger als eine Frau beschrieben, deren äußere Geschlechtsmerkmale zufällig männlich sind.
Damit will ich aber beim besten Willen nicht sagen, dass die Autoren im Grunde misogyn, anti-feministisch oder homophob sind. Sie sind sich dieser Vorstellungen wahrscheinlich nicht einmal bewusst und haben auch nicht das unbändige Bedürfnis, ihre Umwelt zu bekehren. Vielleicht wollen sie nicht einmal selber Kinder. Da die meisten Fanficautoren noch relativ jung sind, gehe ich sogar davon aus, dass in vielen Fällen noch nicht einmal eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Kinder kriegen stattgefunden hat. Aber da in jeder Geschichte unweigerlich das Weltbild ihres Autors mitschwingt (egal wie subtil), führe ich diese Schemata auf ein Weltbild im Kopf der Autoren zurück.
Einige Autoren wollen wohl einfach nicht auf Kinder in ihren Geschichten verzichten, obwohl sie Slash mögen. Manchmal scheint es fast so, als wären sie hin- und hergerissen zwischen einer Handlung, die sie mögen und die sich mit homosexuellen Charakteren nicht verwirklichen lässt, und ihrer Unwilligkeit, über ein heterosexuelles Paar zu schreiben. MPreg ist hier die offensichtliche Lösung des Konflikts, die in einigen Fandoms näher liegt als in anderen. Doch in diesem Fall stellt sich ein neues Problem: Wie erkläre ich, dass einer meiner Charaktere schwanger ist? Das mag in manchen Fandoms wirklich funktionieren (Beispiel: Harry Potter) und in anderen nicht (Beispiel: Queer as Folk). Trotzdem gibt es in praktisch jedem Fandom MPreg-Fanfictions, manchmal mit hanebüchener Erklärung, manchmal ohne.
Die mangelnden Erklärungen sind einer der Punkte, die Kritiker häufig zu bemängeln haben. In Kreisen, in denen OOC ein Schimpfwort ist, wird jeder noch so kleine Verstoß gegen die Canon-Realität als Affront gegen die Allgemeinheit aufgefasst. Und MPreg bietet eben in den meisten Fällen ein Paradebeispiel für OOC-Charaktere. Slash-Leser, die wirklich über „männliche“ Männer lesen wollen, werden von der starken Verweiblichung verschreckt, die den Autoren selber wahrscheinlich noch nicht einmal bewusst ist.
Aber ich denke, dass das nicht immer alles ist, was hinter der oft irrationalen ablehnenden Haltung mancher steht. Ich denke die Tatsache, dass MPreg die Geschlechterdichotomie paradoxerweise gleichzeitig unterstützt und zerstört, ist ein weiterer wichtiger Faktor. Denn nach heutiger Ansicht ist das einzige, was Männer und Frauen noch unterscheidet, der biologische Unterschied. Und obwohl MPreg auf der sozialen Ebene häufig die traditionellen Geschlechterrollen unterstützt, untergräbt es den theoretisch einzigen Unterschied zwischen Mann und Frau auf der biologischen Ebene.
Ich vermute, dass die Kritiker von MPreg sich oft entweder an der Übertragung der Geschlechterdichotomie oder deren Untergrabung stören, sich vielleicht sogar durch sie bedroht fühlen. Gerade das geschieht auf der unterbewussten Ebene und äußert sich in Form von Irritation oder instinktiver Ablehnung. Daher erscheinen die Begründungen der Gegner manchmal etwas gezwungen und an den Haaren herbeigezogen.
Natürlich fallen längst nicht alle Leser in diese Kategorie. Manche mögen keinen Slash, andere kein OOC, und einige haben etwas gegen Schwangerschaften in Fanfictions im Allgemeinen. Und oft werden MPreg-Geschichten aus Prinzip abgelehnt, weil die Leser verallgemeinern und alles als Schund abtun, weil sie eben nur schlecht geschriebene gesehen haben. Aber MPreg muss nicht zwangsläufig schlecht sein (auf annähernd objektiver Ebene), sondern kann durchaus interessant geschrieben sein.
Gefallen müssen die Fanfictions deshalb aber trotzdem nicht jedem. Ich fordere nur dazu auf, sich etwas weniger emotional mit diesem Phänomen auseinanderzusetzen. Und dazu, seine eigene Haltung gründlich zu überdenken, und erst dann seine Meinung in einem Forum oder einer Gruppe zu posten. So können vielleicht alle Beteiligten der Diskussion etwas abgewinnen, und es wird zur Abwechslung einmal miteinander und nicht gegeneinander geredet.
Ende